Viermal bin ich bisher auf jeweils unterschiedlichen Routen mit dem Zug durch Spanien gefahren. Die sich über Hunderte von Kilometern hinziehenden Ebenen mit wahlweise Sonnenblumen, Olivenbäumen, Weinreben oder auch gar nichts werde ich genauso wenig vergessen wie die Öde der Wüste von Almeria, wo man ganze Wild-West-Dörfer besichtigen kann, in denen einst Italo-Western gedreht wurden. Leeres Spanien, ja das sagt mir etwas, und unterscheidet sich so dramatisch von den Großstädten wie Madrid, Barcelona, Bilbao und den dichtbesiedelten Küstenregionen. Mit seinem erzählenden Sachbuch Leeres Spanien hat Sergio del Molino 2016 dort einen Nerv getroffen und etwas losgetreten. Es wurde ein Riesenerfolg in Spanien und löste breite gesellschaftliche Diskussionen aus, schaffte es sogar in eine Parlamentsdebatte.
Die Landflucht nämlich und die damit einhergehende Verödung und Entvölkerung ganzer Landstriche hat Spanien natürlich nicht exklusiv, aber doch ganz vehement getroffen. Heute leben 75% der Bevölkerung in den Ballungsgebieten. 50% der Fläche Spaniens steht quasi leer, mit einer Bevölkerungsdichte wie in Lappland. Diese demografische Leere, diese überall anzutreffenden Geisterdörfer haben Del Molino als übers Land reisenden Reporter zu diesem Buch inspiriert. Er beleuchtet „das große Trauma“, das vor allem in den Jahren von 1950 bis 1970 unter Diktator Franco, der zwar seine Stimmen bevorzugt aus der verarmten Landbevölkerung bezog, diese aber durch seine rücksichtslose Industrialisierungspolitik und gnadenlose Vertreibungen zum Bau etwa gigantischer Staudammprojekte immer tiefer in Elend und Rückständigkeit trieb, tiefe Spuren in der spanischen Landschaft hinterließ.
Mehr assoziativ als streng wissenschaftlich, leider auch manchmal ein wenig redundant, analysiert Sergio Del Molino dieses Leeres Spanien, auch gern anhand von Bezügen zur Literatur und Film. Den verächtlichen Blick der Stadtbevölkerung auf die vom Land entdeckt er dabei schon bei Miguel de Cervantes. Während man dessen Don Quichote nun meistenteils kennt, sind seine anderen Verweise, wie etwas auf den Film „Furchen“ („Surcos“) von José Antonio Nievos Conde einem deutschen Lesepublikum wahrscheinlich ebenso unbekannt wie geschichtliche Spezialitäten wie die Karlistenkriege. Da zieht sich dieses Langessay ziemlich und man braucht einen langen Atem und zumindest ein starkes Interesse an Spanien.
Ich habe das Buch mit Gewinn gelesen. Aber mir zogen bei der Lektüre eben auch die endlosen Sonnenblumenfelder und die menschenleeren, mit Windmühlen gesprenkelten Ebenen durch den Sinn. Und ich liebe Spanien.
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Sergio del Molino – Leeres Spanien. Reise in ein Land, das es nie gab
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Wagenbach September 2022, 304 Seiten, Gebunden, 30,– €
Ich habe das leere Spanien als Text gelesen, von dem ich mir anfangs eine literarisch-sozialwissenschaftliche Reise versprochen hatte – in ein Land, das ich quasi nicht kenne. Aber der längliche Mittelteil hat bei mir schlecht funktioniert, weil ich von der verhandelten Literatur gar nichts kenne. Und den Untertitel vom Land, das es nie gab, den habe ich mir auch nur recht mühsam erschließen können. Am einprägsamsten die Beschreibung von dem „gescheiterten“ Umzug …
Das Buch funktioniert in Spanien sicher besser. Ich habe auch mit den ganzen Verweisen auf Literatur und Film nicht viel anfangen können. Selbst zu Cervantes zog sich das für mich. Und ja, ich hätte auch eher eine literarische Reise erhofft. Interessant fand ich es aber dennoch, mit Abstrichen. Viele Grüße!