Jean-Marie Gustave Le Clézio – Bretonisches Lied

Der Franzose Jean-Marie Gustave Le Clézio veröffentlichte bisher mehr als 40 Bücher und erhielt 2008 den Nobelpreis für Literatur. Viele davon liegen auch in deutscher Übersetzung vor und doch habe ich das Gefühl, dass der Autor hierzulande nicht zu den ganz bekannten gehört. Auch ich habe ihn nach der Lektüre von Der Goldsucher, die schon viele Jahre zurückliegt (das muss eigentlich ziemlich bald nach der Veröffentlichung 1985 gewesen sein), aus den Augen verloren. Nun legt der Verlag Kiepenheuer und Witsch zwei neue Erzählungen von Jean-Marie Gustave Le Clézio in der Übersetzung von Uli Wittmann vor – Bretonisches Lied.

Beide Erzählungen umfassen Kindheitserinnerungen des 1940 in Nizza geborenen Autors mit Wurzeln in der Bretagne und auf Mauritius, wohin Vorfahren auf der Flucht vor der Französischen Revolution emigrierten. Während des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzung fühlte sich seine Mutter, die sowohl die französische als auch die britische Staatsbürgerschaft besaß und daher als feindliche Ausländerin galt, bald weder in der Bretagne noch in Nizza sicher und floh mit ihren beiden Söhnen in die Berge, wo sie bei Bauern unterkam. Der Vater schloss sich als Militärarzt der britischen Armee an und war lange Zeit in Nigeria tätig. Nach dem Krieg verbrachte J.M.G. Le Clézio einige Jahre in Afrika, bevor die Familie nach Frankreich zurückkehrte.

Bretonisches Lied

In Bretonisches Lied, der ersten der beiden Geschichten, erzählt Jean-Marie Gustave Le Clézio von der Bretagne, in die er während seiner Afrikajahre 1948 bis 1954 in den Sommern reiste. Hier liegt der Ursprung der Familie, hierher in den kleinen Ort Sainte-Marine an der Mündung des Flusses Odet südlich von Quimper kehrte sie Jahr um Jahr zurück. Eindrücke, Erinnerungen, kleine Anekdoten reiht Le Clézio hier aneinander. Eine chronologische Kindheitsgeschichte ist ausdrücklich nicht sein Ziel. Die Bruchstücke setzt er nicht nur zu einem stimmungsvollen, auch ein wenig nostalgischen Blick zurück zusammen, sondern nutzt die Beobachtungen, um den traditionell rebellischen Charakter der Bretonen zu betonen und gleichzeitig ein wenig in die Geschichte der Bretagne einzutauchen. Eine längst durch eine moderne Brücke ersetzte Fähre, der immer weiter ausufernde Tourismus, das Verschwinden der kleinen Fischer und anderer Dinge, sind seine „verlorene Zeit“.

Das Kind und der Krieg

Die zweite Geschichte „Das Kind und der Krieg“ erzählt von der ganz frühen Zeit in Südfrankreich während des Krieges 1940 bis 1945. Hier sind natürlich die eigenen Erinnerungen rar. Eine hat sich aber unauslöschlich in das Gedächtnis des damals Dreijährigen gebohrt, als sich nämlich 1943 eine Fliegerbombe in den Vorgarten der Großmutter in Nizza bohrte und mit einem enormen Knall explodierte. Der Familie passierte zum Glück nichts, Jean-Marie Gustave Le Clézio erinnert sich aber noch an den grässlichen Schrei, der ihm damals entfuhr. Dieser traumatische Vorfall „hat mich gewalttätig gemacht.“

Die Auswirkungen des Kriegs, besonders auch auf Kinder, sind demnach etwas, das im Mittelpunkt des Textes steht. Die Flucht mit der Mutter in die Berge, die Angst und der ständige nagende Hunger, das sind Dinge, an die sich der Autor noch recht gut erinnern kann.

„Es ist ein schriller Schrei, von dem ich den Eindruck habe, wenn ich mich zu erinnern versuche, dass er nicht aus meiner Kehle dringt, sondern aus der ganzen, mich umgebenden Welt. Er verschmilzt mit dem Lärm der Detonation, der mir fast das Trommelfell zerreißt. Er bildet ein Ganzes mit meinem Körper. Mein Körper schreit, nicht meine Kehle. Ich habe diesen Schrei nicht gewollt. Ich habe diesen Augenblick nicht gewollt. Das bedeutet Krieg für ein Kind. Es hat nichts von alledem gewollt.“

Eine angesichts der aktuellen Lage besonders eindrückliche Geschichte. Nachdenklich, still, emotional, dabei aber ganz schlicht. So könnte man diese beiden bewegenden Geschichten charakterisieren. Definitiv einen Blick wert.

 

Beitragsbild: Sainte Marine by Jeanne Menjoulet (CC BY 2.0) via Flickr

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J. M. G. Le Clézio - Bretonisches Lied.

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Jean-Marie Gustave Le Clézio – Bretonisches Lied
Übersetzt von: Uli Wittmann
Kiepenheuer&Witsch April 2022, 192 Seiten, € 22,00

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