Es liest sich wie ein modernes Märchen, das viral gehen könnte: Eine junge Frau Anfang Zwanzig aus Dresden, Schulabbrecherin mit 15, danach Hartz IV, bildungsfern mit Messie-Mutter und massiven Depressions-Problemen, schreibt einen autofiktionalen Roman, der nicht nur ein authentisches Bild einer Vertreterin der Generation Z mit ihrer Affinität zu Digitalem, Dating-Apps und Online-Shopping, ihrer Ziellosigkeit und den Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zeigt, sondern auch noch verblüffend gut geschrieben und aufgebaut ist. Ein Bestseller aus dem Nichts. Die Buchszene kocht vor Begeisterung. Den Leser:innen ist aber von Beginn an bewusst, das verrät der Klappentext des neuen Romans von Marlen Hobrack, dass Mara Wolf, die unter dem Instagram-Kanal „Schrödingers Grrrl“ versucht, sich eine Influencer-Karriere aufzubauen, nur eine Fake-Autorin ist.
Die Idee zu diesem Coup stammt von PR-Mann Hanno, der Mara eines Abends in einer Bar begegnet. Sie scheint die ideale Autorin für einen Roman des Schriftstellers Benjamin Richter zu sein, der über genau solch eine junge Frau zwischen wenig erfolgreichem Leben, Dates und Liebeswirren geschrieben hat. Der sich aber in der heutigen Zeit vermutlich schlecht verkaufen würde, wenn er von einem „alten, weißen Mann“ stammt. Stichwort: Aneignung. Und so schmieden die Beiden zusammen mit Richters Lektor den Plan, Mara als Autorin auszugeben. Diese stimmt zu, da sie, stets schlecht bei Kasse, das Geld gut gebrauchen kann. Außerdem winkt ein wenig Ruhm mit Foto- und Fernsehaufnahmen, Interviews, Lesungen. Eigentlich ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis die Sache auffliegen wird.
Satire auf den Buchmarkt
Marlen Hobrack hat mit Schrödingers Grrrl einen facettenreichen Roman geschrieben. Natürlich ist er eine Satire auf den Buchmarkt und die literarische Welt. Die Verlage konkurrieren um „neue“ Gesichter, möglichst weiblich, möglichst divers, Unterschicht wäre gut, ebenso BPOC. Das ist schon ein wenig bösartig geschrieben, aber es steckt ein wahrer Kern dahinter. Marketing ist alles und manches verkauft sich eben besser als anderes. Wieviel Realität letztendlich dahinter steckt, sei mal außen vor gelassen. Immerhin sind weibliche Stimmen außerhalb einer gewissen Bubble in der Literatur immer noch unterrepräsentiert. Aber es geht ja hier auch um die jungen, instagram-affinen Leserinnen, die als Zielgruppe des Romans ausgedeutet worden sind.
Die Autorin spielt nebenbei ein amüsantes und raffiniertes Spiel mit der Autofiktion. So wie Mara von ihren Leser:innen und den Kritiker:innen zum „Wahrheitsgehalt“, sprich den autofiktionalen Übereinstimmungen in ihrem Roman angesprochen wird, kann man sich natürlich auch fragen, wieviel Marlen Hobrack in Mara Wolf steckt. Das weise vorausgesehen, hat Hobrack ziemlich viel Abstand zwischen sich und Mara gesteckt, nicht nur altersbezogen, sondern auch in Sachen Bildungsweg, Lebensumstände etc. Dennoch spielt sie das Spiel lustvoll, hat sie doch einen Instagram-Kanal namens @schroedingers_grrrl und widmet ihr Buch einem Herrn Wolf.
Spiel mit Klischees und Autofiktion
Das alles liest sich sehr gut und unterhaltsam. Der Blick in das Alltagsleben der ziemlich verpeilten und etwas schrillen Mara zwischen Jobcenter, Putzjobs, mäßig lustvollen Dates und einer befreundeten WG ist frisch und zeitgemäß und spielt mit allerlei Klischees. Wirklich nah kommt man dieser Mara aber nicht, ihr planloses Leben zwischen Rastlosigkeit und Lethargie mag durch ihre psychischen Probleme erklärbar sein, nervt aber mit der Zeit. Klassenfragen sind der Autorin des Sachbuchs „Klassenbeste“ natürlich wichtig, wirklich mitzufühlen mit der unterprivilegierten Mara gelang mir aber nicht. Das gilt auch für die zentrale Liebesgeschichte, die sie mit dem Liverpooler Paul verbindet, den sie in der WG kennenlernt und mit dem sie längere Zeit eine intensive digitale Beziehung führt, inklusive Liebes-Chat und Sexting, die aber grandios scheitert, als Mara ihn tatsächlich in England besucht. Was sie aber wieder nicht wahrhaben will.
Das Problem an diesem wirklich amüsanten Roman ist ein wenig, dass man als Leser:in nicht wirklich weiß, wohin er will. Die originelle Fake-Autorinnen-Geschichte verliert bald an Bedeutung, die vergebliche Liebesgeschichte nimmt überhand, aber da ist auch noch die Sache mit dem Klassismus. Die Erzählstimme springt zudem aus nicht wirklich ersichtlichen Gründen zwischen „ich“ und „sie“. Vielleicht kann man ihn so lesen, dass er genauso rastlos und unentschieden ist wie seine Protagonistin. Oder man genießt mit ihm einfach ein paar unterhaltsame Lesestunden.
Einen weiteren Beitrag zum Buch gibts beim Bookster HRO
Beitragsbild via Pixabay CC0
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Marlen Hobrack – Schrödingers Grrrl
Verbrecher März 2023, Hardcover, 300 Seiten, 24,00 €
Statt einer nachvollziehbaren spannenden Story über einen geschickt eingefädelten Autorenschwindel wird einem ein Lebensabschnitt einer bildungsfernen Hauptfigur präsentiert, in dem sich diese von depressiv antriebslos über hyperaktiv digital vernetzt bis hoffnungslos verliebt und dem gnadenlosen Kulturbetrieb ausgesetzt (und tatsächlich gewachsen) zeigt. Im Zentrum der Darstellung und der emotionalen Zuwendung der Hauptperson steht eigentlich eine mißglückende Liebesaffäre mit einem jungen Engländer, den die Hauptperson auch einmal in Liverpool besucht, wo aus der digitalen sexorientierten Fernbeziehung aber keine Liebesbeziehung entsteht. Nicht das einzige Plausibilitätproblem hat der Roman hier auch deswegen, weil die Dresdnerin und der Liverpooler in fehlerfreiem Deutsch parlieren. Nicht nachvollziehbar ist auch, wie es die depressive Schulabbrecherin schafft, die Interviews, Lesungen und Medienauftritte im Zusammenhang mit der Präsentation „ihres“ Romans überzeugend zu absolvieren. Leider sind sowohl die Hauptfigur als auch die anderen Akteure eigenartig blutleer und oberflächlich-typisierend gezeichnet, immer mal wieder werden ihnen Thesen in den Mund gelegt, die in der Umgangssprache eher nicht ihren Platz haben. Sprachlich ist der Roman etwas sperrig, gelegentlich grammatikalisch und stilistisch problematisch, ein flüssiges Lesegefühl stellt sich nicht ein. Als Stilmittel fällt der Wechsel von Icherzähler zum auktorialen Erzähler auf. Insgesamt eigentlich nicht lesenswert. Marlen Hobrack wird froh sein, wenn sie in nächster Zeit bekanntgeben kann, daß nicht sie selbst sondern ein alter weißer Mann der Verfasser dieses Romans ist. Kann ja nicht anders sein, wenn ein Buch im Verbrecherverlag erscheint.