Lektüre Dezember 2021

Vor der Lektüre aus dem Dezember 2021, allen, denen ich es bisher nicht gewünscht habe:

Ein wunderbares, glückliches, gesundes Neues Jahr!

Vieles zum vergangenen Buchjahr habe ich schon in meinem Rückblick erzählt. Die im Dezember gelesenen Bücher möchte ich noch ergänzen. Zumal das allerletzte Buch – Annie Ernaux – es in diesen Rückblick gar nicht hinein geschafft hat. Aber natürlich sehr erwähnenswert ist und auch noch einen eigenen Blogbeitrag erhalten wird. Noch hänge ich ein wenig in den Herbsttitel fest – mit großem Vergnügen, da warten noch einige Schätze auf mich -, aber die ersten Frühjahrsneuerscheinungen buhlen auch bereits um Aufmerksamkeit. Ich habe mich dieses Frühjahr auf relativ wenige Titel festgelegt und warte mal ab, was da noch an Überraschungen kommt. Die Auswahl ist ja sehr verlockend (nachzulesen in meinem Blick in die Vorschauen/ Neuerscheinungen).

Aber nun erst einmal die letzten Titel des alten Jahres, der Lektüre im Dezember 2021 (ein Buch fehlt, denn das musste sofort wieder ausziehen. Selten hat mich ein Buch so aufgeregt wie der hochgelobte, mit einem Longlistplatz für den Booker Prize geehrte Debütroman des Ex-Gangsters und Literaturstudenten Gabriel Krauze, der seine Beide Leben erfolgreich in diesem selbstzufriedenen, Luxusmarken gesättigten, frauen- und menschenfeindlichen Ego-Trip vermarktet. Kann ich nicht verstehen. Da würde ich ausnahmsweise gerne mal wie Denis Scheck eine Tonne aufstellen…)

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Colson Whitehead Harlem ShuffleColson Whitehead – Harlem Shuffle

Nach seinen beiden letzten, eher düsteren Romanen, die sich mit der Black History beschäftigten, hat Colson Whitehead einen vorderhand leichteren, spannenden Roman geschrieben. Einen Gangsterroman, eine Aufsteigergeschichte, ein Gesellschaftspanorama des Schwarzen Harlem der späten 1950er und frühen 1960er Jahre. Harlem Shuffle als reinen Genreroman oder eine Gaunergeschichte einzuordnen, greift aber zu kurz. Allein die Schilderung der Harlem Riots nach der Polizeigewalt gegen einen Fünfzehnjährigen 1964 zeigt, wie aktuell leider das Geschilderte immer noch ist.
„Ein weißer Cop wandert in den Bau, weil er einen schwarzen Jungen gekillt hat? Du glaubst bestimmt auch an die scheiß Zahnfee.“
Ich mochte das Buch. Auch seine Detailfreudigkeit und die zeitweise Verlangsamung des Tempos. Der Shuffle gibt den Rhythmus, nicht nur den Titel.

 

Douglas Stuart Shuggie BainDouglas Stuart – Shuggie Bain

Das Lieblingsbuch vieler Bloggerkollegen und das Booker Prize gekrönte Debüt eines ganz tollen, sympathischen Autoren, den ich im September in Frankfurt erleben konnte: Die Erwartungen waren riesig. Ganz konnte sie diese berührende, autofiktionale Geschichte eines kleinen Jungen, der mit seiner alkoholkranken Mutter im Glasgow der 1980er Jahre aufwächst nicht erfüllen. Dafür war der kleine Shuggie – verständlicherweise – zu sehr Lichtgestalt. Auch wenn die Mutter und die Geschwister wirklich sehr gut und ambivalent gezeichnet waren, rutschten die anderen Figuren ein wenig zu sehr ins Schwarz-Weiß, waren die geschilderten gesellschaftspolitischen, sozialen Umstände zu blass, der Fokus zu eng, um ein wirkliches Highlight zu sein. Trotzdem ein gutes, ein schönes, ein lesenswertes Buch.

 

Naomi Fontaine - Die kleine Schule der großen HoffnungNaomi Fontaine – Die kleine Schule der großen Hoffnung

Ein schmales, feines Buch über eine kleine Schule im hohen Norden, im indigenen Uashat Gebiet nahe der Stadt Sept-Îles in Québec/Kanada. Hier ist die Arbeitslosigkeit erdrückend, die Zahl der Teenagerschwangerschaften hoch, viele Familien zerrüttet, der Griff zur Flasche oder zu Drogen verbreitet, Depressionen und Selbstmorde allgegenwärtig. Die junge Lehrerin Yammie, die das Alter Ego der Innu Naomie Fontaine in diesem autofiktionalen Text ist, beginnt ihr Jahr in der Elften Klasse hier an ihrem Geburtsort mit viel Idealismus und Empathie, muss aber auch eigene und systemimmanente Grenzen erkennen. Ein schönes, kleines Buch aus dem französischsprachigen Teil Kanadas.

 

elke-heidenreich-hier-gehts-langElke Heidenreich – Hier geht´s lang

Mit Büchern von Frauen durchs Leben – so der Untertitel des vom Eisele Verlag wunderschön ausgestatteten Buchs, (allein das Papier ?) über die prägenden Autor:innen und Bücher der bekannten Literaturvermittlerin, die im nächsten Jahr bereits ihren 80. Geburtstag feiert. Aber nach den wirklich interessanten Kindheits- und Jugendleseerfahrungen (von Heidi bis Enid Blyton) kommt nicht viel Spannendes. Die üblichen Verdächtigen (weibliche Form) und überraschend viel Männliches. Dazu immer wieder die Betonung, Männer natürlich nicht zu verachten. Als ob es dieses Bekenntnisses bei einem Buch über weibliches Schreiben und Lesen bedürfte. Ganz nett, i bekannten Plauderton, aber doch überholt und nicht wirklich der Rede wert. Dank der schönen Bilder etc. und als Lebensbuch der Heidenreich dennoch einen Blick wert.

 

Annie Ernaux - Das Ereignis

Annie Ernaux – Das Ereignis

Keineswegs überholt dagegen das neue autofiktionale Buch von Annie Ernaux. In dem 2000 bereits in Frankreich erschienenen, wieder sehr schmalen Buch, erzählt Annie Ernaux von einem Schwangerschaftsabbruch, den sie 1964 vornehmen lassen hat. Damals waren Abtreibungen auch in Frankreich noch illegal, die Ärzte wollten oder konnten der jungen Studentin nicht helfen. Selbstversuche mit den berühmten Stricknadeln und schließlich der Gang zu „Engelmacherin“. Annie verblutete nach dem Eingriff fast. Drastisch und schonungslos erzählt sie von diesem „Ereignis“, aber auch von ihrer Hilflosigkeit und Einsamkeit. Wie immer im distanziert-kühlen, soziologisch interessierten Ernaux-Ton hat dieses Buch trotz des großen zeitlichen Abstands und der geänderten Rahmenbedingungen überraschend wenig von seiner Dringlichkeit verloren.

 

gabrielle-roy-gebrauchtes-glueck

Gabrielle Roy – Gebrauchtes Glück

Das kann man vom 1945 bereits erschienen Roman der Franko-Kanadierin Gabrielle Roy nicht unbedingt sagen. Roy schildert darin die Geschichte der jungen Florentine, die im Elendsviertel Montréals, Saint-Henri aufwächst. Kanada befindet sich 1940 an der Seite der Alliierten im Krieg mit Deutschland. Viele junge Männer sehen den Kriegsdienst als Ausweg aus der dort herrschenden Armut. So auch der Bruder Florentines. Andere junge Männer suchen das Abenteuer oder fühlen sich verpflichtet. Florentine sucht den Ausweg aus den bitteren Lebensverhältnissen durch ihre Arbeit, Fleiß und vielleicht den richtigen Mann. Der von ihr angehimmelte Jean ist dies allerdings nicht. Er lässt die von ihm schwangere Florentine sitzen, diese sieht nur einen Ausweg.

Ein wenig angestaubt ist sowohl das Frauenbild als auch die stark psychologisierende Erzählweise Gabrielle Roys, die Hauptfigur zudem eher kritisch zu sehen. Dennoch: als Meilenstein in Sachen feministischer und klassenbewusster Literatur und auch als Antikriegsroman sehr lesenswert.

 

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