Toril Brekke – Ein rostiger Klang von Freiheit

Als 2019 Norwegen Gastland der Frankfurter Buchmesse war, tauchte der Name Toril Brekke, zumindest für mich, nicht auf. Dabei hatte die 1949 geborene Autorin schon etliche ihrer Bücher in Deutschland veröffentlicht. Nur erschien leider keines davon neu oder in Neuauflage. Umso schöner, dass man nun mit Rostiger Klang der Freiheit ihren neuesten Roman von Toril Brekke in der Übertragung von Gabriele Haefs bei Stroux edition entdecken kann.

Schauplatz des Buches ist das Oslo der Jahre 1967/68, eine Welt im Aufbruch, mit neuen Vorstellungen vom Zusammenleben, von Mitbestimmung, Freiheit und Emanzipation. Wie überall in Europa und Amerika, und doch mit typisch norwegischer Prägung.

Agathe

Agathe, die Ich-Erzählerin, steht kurz vor dem Abitur, ist fast erwachsen und wechselt aus eigenem Antrieb von der stockkonservativen Schule, die sie bisher besucht hat, auf das von Mosse Jørgensen geführte Forsøksgymnaset, dem „Versuchsgymnasium“, einer an der Reformpädagogik von Summerhill orientierten Sekundarschule mit großen Freiheiten für Schüler:innen und Lehrpersonal. Hier wird die von Teilen der Gesellschaft, vor allem der Jugend, geforderte Basisdemokratie gelebt. Für die ruhige Agathe, die gerade eine Liebesbeziehung zu einem deutlich älteren Mann hinter sich hat, eine berauschende neue Erfahrung.

Bisher hat Agathe sehr viel Verantwortung, besonders für ihren jüngeren Bruder, den zwölfjährigen Morten, übernommen. Seitdem die Mutter von einem Tag auf den anderen verschwunden ist, kümmert sie sich vor allem um das psychische Wohlergehen von Morten, der sehr unter der fehlenden Mutter leidet. Die Jazzmusikerin Veronica ist eines Tages sang- und klanglos mit dem Bassisten Lennart nach Kopenhagen gegangen. Als die Kinder sie dort aufspüren, verweigert sie den Kontakt mit ihnen. Das verstört Morten nachhaltig. Nur seine Freunde Sander, Willy, Pilo und Roger können ihn aus der Lethargie, in die er fällt, befreien. Dass sein vermeintlicher Vater Isak, bei dem Veronica die Kinder zurückgelassen hat, gar nicht sein leiblicher Vater ist, vermutet er schon eine Weile. Nun will er diesen mit seinen Freunden zusammen aufspüren. Dass die Spur nach Frankreich führt, verrät ihm Agathe.

Familie

Agathe hegt eigene Zweifel, was die Familie betrifft. Auch sie zweifelt daran, dass der Klavierstimmer Isak tatsächlich ihr Vater ist, obwohl sich dieser so verantwortungsvoll zeigt. Aber wer könnte es dann sein? Und warum verhält sich die Mutter so abweisend, ja brutal ihren Kindern gegenüber? Die Großeltern sind keine Hilfe bei der Beantwortung der Fragen. Der autoritäre Großvater und besonders die stille Großmutter leiden selbst unter dem Auseinanderbrechen der Familie. Der Sohn Jannik ist bereits in jungen Jahren zur See gefahren und hat seit dreizehn Jahren nichts von sich hören lassen. Die Tochter Helene lebt mit ihrer Familie in Frankreich. Was steckt hinter all dieser negativen Familiendynamik? Das Geburtstagsfest des Großvaters wird es ans Licht bringen.

Toril Brekke erzählt ihre Geschichte in Ein rostiger Klang von Freiheit auf so frische wie intensive Weise, sehr atmosphärisch und trotz der angesprochenen schweren Themen leicht. Die Musik, die für viele der Protagonisten im Mittelpunkt ihres Lebens steht, ist auch für das Buch wichtig und verleiht ihm einen ganz eigenen Sound. Es ist sowohl ein Coming-of-age-Roman als auch ein vielschichtiges Gesellschaftsporträt Norwegens in den späten 1960er Jahren. Zeithistorisches wie die Studentenrevolten, der Vietnamkrieg, der Prager Frühling, die Ermordung Martin Luther Kings wird mühelos, wenn dadurch auch ein wenig flüchtig eingewebt. Der gesellschaftliche Aufbruch wird durchaus positiv, aber auch ambivalent geschildert. Der Klang der Freiheit ist nun eben eher ein rostiger. Die Freiheit, die man sich nimmt, kann für den anderen Schmerz bedeuten. So wie für Veronicas Kinder. Oder für die Großmutter.

Eine rostige Freiheit

Aber auch die neue sexuelle Freiheit wird durchaus ambivalent geschildert. Gerade in diesen Aufbruchsjahren diente sie doch in erster Linie den Männern, das macht Toril Brekke in Ein rostiger Klang von Freiheit auch deutlich. Wenn es dann um echte Emanzipation geht jammern sie:

„Die Drecksdroge der Freiheit, und plötzlich glauben die Mädels, sie könnten machen, was sie wollen. Plötzlich stehen sie da und bewerten uns und wählen.“

Toril Brekke hat ein tolles Buch geschrieben und durch die auf Abstand rückblickende Ich-Erzählerin Agathe eine geschickte Erzählperspektive gewählt. Die Leserin ahnt bald, auf was die Geschichte hinausläuft, die Autorin baut etliche kleine Hinweise dazu ein. Ich finde es dann umso bedauerlicher, dass es auf den letzten zehn Seiten eine explizierte „Aufklärung“ gibt. Da hätte Toril Brekke ihren Leser:innen durchaus mehr zutrauen dürfen. Dieses Ende schmälert den sehr positiven Gesamteindruck des Buchs tatsächlich ein wenig. Eine Leseempfehlung ist es dennoch.

 

Weitere Besprechungen auf Zeichen und Zeiten und bei Kulturbowle

Beitragsbild: demonstrasjonstog 1968 by Røstad, Paul Andreas (CC BY-SA 4.0) via digitaltmuseum.no

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Toril Brekke - Ein rostiger Klang von Freiheit.

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Toril Brekke – Ein rostiger Klang von Freiheit
Aus dem Norwegischen von GABRIELE HAEFS
Stroux edition März 2022, 332 Seiten, gebunden, € 24,00

 

2 Gedanken zu „Toril Brekke – Ein rostiger Klang von Freiheit

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