Colson Whitehead – Harlem Shuffle

Der Shuffle ist ein dreigeteilter, auf Triolen aufgebauter Rhythmus. Lässig klingt er, swingend, sehr rhythmisch. Bekannt ist der Harlem Shuffle vor allem durch die Coverversion der Rolling Stones aus dem Jahr 1986, der amerikanische Autor Colson Whitehead hat ihn nun für seinen neuen Roman verwendet. Dieser spielt – natürlich – im Schwarzen Harlem der späten Fünfziger und Sechziger Jahre. Whitehead fährt dafür zahlreiche Kolportageelemente auf – und unterwandert sie intelligent und unterhaltsam.

In etlichen Kritiken stand, dass Whitehead nach seinen zwei hochpolitischen, in die düstere afroamerikanische Geschichte abtauchenden Romanen Underground Railroad und Die Nickel-Boys wohl mal einen heiteren, ja fast schelmischen, auf jeden Fall  aber leichteren Roman habe schreiben wollen. Das kann durchaus so sein und  Colson Whitehead hatte sicher seinen Spaß an der Konstruktion von Harlem Shuffle. Nichtsdestotrotz ist auch der neue Roman bei aller Unterhaltsamkeit und Kolportage höchst politisch und in seiner Analyse der Fortdauer rassistischer Unterdrückung geradezu bitter.

Shuffle

Erzählt wird, der Shuffle gibt es vor, in drei Teilen. Es ist eine Schwarze Aufsteigergeschichte, eine Familiengeschichte und – vor allem – eine klassische Gangstergeschichte. Der Laster, Teil 1, stellt klar:

„Was krumme Dinger anging, war Carney eher ein kleines Licht…“

Es ist 1959, als ihn dennoch sein Cousin Freddie „ins Boot holt“, als ein Raubüberfall auf das berühmte Hotel Theresa geplant wird. Carneys Vater Mike war einst eine mittlere Leuchte im Gangstermilieu Harlems, sein Sohn Ray zog ein Studium der Betriebswirtschaft vor und eröffnete einen Möbelladen auf der 125. Straße. Die Wohnviertel New Yorks sind Ende der Fünfziger Jahre noch streng segregiert, nicht nur nach Ethnie, sondern auch nach Klasse. So ist die elegante Striver´s Row, aus der Rays Frau Elizabeth aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammt, ein Ort, wo Anwälte und Ärzte sich im ehrwürdigen Dumas-Club treffen.

Part of crowd in Harlem by Wolfson, Stanley, photographer, NY World-Telegram & Sun collection, CC0

Das kleine Licht

Ray stammt aus einigen Straßen tiefer, wo er nach dem Tod seiner Mutter bei seiner Tante Millie zusammen mit seinem Cousin Freddie aufwuchs. Sein Sehnsuchtsort ist allerdings der Riverside Drive, wo in modernen, eleganten Blocks neuerdings Schwarz und Weiß nebeneinander wohnen. Da der Möbelladen nicht so wirklich gut läuft, verschafft er sich so das eine oder andere Zubrot mit Hehlerware und gelegentlichen „krummen Dingern“.

„Man kam von einem bestimmten Ort, aber wichtiger war, wo man landen wollte.“

Wie gesagt, Ray Carney ist ein kleines Licht. Cousin Freddie ist da schon reger, reitet Ray in so manche Schwierigkeit hinein. So auch beim minutiös geschilderten Raubüberfall auf das Hotel Theresa, bei dem es Tote gibt und sich Ray und Freddie nur gerade so aus der Schlinge retten können. Hier grüßen Streifen wie „Rififi“ oder „Ocean Eleven“. Das macht viel Spaß und wird stets mit einem gewissen Augenzwinkern erzählt. Da tauchen Typen auf wie der skrupellos-gutmütige Pepper, der durchtriebene Miami Joe, der korrupte Polizist Munson oder der Obergangster Chink Montague. Da wird der jüdische Juwelenhändler genauso bemüht wie der Hehler im Hinterzimmer und die mafiöse Gesellschaft.

Eine Rache

Im zweiten Teil, Dorvay, zwei Jahre später, 1961 spielend, kommt es zu einem strategisch geplanten und durchgeführten Racheplan. Rays Laden läuft besser, er beginnt hochwertige Möbelmarken für die bessergestellten Schwarzen Kreise zu führen. Konsum und generell der Kapitalismus werden immer als Motor für Schwarzen Aufstieg und damit verbundene Emanzipation dargestellt, auch das nicht ohne ein Augenzwinkern. Genüsslich schwelgt Colson Whitehead in Ausstattungsdetails, Markennamen, Dekoren. Orte, wie das berühmte Apollo-Theater oder der Coffeeshop Chuck full o´nuts, die gesamte Topografie Harlems mit ihren Straßen und Gebäuden erhalten eine große Bedeutung. Um im distinguierten Dumas-Club aufgenommen zu werden, Sprungbrett nach oben, besticht er dessen Vorsitzenden Wilfred Duke mit fünfhundert Dollar. Als dieser seine Aufnahme dennoch ablehnt, sinnt Ray auf Rache, die er auch akribisch geplant durchführt.

„Ein Umschlag ist ein Umschlag. Missachte die Ordnung, und das ganze System bricht zusammen.“

Harlem Riots by Stanley Wolfson, Public domain, via Wikimedia Commons

Der letzte Teil, 1964, ist „Es reicht“ betitelt. 1964 war das Jahr der „Harlem Riots“, der gewaltsamen Aufstände als Reaktion auf die Tötung des 15jährigen Schwarzen James Powell durch einen Weißen Polizisten. Bezüge zum Heute sind mehr als deutlich. Hier wird das Buch, wenn auch immer noch beiläufig, hochpolitisch, war es eigentlich schon seit Beginn. Rays Frau Elizabeth arbeitet bereits seit dem ersten Teil in der Reiseagentur „Black Star Travel“, die Afroamerikanern sichere Reiserouten und Unterkunftsmöglichkeiten in den Süden der USA vermittelt. Der Ku-Klux-Klan ist rege, das Leben der Schwarzen potentiell überall im Süden bedroht.

„Ein weißer Cop wandert in den Bau, weil er einen schwarzen Jungen gekillt hat? Du glaubst bestimmt auch an die scheiß Zahnfee.“

Swing

Colson Whitehead erzählt in Harlem Shuffle lässig, witzig, ironisch, beschwingt. Die Sprache passt sich an, ist cool, lakonisch, manchmal dicht am Slang. Die Übersetzung bewältigt das überwiegend gelungen. Besonders im ersten Viertel hakelt es aber hin und wieder arg. Da gibt es merkwürdige Satzkonstruktionen, schiefe Bilder, nahezu unverständliche deutsche Entsprechungen. Das lässt aber nach und man sollte unbedingt am Ball bleiben. Die Verwendung des N-Worts wird in einer Vorbemerkung eingeordnet und geschieht auf ausdrücklichen Wunsch des Autors. Auch das für einen zeitgeschichtlichen Text stimmig.

Mit Harlem Shuffle legt Colson Whitehead nur vorderhand einen leichten, beschwingten Genreroman vor. Auch das ist er, aber darüber hinaus ein eindrückliches Stück Schwarzer Geschichtsschreibung, eine Erzählung vom Aufbruch der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung, ein Sittenbild, eine Stadthistorie. Das Harlem von damals ist nahezu verschwunden, der Rassismus, die Gewalt gegen Schwarze ist leider immer noch Alltag.

 

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Beitragsbild by Winston Vargas (CC BY-NC 2.0) via flickr

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Colson Whitehead Harlem Shuffle.

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Colson Whitehead – Harlem Shuffle
übersetzt aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Hanser Verlag August 2021, Fester Einband, 384 Seiten, € 25,00

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