Roy Jacobsen – Die Kinder von Barrøy

Als 2019 Norwegen Gastland der Frankfurter Buchmesse war, erschienen, auch durch die tatkräftige Unterstützung der norwegischen Literaturförderung, zahlreiche großartige Romane neu in deutscher Übersetzung. Ich habe viele Autor:innen für mich entdeckt und eindrückliche Bücher gelesen. Eines davon war die Insel-Saga von Roy Jacobsen, deren ersten drei Teile unter dem Titel Die Unsichtbaren 2019 von C.H.Beck in einem Band zusammengefasst wurden. Die Geschichte der Bewohner von Barrøy, und hier vor allem von Ingrid, vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg war packend, informativ und sprachlich sehr gelungen. Sehr habe ich mich auf den vierten Teil des Epos von Roy Jacobsen gefreut, der nun als Die Kinder von Barrøy, ebenfalls bei Beck in der Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann erscheint.

Zurück auf Barrøy

Dieser vierte Teil schließt zeitlich an die Rückkehr von Ingrid und ihrer kleinen Tochter Kaja, die nach Kriegsende durch ein zerrüttetes Norwegen gereist sind, um Kajas Vater, den russischen Soldaten Alexander, zu finden, an. Ob diesem seine Flucht in die Heimat gelungen ist und wie es ihm dort vielleicht ergangen ist, hat Ingrid nie erfahren. Dafür hat sie die Bekanntschaft mit Marianne Vollheim gemacht, deren Wege die von Alexander ebenfalls gekreuzt haben. Auch sie hat den von ihr geliebten Mann verloren. Über Briefe und später auch in persona wird Marianne in Ingrids Leben wieder eine Rolle spielen.

Dieses Leben ist durch die raue Natur, die karge Landwirtschaft und den Fischfang auf Barrøy, eine der unzähligen kleinen Inseln vor Norwegens Westküste, geprägt. Ingrid ist so etwas wie das Familienoberhaupt dort. Ihre Pflegekinder Suzanne und Felix sind mittlerweile erwachsen und haben selbst Kinder, Tante Barbro lebt noch, verliert aber zunehmend das Augenlicht. Ihr Sohn Lars wohnt mit seiner Familie ebenfalls auf Barrøy. Es ist ein karges, aufreibendes, aber ruhiges Leben. Um den Lebensunterhalt zu sichern, sind die Männer der Insel immer noch auf die gefährlichen Winterfahrten zu den Lofoten angewiesen. Einen Großteil ihres jährlichen Fangs, mit dem sie ihr Auskommen sichern, machen sie in den Wochen dort. Jedes Jahr kostet die gefährliche See dort aber auch Leben.

Matthis

Mit Matthis kommt ein neuer Bewohner auf die Insel. Er ist zu Beginn wie Kaja fünf Jahre alt. Ein verängstigtes, vernachlässigtes Kind, nachdem seine Mutter Olavia die Familie verlassen hat, um ihrer Liebe, einem deutschen Besatzungssoldaten, in dessen Heimat zu folgen. Johannes Hartvigsen, der auf der Milchroute die Inseln anläuft, hat den Verlust seiner Frau nicht verwunden, auch nicht, dass er nur Matthis Stiefvater ist. Von einer seiner Fahrten kommt er nicht zurück. Ingrid nimmt sich des Kleinen an, mit Hilfe von Pastor Samuel kann sie ihn adoptieren.

Es ist ein Leben voller Entbehrungen, die Schatten des Krieges liegen noch spürbar über dem Land und Barrøy wird von Schicksalsschlägen nicht verschont. Die Inselgemeinschaft ist nicht frei von Konflikten, rückt aber in entscheidenden Momenten zusammen. Die „Heldin“ der Saga ist unbestreitbar die starke, ja manchmal harte, aber auch sehr zugewandte Ingrid.

Ihre Geschichte hat Roy Jacobsen auch in Die Kinder von Barrøy wieder in seiner kraftvollen, klaren und ganz besonderen Sprache eingefangen. Sie klingt oft rau wie die Bewohner der Insel, manchmal poetisch, besonders bei Beschreibungen der Natur und des Meeres. Sie entfaltet einen Sog, dem man am Ende des Romans gar nicht entkommen möchte. Das Beste, was man über ein mehrteiliges Werk sagen kann, gilt auch für die Insel-Saga von Barrøy: bitte, bitte fortsetzen!

 

Auch Constanze von Zeichen und Zeiten konnte dem Buch viel abgewinnen

Beitragsbild: Kjeungskjaer Lighthouse by [RAW](CC BY-NC-ND 2.0) via Flickr

 

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Roy Jacobsen - Die Kinder von Barrøy.

Roy Jacobsen –  Die Kinder von Barrøy
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann
C.H.Beck August 2021, 270 Seiten, gebunden, 24,00 €

 

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