Eine Nebensache betitelt Adania Shibli ihren schmalen Roman, mit dem sie 2020 und 2021 für den National Book Award for Translated Literature und den International Booker Prize nominiert war, genauer gesagt Tafsil Thanawi (Eine Kleinigkeit). Alles andere als eine Kleinigkeit ist aber die Geschichte, die sie im ersten Teil des Romans sparsam, präzise, unerbittlich erzählt.
Es ist der August 1949. Die sengende Sonne prallt unerbittlich auf die Wüste Negev im Süden Israels. Eine kleine Militäreinheit baut in ihrer von Disteln, dürrem Gestrüpp und Steinen geprägten Ödnis ihr Lager auf. Hier, dicht an der ägyptischen Grenze, sollen sie die Gegend durchforsten und von feindlich gesinnten Arabern befreien. Der Staat Israel ist noch jung und hat bereits seinen ersten Unabhängigkeitskrieg hinter sich.
Adania Shibli und mit ihr die Leser:innen folgen nun ganz dicht einem namenlos bleibenden Offizier. Geplagt von einer eiternden Wunde am Bein, die ihm Schmerzen, Fieber, Übelkeit und Schwindel verursacht, schleppt er sich durch seine Tage, macht sich auf einsame Patrouillengänge in die karge Wüstenlandschaft rund ums Lager. Der Stille der Wüste kommt hier eine eigenartige, poetische Schönheit zu, die Shibli in ihrem Text gut vermitteln kann.
Ein schreckliches Verbrechen
Trotz der Nähe zum Protagonisten, gewinnen wir keinerlei Einblick in seine Gedanken und Gefühle. Nur seine Handlungen sprechen für ihn. Dadurch bleibt eine ziemliche Distanz. Schmutz und Getier quälen ihn, darin wirkt er fast neurotisch. Ansonsten scheint er aber korrekt und rational zu handeln. Dann aber kommt der Moment, in dem seine Einheit an einer Quelle eine Gruppe von Beduinen entdeckt. Die Männer werden erschossen, ein junges Mädchen zunächst verschont und ins Lager verbracht.
Man kann ahnen, was danach geschieht. Dennoch verstört der Fortgang der Geschichte nachhaltig. Wahrlich keine „Kleinigkeit“, auch wenn solche Ungeheuerlichkeiten im Krieg wohl als solche verbucht werden. Wir müssen das gerade wieder leidvoll und verzweifelt erfahren.
Dann beginnt Adania Shibli Teil 2 von Eine Nebensache. Wir befinden uns nun in der Gegenwart. Eine junge Palästinenserin übernimmt als Ich-Erzählerin die Geschichte. Sie hat gerade einen neuen Job angetreten und eine neue Wohnung bezogen. Hier wechselt auch der Erzählduktus. Nach dem in kurzen Abschnitten gehaltenen ersten Teil ist der nun folgende Text sehr dicht.
Ein Zeitungsartikel
Die junge Frau liest in der Zeitung einen Artikel, der sie aufhorchen lässt, weil das Geschilderte exakt 25 Jahre vor ihrer eigenen Geburt stattgefunden hat. Es handelt sich um genau das im ersten Teil erzählte Verbrechen. Sie beschließt aus auch ihr selbst nicht ganz nachvollziehbaren Gründen, Nachforschungen anzustellen. Doch das zeigt sich als noch schwieriger als erwartet. Die äußerst komplizierte und für Uneingeweihte schwer zu durchschauende Aufteilung der palästinensischen Autonomiegebiete in Zonen, deren Betretung nicht allen Palästinenser:innen erlaubt und durch verschiedene Checkpoints geregelt ist, verhindert das Unternehmen fast. Ein von einer Kollegin geliehener Ausweis und der „richtige“ Leihwagen erlaubt ihr aber eine gewisse Bewegungsfreiheit. Sie sucht verschiedene Plätze auf, u.a. auch den Ort in der Wüste, der Schauplatz des Verbrechens an dem Beduinenmädchen geworden war.
Verschiedene Motive verbinden die beiden Erzählteile, beispielsweise die Poesie der Stille in der Wüste, der Sauberkeitszwang, dem sowohl der Offizier als auch die Ich-Erzählerin unterliegen, Hunde und deren Gebell. Der zweite Teil macht die fast schon absurde Lage, in der sich die Palästinenser in Israel befinden, die Beschränkungen, die Diskriminierungen, die Wut, auf stille, aber eindringliche Weise deutlich. Der Stil, mit dem Adania Shibli Eine Nebensache erzählt, ist sehr reduziert, aber vielleicht gerade dadurch besonders eindringlich. Ein ganz und gar nicht nebensächlicher Text, der große Aufmerksamkeit verdient.
Die 1974 geborene Palästinenserin Adania Shibli veröffentlichte bisher Kurzgeschichten, Theaterstücke und zwei weitere schmale Romane. Sie lebt in Palästina und Deutschland.
Beitragsbild: Negev-Wüste via Pixabay
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Adania Shibli – Eine Nebensache
Aus dem Arabischen von Günther Orth
Berenberg März 2022, 120 Seiten, Halbleinen, EUR 22,00