Seit einiger Zeit werden erfreulicherweise immer wieder Texte von Autorinnen veröffentlicht, die bereits vor Jahrzehnten geschrieben und meist im Original auch als Buch veröffentlicht wurden, es aber nicht zur Übersetzung ins Deutsche kam oder aber diese Übersetzung es im deutschen Buchmarkt nicht zu (bleibender) Aufmerksamkeit geschafft hat und deshalb seit langem vergriffen ist. Warum dieses Schicksal vor allem Texten aus weiblichen Händen beschieden ist, kann man nachlesen, nicht zuletzt in einem parallel zu Ich steh hier und bügle erschienenen Essayband von Tillie Olsen: Was fehlt. Unterdrückte Stimmen in der Literatur. Hier wird auch und vor allem auf das Fehlen wichtiger weiblicher Stimmen im Literaturkanon hingewiesen. Es vermag nicht zu verwundern, dass auch dieser Band erstmals nach seiner Veröffentlichung 1978 auf Deutsch erscheint.
Die Sammlung von vier Storys von Tillie Olsen, die nun unter dem Namen Ich steh hier und bügle erscheinen, ist sogar noch älter und wurde unter dem Titel Tell me a riddle bereits 1961 veröffentlicht. Warum Tillie Olsens schriftstellerisches Werk so schmal ist, lässt sich weitgehend aus ihrer persönlichen Geschichte erklären. 1912 in Nebraska als Kind russisch-jüdischer Einwanderer, die vor dem zaristischen Regime wegen ihrer kommunistischen Überzeugungen geflohen waren, geboren, herrschte in ihrer Kindheit und Jugend steter Mangel. Früh engagierte sich Tillie in der kommunistischen Jugend und bei den Gewerkschaften, brach die Highschool ab, hatte mehrere schlecht bezahlte Jobs und wurde wegen der Organisation eines Arbeiterstreiks verurteilt. Früh heiratete sie einen deutlich älteren kommunistischen Aktivisten, bekam mit 20 ihr erstes Kind, trennte sich und hatte mit ihrem zweiten Mann Jack Olsen drei weitere Töchter.
Wenig Schreibzeit
Tillie Olsen musste stets hinzuverdienen, vier Kinder großziehen und besaß eine angeschlagene Gesundheit – äußerst schwierige Schreibbedingungen.
»Ich bin eine Überlebenskämpferin. Jede Frau, die schreibt, ist eine Überlebenskämpferin.«
Ein schmales Werk, aber nicht unbeachtet, wurden Olsens Essays und Stories für viele Kolleg:innen zur Inspiration. Ihre Themen – Mutterschaft, Frausein, Armut und Klassenschranken, politisches und gesellschaftliches Engagement und Diskriminierung von Gesellschaftsgruppen – sind heute noch genauso aktuell wie ihre moderne Art zu schreiben. Die vier kurzen Geschichten von Tillie Olsen, die im Band Ich steh hier und bügle versammelt sind, sind formal eigenwillig, dicht, intensiv und zeugen von einer mutigen literarischen Selbstermächtigung. Von der im inneren Monolog gehaltenen ersten Story reichen die literarischen Mittel von häufigen Perspektiv- und Zeitenwechseln über Stimmenvielfalt bis zu einem besonderen Schriftbild – etwa durch Einrückungen, Kursivschreibweise, Unterstrichen, Auslassungen.
Die vier Geschichten erzählen, sehr lose zusammenhängend – als Leser:in erkennt man den Zusammenhang erst allmählich durch wieder auftauchende Personen – von drei Generationen einer Familie. In der ersten, titelgebenden, hören wir dem inneren Monolog einer Mutter zu. Auslöser ihrer Selbstbefragung, zaghaften sowohl Selbstanklage als auch Rechtfertigung ist der Anruf einer nicht näher bezeichneten Person, die um ein Gespräch über die neunzehnjährige Tochter Emily bittet:
„Sie ist eine Jugendliche, die Hilfe braucht, und mir liegt sehr daran, ihr zu helfen.“
Rückblick einer Mutter
Selbst im gleichen Alter, hatte die Ich- Person Emily zur Welt gebracht, musste sie früh in den Kindergarten geben, da sie alleinerziehend arbeiten musste. Später kam eine Erkrankung des Kindes hinzu und eine längere Trennung durch einen Aufenthalt im Erholungsheim. Manches sicher nicht ganz glückliche Verhalten der Mutter, vor allem aber die Gründung einer neuen Familie mit weiteren, auch optisch so gar nicht ähnlichen Kindern, führten zur Entfremdung zwischen ihr und Emily. Besonders die Konkurrenz zur so ganz anderen Schwester Susan, prägte deren Kindheit. Hätte man etwas anders machen können? Sicher, fragt sich nur wie, damals in den Zeiten der Depression in den 1930 er Jahren.
„Lasst sie in Ruhe. Alles was in ihr stecken mag, wird also nicht erblühen – aber bei wie vielen gelingt das schon? Es bleibt noch genug, um davon zu leben. Nur helft ihr zu erkennen – macht dabei mit, dass es Grund für sie gibt zu erkennen -, dass sie mehr ist als dieses Kleid auf dem Bügelbrett, hilflos dem Bügeleisen ausgeliefert.“
He, Seemann, wohin die Fahrt
Die zweite Geschichte ist deutlich weniger zugänglich und fragmentierter, vielleicht aber auch noch besser. „He, Seemann, wohin die Fahrt“ erzählt von einer Familie, die immer wieder einen befreundeten Seemann bei sich aufnimmt, obwohl dieser immer mehr dem Alkohol verfällt und sozial absteigt. Es sind der Krieg und Enttäuschungen, die Whitey gebrochen haben. Während die Eltern zu ihm halten, wenn auch eher aus Nostalgie, wenden sich die Kinder von ihm ab, demütigen ihn.
In der dritten Geschichte wird vom Bruch der Freundschaft zwischen zwei Mädchen erzählt, die in der Kindheit unzertrennlich waren. Die eine Weiß, die andere Schwarz – die Gesellschaft treibt sie unweigerlich auseinander.
In der letzten und längsten Geschichte geht es um die Ehe von Eva und David. Die beiden haben sich nach langer Ehe und dem Erwachsenwerden von sieben Kindern auseinandergelebt. Es ist die Rede von „gewohnheitsmäßiger Grausamkeit“. Etwas, das vielen langjährigen Ehen nicht unbekannt ist. Als Eva schwer erkrankt, verreisen sie noch einmal zusammen, kommen sich auch wieder näher. Wie in allen vier Erzählungen ist das sehr berührend erzählt, aber ohne jegliche Sentimentalität. Knapp und lakonisch.
Es ist ein großes Glück, dass Tillie Olsen und ihre Geschichten in Ich steh hier und bügle endlich hierzulande entdeckt, übersetzt und veröffentlicht wurden. Eine großartige Stimme, die in Zukunft, auch wenn sie physisch bereits seit 2017 verstummt ist, nicht mehr unterdrückt und hoffentlich zahlreich gehört und gelesen wird.
Beitragsbild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F001163-0012 / Unterberg, Rolf / CC-BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
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Tillie Olsen – Ich steh hier und bügle
Storys
Übersetzer:innen: Adelheid Dormagen, Jürgen Dormagen
Aufbau Verlag Oktober 2o22, gebunden, 160 Seiten, 22,00 €