Jetzt ist schon wieder was passiert – auch wenn Wolf Haas seinen neuesten Brenner-Roman Müll erneut (wie schon den vorherigen, Brennerova) nicht mit diesem fast schon legendären Anfangssatz beginnt, merkt man sehr schnell, dass es sich wieder um einen dieser sprachspielerischen, ja sprachverliebten, leicht schrägen Romane mit dem „Ermittler“ Simon Brenner handelt, mit denen der Autor Haas seine Leserschaft zunächst so regelmäßig versorgte. Nach Band 6 kam ein Bruch. Es schien, als hätte Haas genug von seinem so erfolgreichen Protagonisten. Anders als in vielen Kriminalserien ließ er am Ende nicht den Brenner, sondern den Erzähler erschießen.
Mit diesem Erzähler hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Wer er genau ist, bleibt offen. Sehr jovial, ein wenig tratschsüchtig und immer sehr darum bemüht, uns Leser:innen über die Welt und den Brenner aufzuklären, macht er die Besonderheit der Reihe aus. Ein ganz eigener Ton, ein sehr artifizielles und doch wie gesprochen wirkendes Österreichisch, ganz typische, stets wiederkehrende Redewendungen und die kumpelhafte Ansprache der Leser:innen zeichnen ihn aus. Mit dem vermeintlichen Tod dieses Erzählers schien auch die Brenner-Serie zu enden. Aber interessant! Der sechste Band hieß nicht zufällig Das ewige Leben. Nach langen sechs Jahren und einigen Protesten seitens der Brenner-Fans kehrte dieser 2009 tatsächlich wieder, in Brenner und der liebe Gott.
„Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.“
Das Maul
So beginnt dieser siebte Band und da ist es auch wieder „das Maul“, der Erzähler. Und mit ihm Simon Brenner, der Ex-Polizist, Ex-Privatdetektiv, Ex-Rettungssanitäter. Mit Müll liegt nun der neunte Teil vor und diesmal mussten die Leser:innen acht Jahre darauf warten (dazwischen erschien 2014 noch Brennerova).
Simon Brenner, dessen Laufbahn alles andere als gerade verlief und der sich altersmäßig schon den späten Sechzigern nähern müsste, ist mittlerweile ein „Mistler“ geworden, wie die Mitarbeiter auf dem städtischen Wertstoffhof genannt werden. Seine letzte Beziehung ist erneut wegen Untreue seinerseits gescheitert, frage nicht. Aber ob du es glaubst oder nicht, der Brenner hat sich ganz gut in seinem neuen Leben eingerichtet, schiebt dort beim Recycling offenbar eine eher ruhige Kugel und hat auch dem irdischen Besitz weitgehend abgeschworen.
„Aber kein Durcheinander. Und am allerwichtigsten, eine klare gedankliche Unterscheidung. Das ist mir gerade am Mistplatz so aufgegangen. Beim Müll geht es ja immer um das Trennen. Darum sag ich, Müll beste Schule für das Denken.“
Eine eigene Wohnung besitzt Brenner nicht mehr, sondern betätigt sich als sogenannter „Bettgeher“. Er „kapert“ durch Urlaub oder sonstige Umstände freistehende Unterkünfte und verlässt sie später durch sorgsamen Umgang damit nahezu unbemerkt. Eine gehörige Portion Groteske gehört zu den Brenner-Romanen immer dazu.
Leichenteile in der Wertstofftonne
Das ruhige Leben von Simon Brenner wird empfindlich gestört, als man in den Wertstofftonnen Leichenteile entdeckt. Die gehören da bekanntlich nicht hinein und rufen die Kriminalpolizei auf den Plan. Die Kommissare Savic und Kopf, letzteren kennt Brenner noch von seiner Zeit als Polizeiausbilder, ermitteln. Bald rückt die schwerkranke, dem Tod geweihte Ehefrau des ermordeten Franz Schall in den Fokus. Diese ist aber spurlos verschwunden. Dann ist da noch die kaufsüchtige Tochter Iris, die Geliebte Roswitha, die das beim Leichenfund bisher vermisste Herz in ihrem Gefrierschrank findet, der Fahrer des Transportunternehmens, Nguyen, der die Leichenteile vermutlich zum Mistplatz gefahren hat, der Transportunternehmer selbst, der Praktikant Coco und noch einige mehr, ja was glaubst du.
Und es wird geredet von der Organmafia. Die Zustimmungsregel in Deutschland, Widerspruchslösung in Österreich – ein Chaos an Regelungen, die Wolf Haas in Müll quasi im Vorbeigehen thematisiert, und die uns bis in den Chiemgau führen. Gesellschaftskritisch sind sie schon auch immer, die Brenner-Romane, wenn auch auf eine leise Art. Eine Portion Kapitalismuskritik schwingt mit. Dennoch, das ist am Ende fast genauso nebensächlich wie die sehr verschlungene Handlung und die „Auflösung“ des Krimiplots (tatsächlich passiert es mit immer wieder und auch bei Müll, dass ich schon kurz nach dem Lesen nicht mehr genau weiß, wer jetzt wie, wann und warum das Verbrechen begangen hat), weshalb die Brenner-Romane auch nicht im eigentlichen Sinn Kriminalromane sind. Zentral ist die Sprache, der Erzählduktus. Wolf Haas ist Linguist, der über konkrete Poesie promoviert hat, und das merkt man seinen Romanen auf ungezwungene Art an.
So verwebt er große, klassische Themen wie Schuld, Sühne und Rache zu einem manchmal recht wilden Plot, der in einer Verfolgungsjagd im Altglaslaster und Tesla gipfelt. Lesevergnügen Hilfsausdruck.
Beitragsbild by GuentherZ, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
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Wolf Haas – Müll
Hoffmann & Campe März 2022, gebunden , 287 Seiten, €24,00
Gute Literatur in Kriegszeiten ?