Naomi Fontaine – Die kleine Schule der großen Hoffnung

Indigene Autor:innen erlangen immer mehr Bedeutung für die Wahrnehmung kanadischer Literatur auch bei uns in Deutschland. Nicht nur das Desinteresse des (Weißen) Literaturbetriebs, sondern auch die überwiegend orale indigene Erzählkultur sorgten dafür, dass die Zahl der Veröffentlichungen bisher, gerade auch in Übersetzung, relativ überschaubar war. Es ist überfällig, dass sich daran etwas ändert und der Gastlandauftritt Kanadas bei der Frankfurter Buchmesse 2021 war dafür ein wichtiger Impuls. Waubgeshig Rice, Paul Seesequasis, Josephine Bacon, Tanya Tagaq, Richard Wagamese – alles Namen, die mir zuvor nicht bekannt waren, deren Werke ich mittlerweile aber sehr zu schätzen weiß. Naomi Fontaine gesellt sich mit ihrem autobiografisch inspirierten Roman Die kleine Schule der großen Hoffnung dazu.

Die 1987 geborene Naomi Fontaine gehört einer Gemeinschaft der Innu an, die zu den First Nations Kanadas gehören. Sie wurde im Uashat-Gebiet geboren, nahe der Stadt Sept-Îles in Québec, wuchs aber in Québec-Stadt auf, studierte dort Pädagogik und wurde Lehrerin. Diese Herkunft und diesen Hintergrund teilt sie sich weitgehend mit ihrer Protagonistin Yammie.

Diese verlässt ihren Weißen Freund Nicolas und die Stadt, um hochmotiviert eine Stelle an einer indigenen Schule in Uashat anzutreten.

„Ich würde ihnen nicht nur Französisch beibringen, sondern auch, wie man sich selbst findet.“

Hochgesteckte Ziele

Ein hochgestecktes Ziel, zumal im Laufe des schmalen Romans deutlich wird, dass auch Yammie sich noch nicht wirklich  gefunden hat. Besonders die Trennung von Nicolas scheint sie zu bedauern. Aber auch die Herausforderungen in Uashat setzen ihr zu. Mangelnde Perspektiven, Alkohol- und Drogenprobleme, Gewalt in den Familien, Depression und die vielen Teenagerschwangerschaften bestimmen das Leben vieler Jugendlicher. In ihrer 11. Klasse scheint ein Großteil der Schülerinnen bereits Mutter zu sein. Ein Mädchen begeht Selbstmord, ein Junge verliert seine Hoffnung nachdem der Vater verstorben ist.

Die junge Lehrerin, kaum älter als die Schüler:innen, engagiert sich sehr, auf Ausflügen, in der Theatergruppe, bei persönlichen Gesprächen. Allzu oft fühlt sie sich an ihren Grenzen, setzt aber immer wieder auf die heilende Kraft von Literatur, Gemeinschaft und Solidarität. Diese erfährt auch sie selbst, nicht nur dadurch, dass sie langsam das Vertrauen ihrer Schüler:innen gewinnt, sondern auch durch die vielen Verwandten, die sie noch in Uashat besitzt. Dennoch quält sie auch die Einsamkeit.

Mangelnde Perspektiven versus Zugehörigkeit, Stadt versus Land – die Entscheidung ist nicht immer einfach, aber um eine Wahl zu haben, brauchen die Jugendlichen Bildung. Authentisch, empathisch und anrührend erzählt Naomi Fontaine in Die kleine Schule der großen Hoffnung vom Weg einer jungen, indigenen Lehrerin und vom Heranwachsen im Hohen Norden.

 

Beitragsbild: Sept-Iles by alleotte, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

 

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Naomi Fontaine - Die kleine Schule der großen Hoffnung

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Naomi Fontaine – Die kleine Schule der großen Hoffnung
Aus dem Französischen von Sonja Finck
C. Bertelmann Oktober 2021,Hardcover mit Schutzumschlag, 144 Seiten, € 16,00

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