Als 2020 anlässlich des geplanten Gastlandauftritts von Kanada der Roman Ein steinerner Engel in neuer Übersetzung bei Eisele erschien, war ich nicht nur sehr begeistert, sondern auch sehr erstaunt, dass dieser großartige Text trotz zweimaliger Veröffentlichungen auch auf Deutsch (1965, 1988) hierzulande doch wenig Beachtung erhalten hat. Genauso verwunderlich ist, dass das nun ebenfalls bei Eisele erscheinende Eine Laune Gottes von Margaret Laurence bisher noch nicht einmal in deutscher Übersetzung vorlag. Nun hat ebenfalls Monika Baark diesen u.a. von Margaret Atwood hochgelobten und mit dem Govenor General´s Award, Kanadas renommiertestem Literaturpreis, ausgezeichneten Roman übertragen.
Geschrieben wurde er direkt nach dem Steinernen Engel und im Mittelpunkt steht wieder eine etwas exzentrische Ich-Erzählerin. Diesmal ist es aber keine alte Frau, sondern die erst 34-jährige Grundschullehrerin Rachel Cameron. Sie ist ein richtiges Mauerblümchen, Jungfrau und lebt bei ihrer verwitweten, hypochondrischen und extrem besitzergreifenden Mutter. Ihre Schwester Stacey hat beizeiten die Flucht ergriffen und lebt nun mit Mann und vier Kindern und kommt kaum noch vorbei. Rachel hingegen lässt sich von ihrer Mutter komplett einspannen und hat außer ihrer Kollegin Calla kaum Kontakte nach außen. Diese lebt recht frei (wie befinden uns immerhin in den 1960er Jahren) und ungebunden und ist offenkundig lesbisch. Bei aller Sympathie flößt sie Rachel auch eine Portion Angst ein.
Eine Affäre
Eines Tages trifft Rachel einen alten Klassenkameraden, der gerade auf Heimatbesuch ist. Nick ist ebenfalls Lehrer, allerdings von höheren Klassen, und versteht Rachels große Zuneigung zu „ihren“ Kindern nur bedingt. Für Rachel wird er zur erotischen Offenbarung. Auch wenn sie sich kaum Illusionen über die Dauer dieser Affäre macht, stürzt sie sich Hals über Kopf hinein. Zum ersten Mal stellt sie die Belange ihrer Mutter, die natürlich nicht sehr erfreut ist, hinter die eigenen. Gedanken über Verhütung kommen auf, werden von Rachel aber beiseite gewischt. Es sind die Vor-Pille-Zeiten, Verhütung eher umständlich und weniger schön. Und natürlich komplett Frauensache. „Du kümmerst dich.“ So Nick.
Es kommt, wie es kommen muss. Rachels Regel bleibt aus. Selbstmordgedanken, Suche nach Abtreibungsmöglichkeiten, Träume davon, das Kind zu bekommen. Margaret Laurence beleuchtet in Eine Laune Gottes das Innenleben ihrer Protagonistin intensiv und psychologisch überraschend modern. Es kommt anders als erwartet, aber Rachel macht in der Zeit eine enorme Entwicklung durch. Sie ist als Ich-Erzählerin, ähnlich wie Hagar Shipley in Der steinerne Engel, sehr scharfsichtig, selbstironisch, dabei aber auch frustriert und bissig, wenn auch nicht so hart und unbarmherzig wie diese. In ihr ist auch viel Unsicherheit, durch ihre soziale Isolation gefördert.
Ein Frauenporträt
Wieder gelingt Margaret Laurence ein beeindruckendes und überzeugendes Frauenporträt. Sie siedelt es wie auch bereits den steinernen Engel und einige andere Texte in ihrer fiktiven Stadt Manawaka in Manitoba an und schafft damit gleichzeitig das authentische Gesellschaftsporträt einer kanadischen Kleinstadt der Sechziger Jahre, ihrer Enge, ihrer Borniertheit, ihrer Spießigkeit. Der Glaube, der für die Mutter noch eine große Rolle spielt, ist Rachel keine Stütze. Und dass Sexualität für Frauen offiziell nur in einer Ehe stattfinden durfte, inoffiziell von den Männern aber gerne trotzdem eingefordert wurde, ohne irgendwelche Verantwortung übernehmen zu müssen und auch die Gesellschaft da völlig versagte – ja, das wussten wir vielleicht auch bereits vorher. Aber Margaret Laurence zeigt es in Eine Laune Gottes auf ganz eindrückliche Weise erneut. Und das hat trotz veränderter Rahmenbedingungen kaum an Aktualität verloren.
Beitragsbild: Bundesarchiv, Bild 183-S75969, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
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Margaret Laurence – Eine Laune Gottes
Aus dem Englischen übersetzt von Monika Baark
Eisele Verlag April 2022, 288 Seiten, gebunden, € 22,00
Fand den steinernen Engel auch ziemlich stark, Nichtbeachtung und fehlende Übersetzungen wundern mich allerdings nicht. Ins Deutsche wird eh schon ziemlich viel übersetzt, aber es gibt halt einfach krass viel Literatur. Wahrscheinlich wird die Masse des Lesenswerten immer unübersetzt bleiben.
Das stimmt wohl. Ich bin froh, dass die Gastlandauftritte jedes Jahr da so manches hervorholt.