Dass der gebürtige Neuseeländer Anthony McCarten auch ein sehr erfolgreicher, mehrfach oscarprämierter Drehbuchautor ist, merkt man seinem neuen, atemlosen Thriller Going Zero an. Intelligent, spannend und überraschend jagt der 61-Jährige seine Leser:innen durch die Seiten. Und das ganz ohne die sonst üblichen eindeutigen Schurken und (fast) ohne Gewalt.
Ausgangspunkt ist der Beta-Test einer komplexen Überwachungssoftware namens Fusion, die der Internetunternehmer und Milliardär Cy Baxter mit seiner Social Media-Firma WorldShare an die US-amerikanische Regierung verkaufen möchte. Ein 90 Milliarden Dollar-Geschäft, dass es den Behörden ermöglichen soll, jeden Terroristen (und als Kollateralergebnis natürlich auch jede andere Person) innerhalb kürzester Zeit zu identifizieren und zu lokalisieren, möglichst noch bevor er oder sie Schaden anrichten konnten. Für den Test der Spyware wurden zehn Menschen ausgewählt – fünf „Normalbürger“, fünf Spezialisten auf dem Gebiet der Sicherheitstechnik – die für dreißig Tage versuchen müssen, völlig abzutauchen und denen bei Erfolg eine Belohnung von drei Millionen Dollar winkt.
Überwachung 3.0
Cy Baxter und seine Unternehmens- und Lebenspartnerin Erika Coogan haben ein riesiges Team und ausgeklügelte Technik im Rücken, die bei genauerem Hinsehen gar nicht so futuristisch erscheint. Kameraüberwachung und GPS-Erfassung, Funknetzkontrolle und Datenabgleich sind schon fast alte Hüte. Aber auch von Gesichtserkennung, Drohnenüberwachung, Gang- und Bewegungsprofilen ist in neuerer Zeit immer mehr die Rede. Hinzukommen neue Möglichkeiten durch KI, die auch komplexe Verhaltensanalysen und –prognosen erlauben. Die Visionen von Big Brother erscheinen dagegen fast harmlos. Moderne Demokratien betonen natürlich immer wieder, dass diese Systeme nur unter datenschutzrechtlich einwandfreien Bedingungen eingesetzt würden. Und auch nur im begründeten Verdachtsfall. Auch die Vertreter der CIA, die in den Beta-Test von Fusion einbezogen sind, stellen diese Prämissen. Wieviel davon im Ernstfall übrigbleibt, zumal wenn private, profitorientierte Firmen mit einbezogen sind, kann man bei Anthony McCarten und Going Zero als Schreckensszenario nachlesen.
Auf ein bestimmtes Signal hin haben die für den Beta-Test ausgewählten Teilnehmer zwei Stunden Zeit, um unterzutauchen. Danach werden das ganze Team und die ganze Technik auf sie angesetzt. Einige der „Zeros“ werden schon nach sehr kurzer Zeit geschnappt. Manche der Pläne zum Untertauchen sind auch reichlich absurd. Andere sind erfolgreicher. Besonders überrascht dabei eine der „Normalos“, die Bibliothekarin Kaitlyn Day aus Boston. Sehr bald erfährt man, dass sie andere Gründe als die drei Millionen Dollar Preisgeld zur Teilnahme bewegt haben und dass sie extrem gut vorbereitet ist.
Going Zero ist spannend und überrascht stets mit neuen Wendungen. Dass es den Leser:innen angesichts der ganzen Überwachungsmöglichkeiten, die zum großen Teil schon heute Realität sind, oftmals kalt den Rücken hinunterläuft, ist sicher ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt des Romans. Dass diese Systeme nur zum Wohle der Bürger:innen oder für so vergleichsweise harmlose Dinge wie personalisierte Werbung eingesetzt werden, daran glaubt man nach der Lektüre noch weniger. Eine dicke Empfehlung für diesen unterhaltsamen Thriller.
Beitragsbild von kalhh auf Pixabay
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Anthony McCarten – Going Zero
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
Diogenes April 2023, Hardcover Leinen, 464 Seiten, € 25.00
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