Tsitsi Dangarembga – Verleugnen

Mit Verleugnen ist nun auch der letzte Band der Tambudzai-Trilogie der Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga auf Deutsch erschienen. Ich habe ihn nach der eigentlichen Reihenfolge, in der er im Original 2006 als The book of not nach dem ersten Teil Aufbrechen (Original Nervous conditions, 1988) folgte, gelesen, kenne also den im letzten Jahr ebenfalls in der Übersetzung durch Annette Grube erschienenen dritten Teil Überleben bisher noch nicht.

Verleugnen schließt direkt an den Vorgängerband an. Das Mädchen Tambudzai Sigauke konnte durch die Großzügigkeit ihres Onkel Babamukuru, der nach einem Studium in England Leiter einer Missionsschule ist, und dem frühen Tod ihres Bruders, der ursprünglich gefördert werden sollte, einen in den Sechzigerjahren im damaligen Rhodesien für Schwarze Mädchen eher ungewöhnlichen Bildungsweg einschlagen. Durch gute Leistungen an der Missionsschule erhielt sie ein Stipendium am „Young ladies college of the sacred heart“, der besten privaten Mädchenschule des Landes. Nur einer Handvoll Schwarzer Schülerinnen steht dieser Weg offen. Und das auch eher in Alibifunktion. Wie wenig willkommen sie tatsächlich sind, muss Tambu bald erfahren.

Der Roman beginnt aber zunächst auf ganz anderem Terrain. Das junge Mädchen nimmt – gezwungenermaßen – an einer politischen Versammlung in ihrem Heimatdorf teil, bei der ihr Onkel Babamukuru wegen seiner guten Beziehungen zu den Weißen Siedlern von Rebellen abgestraft wird. Diese kämpfen in den Siebzigerjahren gegen die Weiße Smith-Regierung, besonders nahe ihrer Rückzugsorte im benachbarten Mosambik. Babamukuru wird dabei schwer misshandelt und hätte diese „Befragung“ vielleicht nicht überlebt, wenn Tambus jüngere Schwester Netsai, die für die Rebellentruppe Botengänge erledigt, nicht auf eine Landmine getreten wäre, die ihr das Bein wegreißt, und der Onkel, der einzige im Dorf mit Auto, diese nicht sofort ins Krankenhaus transportieren müsste. Dieses grausame Unglück begleitet Tambudzai noch lange in ihren (Wach)träumen. Ein Verdienst des Buches ist, die Gewalt des Bürgerkriegs immer wieder auf beiden Seiten schonungslos zu benennen.

Das Dorf bleibt fortan ein Ort, in den Tambu nur sehr widerwillig zurückkehrt. Ihr Verhältnis zu den Eltern und besonders zur Mutter ist zudem denkbar schlecht. Aber auch in der Schule ergeht es den Schwarzen Mädchen nicht gut. Zu sechst sind sie in ein kleines Vierbettzimmer gepfercht, werden von den meisten Lehrerinnen abschätzig behandelt und immer hintangestellt. Für Tambudzai, die schon krankhaft ehrgeizig ist, ist das sehr demütigend. Noch verbissener lernt sie. Sie ist seit dem ersten Band, Aufbrechen, nicht sympathischer geworden. Tsitsi Dangarembga beobachtet sie stets mit einer gewissen Distanz und Ironie. Neid, Gehässigkeit, Stolz und Opportunismus sind Charakterzüge, die sie mit dem Älterwerden eher noch mehr ausgeprägt hat. So ist sie auch in erbitterter Rivalität zu einem anderen Schwarzen Mädchen, Ntombizethu, gefangen.

„Ich musste absolut überragend oder nichts sein.“

Trotzdem Tambu schließlich ihre Mittlere Reife mit Bestnote abschließt, bekommt dennoch ein Weißes Mädchen die Auszeichnung. Durch kriegsbedingte Einschränkungen an der Schule fällt auch ihre Abiturprüfung enttäuschend aus. Tambu muss erfahren, dass trotz ihrer Anpassung an das Weiße Herrschaftssystem und das damit eingegangene Risiko, zwischen alle Fronten zu geraten, der Aufstieg für Schwarze, zumal Schwarze Frauen, praktisch verstellt ist. Sie stößt überall an Grenzen. Enttäuscht nimmt sie eine Anstellung als Texterin in einer Werbeagentur an. Aber auch hier das gleiche Spiel, diesmal heimsen die männlichen Kollegen den Erfolg ein.

Es ist ein desillusionierter, ein bitterer Blick auf die Situation junger Schwarzer, vornehmlich Schwarzer Frauen in Simbabwe. Und eine Anklage, dass sich von den Sechziger zu den Achtziger Jahren, vom Kolonialreich über die weiße Smith-Regierung bis zur Regierung Mugabe herzlich wenig für sie geändert hat, die gläserne Decke den Aufstieg effektiv verhindert, Rassismus und das Patriarchat unvermindert herrschen. Kein hoffnungsvoller Blick auf Tambus weiteren Lebensweg und Band 3 der Trilogie, This mournable body/ Überleben. Ich freue mich dennoch auf diesen Abschluss der erhellenden, beeindruckenden Tambudzai-Trilogie.

 

Beitragsbild by Erik Törner (CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr

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Tsitsi Dangarembga - Verleugnen.

Tsitsi Dangarembga – Verleugnen
Deutsch von Anette Grube
Orlanda Verlag September 2022, 306 Seiten, Klappenbroschur, 24,00 €

 

 

 

 

 

6 Gedanken zu „Tsitsi Dangarembga – Verleugnen

  1. Was für ein trauriges Buch!
    Den zweiten Band empfand ich als wesentlich bedrückender als den ersten. Während Tambu im ersten Band noch ihre Ziele erfolgreich selbst in die Hand nehmen kann und entgegen aller Widerstände zur Dorfschule zurückkehrt, beginnt für sie mit dem ersehnten Umzug zu ihren Verwandten in der Mission ein sehr freudloses Leben, auf das sie überhaupt keinen Einfluss mehr hat.
    Sie wächst vollkommen ohne Liebe auf. Ihre Mutter verzeiht ihr nicht, dass sie das Leben der Weißen lebt. Ihr Onkel interessiert sich ausschließlich für ihre Leistungen und beschimpft sie, wenn etwas nicht so läuft, wie er das erwartet. Ihr enormer Fleiß und ihr Ehrgeiz rührt daher, dass Leistung das einzige ist, was ihr überhaupt irgendeine Art von Anerkennung bringt. Ihre Person, ihre – durch den täglichen Rassismus in der Schule, die schrecklichen Erlebnisse im Dorf, den aufbrausenden Onkel, die ständige Angst, in das dörfliche Elend zurück zu müssen -gequälte Seele, all das interessiert niemanden. So wird sie letztendlich von ihrem Onkel aus der Familie ausgestossen, weil ihr Schulabschluss nicht gut genug war. Dass Tambu die letzten beiden Jahre überhaupt nicht am Unterricht teilnehmen durfte und nur die Mitschriften einer Mitschülerin als Lernmaterial hatte, interessiert Babamukuru nicht.
    Verständnis oder gar Mitleid gibt es in Tambus Leben nicht und sie empfindet folglich auch keins, weder mit sich selbst noch mit anderen. Sie lebt mit einer unsäglichen Scham, weil sie versagt hat, und sie weiß, dass der Weg zurück in die Familie und überhaupt in die Gesellschaft für sie nur mit außerordentlichen Leistungen zu erreichen ist.
    Weder mit ihrem mageren Lehrerinnengehalt noch mit dem Job in der Werbeagentur genügt sie den Ansprüchen der Familie und sie kann sich nicht im Dorf blicken lassen, ohne mit Häme überschüttet zu werden. Damit vergeht ihr auch jede Freude an der Arbeit und man muss sagen – am Leben. Ihre Scham verhindert, dass sie mit anderen Leuten persönlichen Kontakt aufnehmen oder gar Freundschaften schließen kann. Sie lebt in einem Vakuum aus Scham und Einsamkeit und hofft, dass sich irgendwo der Job auftut, mit dem sie sich stolz der Familie präsentieren kann.
    Man muss sagen, dass es auch gar keine wirkliche Alternative für sie gibt, denn das Leben als Frau auf dem Land empfindet sie ja zu Recht als furchtbar, wenn sie an ihre Familie denkt.
    Da alles strikt aus Tambus Sicht erzählt wird, bleibt etwas unklar, ob es in anderen Familien auch so lieblos zugeht. Ich hatte den Eindruck, dass ihre schwarzen Mitschülerinnen mehr Selbstbewusstsein hatten, was auch auf mehr Unterstützung von zuhause schließen lässt.

    1. Liebe Ulrike,
      vielen Dank für deine Gedanken zum Buch. Es ist wirklich erstaunlich, wie genau Dangarembga in ihre Protagonistin hineinschaut und wie sie auch ambivalente Dinge nicht aussprat. Zumal das Buch ja autobiografisch gefärbt ist. Ich habe auch eine große Bewunderung für diese Autorin und bin gespannt auf Teil 3, den ich immer noch vor mir habe. Viele Grüße!

  2. Liebe Petra,
    Gerade hatte ich das erste Buch „Aufbrechen“ von Tsitsi Dangaremba gelesen, da fiel mir die Fortsetzung „Verleugnen“ in einem tollen Buchladen in Hamburg („Stories“) in die Hände. Also ging es direkt in die zweite Runde. Und genauso wie beim ersten Buch war ich positiv überrascht, dass hier keine Klischees bedient werden. Das ist keine erfolgreiche Aufsteigergeschichte und auch keine Heldenepos einer kolonialen Befreiung, sondern die eindrucksvolle Beschreibung der Zerrissenheit der Protagonistin, die unter Rassismus und Entfremdung leidet und zum Schluss einsehen muss, dass ihr Lebensplan gescheitert ist.
    Ich fand vor allem die detaillierte Schilderung von Schlüsselszenen beeindruckend: Wie stellt sie sich beim Morgenappell auf der katholischen Internatschule an, ohne die ungeschriebenen Distanz-Regeln zwischen schwarzen und weißen Schülerinnen zu verletzen? Wie verdrängt sie die Misshandlung ihres Onkels und Gönners durch Guerilla-Kämpfer? Wie windet sie sich beim Telefonat mit der Mutter, die den Onkel einst verraten hat und mit der sie nichts mehr verbindet?
    Dieses Buch hat mir viele neue Perspektiven auf die jüngere Vergangenheit von Simbabwe eröffnet. Es wird seinen Platz bei mir im Bücherschrank finden, weil ich es sicher noch einmal lesen werde und gerne in der Nachbarschaft verleihe.
    LG Anke

    1. Liebe Anke, wie schön, dass du wieder vorbeischaust. Mich beeindruckt an der „Tambu-Trilogie“ sehr, wie ambivalent Dangarembga bei allem autobiografischen Hintergrund ihre Protagonistin und ihr Umfeld darstellt. Zerrissenheit trifft es gut. Ich habe im letzten Jahr das Vergnügen gehabt, Tsitsi Dangarembga in Frankfurt bei einer Veranstaltung zu hören und sehen. Eine sehr beeindruckende und gleichzeitig sympathische Frau. Ich freue mich nun auf Überleben (das hier bereitliegt, aber noch ein paar andere Bücher vorlassen muss). In deinen Bücherschrank aufgenommen zu werden, ist ja, wie du mir erzählt hast, schon eine kleine Ehre. Ich werde mich auch ganz sicher nicht von der Trilogie trennen. Viele liebe Grüße nach Springe, Petra

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