Milde Gaben – Milde Spannung. So könnte man titeln, wäre nicht das schon eine regelrechte Übertreibung. Donna Leon, wahrlich noch nie eine Vertreterin der handlungsgetriebenen, actionreichen Spannungsliteratur, sondern eher der leisen, atmosphärischen Krimis, hat sich mit ihrem neuesten Brunetti, dem mittlerweile 31. Band, Milde Gaben, selbst über- oder soll man lieber sagen unterboten. Ist es typisch und irgendwie liebgewonnene Tradition, dass in den jährlich im Mai erscheinenden Vendig-Krimis die Verbrechen sich erst im Laufe der Erzählung herauskristallisieren, ja manchmal gar nicht wirklich vorhanden sind, und sich auch die Sapnnung sehr langsam auf ein eher mittleres Niveau hochschraubt, weiß man bei Milde Gaben als Leserin tatsächlich auch am Ende nicht, was Donna Leon da eigentlich erzählt hat.
Es ist das zweite Jahr der Pandemie in Venedig, und es ist tatsächlich bemerkenswert, dass die Autorin hier zum zweiten Mal (nach Flüchtiges Begehren von 2021) auf ganz aktuelle Ereignisse zurückgreift. Ist ihr Brunetti und seine Entourage doch in den vergangenen dreißig Jahren nahezu zeitlos geblieben und nur sehr moderat gealtert. Nun schlägt er sich mit Maskenpflicht und Coronabestimmungen herum. Wegen der Pandemie sind nicht nur wenige Touristen unterwegs (auf die Brunetti sonst gern den einen oder anderen Seitenhieb macht), sondern auch in Sachen Verbrechen ist noch weniger los als sonst. Deswegen kann Commissario Brunetti auch seine besten Mitarbeiter:innen, Sergente Vianello, Claudia Griffoni und Signorina Elettra, in einem Fall einspannen, der selbst für ihn eigentlich keiner ist.
Ein Fall?
Eine alte Bekannte, deren verstorbener Mutter sich Guido Brunetti noch aus Kindertagen verpflichtet fühlt, bittet ihn um Hilfe. Elisabetta Foscarini macht sich Sorgen um ihre Tochter, die Tierärztin Flora. Diese verhalte sich in letzter Zeit merkwürdig und äußere sich dahingegehend, dass ihr Ehemann, der Buchhalter und Steuerberater Enrico, möglicherweise in üble Geschäfte verwickelt sein könnte. Man ermittelt ein wenig hier und dort und stößt auf die Stiftung des Ehemanns von Elisabetta, der damit ein Krankenhaus im mittelamerikanischen Belize gegründet hat, das er nun regelmäßig, meist in Begleitung seiner attraktiven Finanzberaterin, besucht. Alles ein wenig undurchsichtig, aber unspektakulär und die unterbeschäftigten Commissari verfolgen den Fall ähnlich uninteressiert wie die Leserin.
Da wird in die Tierarztpraxis der Tochter Flora eingebrochen, die Räume werden verwüstet und ein Hund büst offensichtlich ein Ohr ein (so ganz klar wird das nicht). Das steigert das Interesse von Brunetti, leider aber nicht das der Leserin. Dem Commissario wird allmählich, durchaus zu allmählich, klar, dass die Dinge ganz anders liegen als von Elisabetta dargestellt. Dass im Hintergrund dann doch ein Verbrechen oder eher eines der bei Donna Leon eigentlich immer vorkommenden dubiosen Geschäfte lauert, schraubt die Spannung auch nicht mehr hoch.
Nicht mein Fall!
Donna Leon schreibt wie gesagt nie sehr handlungsorientiert oder spannungsgeladen. Weshalb man ihre Brunetti-Romane dennoch sehr gerne und regelmäßig liest, ist die Atmosphäre, das Venedig-Ambiente, Brunetti und seine Familie, die liebgewordene Figuren geworden sind, und die leise und doch oft scharfe Gesellschaftskritik, die meist mitschwingt. Bei Milde Gaben vermisse ich fast alles davon. Die Familie kommt nahezu nicht vor, deswegen auch kaum oppulente Essen auf der bezaubernden Dachterrasse aufgetischt werden, wenig Venedig-Flair oder geistreiche Gespräche, die über die mangelnde Spannung hinwegtrösten könnten.
Milde Gaben ist nur für wirklich hartgesottene Donna Leon-Fans eine Empfehlung. Bleibt zu hoffen, dass die Autorin, die Venedig mittlerweile den Rücken gekehrt hat und in der Schweiz lebt, nicht die Lust an ihrem Sujet verloren hat, sondern dass der neueste Fall nur eines der vielen Corona-Opfer darstellt. Dass es besser geht, hat sie in ihrem gelungenen Jubiläumsband Flüchtiges Begehren bewiesen.
Venetian Logoon near Burano by Vyacheslav Argenberg (CC BY 2.0)
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Donna Leon – Milde Gaben
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
Diogenes Mai 2022, Hardcover Leinen, 352 Seiten, € 25.00
Leider haben Sie vollkommen recht, Frau Reich. Ein ganz schwacher Brunetti-Roman.
Leider, der neue ist wieder besser. 😉