1865. Die Konföderierten Südstaaten sind den in der Union verbliebenen Nordstaaten von Amerika endgültig unterlegen. Die Sklaverei wird auch auf den großen Plantagen des Südens abgeschafft, Unionstruppen kontrollieren die Freilassung der Sklav:innen. Dass sich der große Konflikt, der 1861 zu einer Spaltung der Vereinigten Staaten geführt hat und die Bevölkerung ideologisch tief trennt, nach vier Jahren brutaler Kriegsführung mit geschätzt 600.000 Toten so einfach auflöst, ist unmöglich. Zu fest sind rassistische Ansichten und wirtschaftliche Abhängigkeiten von der Sklavenhaltung in der Südstaatenbevölkerung zementiert. Und was soll eigentlich mit den Millionen Freigelassenen passieren? Nathan Harris hat diesen speziellen historischen Moment für seinen 2021 auf der Longlist des Booker Prize platzierten Roman Die Süße von Wasser gewählt.
Auch in Georgia ist die Sklavenbefreiung angekommen. Der zurückgezogen lebende Weiße Farmer George Walker, in der Nachbarstadt Old Ox als verschroben verschrien, aber wegen seines Vermögens durchaus geachtet, trifft auf seinem Land auf zwei junge Schwarze, die zuvor dem brutalen Nachbarn Ted Morton „gehörten“. Die bekannten Grauen wie früh verstorbener Vater, verkaufter Mutter, brutale Auspeitschungen und harte Arbeit finden sich auch in den Geschichten der Brüder Landry und Prentiss. Landry ist aufgrund der Misshandlungen stumm geworden.
Ein moment der ruhe
Walker bietet den Beiden an, in seiner Scheune zu bleiben und ihm gegen Bezahlung bei der Anlage eines Erdnussfeldes zu helfen. Ihn und seine Frau Isabelle hat kurz zuvor die tragische Nachricht erreicht, dass ihr einziger Sohn Caleb als Soldat im Bürgerkrieg gefallen ist. Schon lange haben sich die Eheleute auseinandergelebt, was vor allem an Georges Zurückgezogenheit und Schweigsamkeit gelegen zu haben scheint. Viel näher kommen sich die Beiden auch nicht, als plötzlich Caleb vor der Tür steht. Sein Tod war eine Falschmeldung, er ist zu den feindlichen Truppen der Union übergelaufen, die dies dem „Deserteur“, dem „Verräter“, aber nicht dankten.
Auf der Walker-Farm bildet sich eine fast utopische Gemeinschaft zwischen Weiß und Schwarz, ein friedliches, tolerantes Miteinander. Aber die Umgebung ist noch nicht soweit, die Mitmenschen noch dem Rassismus fest verschrieben, die Walker-Farm wird argwöhnisch beobachtet. Als Calebs geheim gehaltene Romanze mit seinem Jugendfreund August, Sohn eines der Stadthonoratioren, von Landry entdeckt wird, eskaliert die Situation und führt Old Ox schließlich in eine Katastrophe.
Fulminantes Debüt
Nathan Harris ist mit Die Süße von Wasser ein fulminantes Debüt gelungen. In unterschiedlichen Perspektiven, sowohl Weißen als auch Schwarzen, erzählt er durchaus konventionell, aber packend, psychologisch feinfühlig und in wunderbarer Sprache, die von Tobias Schnettler gelungen übertragen wurde. Der historische Moment der Emanzipationsproklamation, als man glaubte, das Problem der Sklaverei durch Befreiung der Schwarzen zu lösen, ohne sich um deren Verbleib und Zukunft zu kümmern und ohne das Problem des tief verinnerlichten Rassismus anzugehen, ist klug gewählt. Unter den Folgen dieses Versäumnisses musste und muss die Schwarze Bevölkerung bis heute leiden.
Beitragsbild: Portrait of Brig. Gen. Napoleon B. McLaughlin, Civil war photographs, 1861-1865 compiled by Hirst D. Milhollen and Donald H. Mugridge, Washington, D.C. : Library of Congress, 1977. No. 0948, CC0 via Picrylam
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Nathan Harris – Die Süße von Wasser
Übersetzt von Tobias Schnettler
Eichborn Verlag Oktober 2022, 448 Seiten, € 25,00