John Hersey – Hiroshima

Am 31. August 1946 erschien eine Sonderausgabe der Zeitschrift New Yorker. Sie war einer einzigen Reportage gewidmet und in Windeseile ausverkauft. Bis heute hat sich der Text Hiroshima von John Hersey weltweit über 30 Millionen Mal verkauft. Die Reportage über sechs Überlebende des Atombombenabwurfs auf Hiroshima am 6. August 1945 war ein Schock für die amerikanische Öffentlichkeit. Auch mit Hilfe von Zensur und Propaganda wurden die entsetzlichen Wirkungen und Spätfolgen der Bombe heruntergespielt, verharmlost, als unabdingbar für das Kriegsende und den Frieden dargestellt. Wenige Amerikaner wussten um die Wahrheit.

Der 1914 in der chinesischen Stadt Tianjin geborene US-amerikanische Schriftsteller, Reporter und Journalist John Hersey bereiste im Auftrag des New Yorker Japan im Jahre 1946 und führte zahlreiche Interviews mit Überlebenden, den sogenannten Hibakusha von Hiroshima. In seiner auch literarisch sehr überzeugenden Reportage erzählt er von sechs davon und schildert minutiös, was sie an jenem schicksalhaften 6. August 1945 um 8.15 Uhr japanischer Zeit taten, als ein gigantischer Lichtblitz den Himmel durchfuhr und die monströse Explosion eine ganze Stadt auslöschte, Sturmwinde und Feuersbrünste entfachte und über 100.000 Menschen tötete, viele davon Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre nach dem Abwurf.

Chronik des 6. August 1945

In einer multiperspektivischen, oft wechselnden Chronik schaut er auf Toshiko Sasaki, die an ihrem Schreibtisch bei den Ostasiatischen Zinnwerken saß;  auf Reverend Kiyoshi Tanimoto, Pastor der Methodistenkirche; auf Pater Wilhelm Kleinsorge, einen katholischen Missionar; auf den Arzt Dr. Fujii; auf die Mutter dreier Kinder, Frau Nakamura und auf Terufumi Sasaki, Arzt in einem Krankenhaus. Diese Form der Reportage bietet den Leser:innen ein hohes Maß an Identifikationsmöglichkeit, was unter anderem ihre starke Wirkung erklärt.

Den Überlebenden und Verwundeten stand wenig bis keine Hilfe zur Verfügung. Die Krankenhäuser und ihr Personal waren zum großen Teil zerstört, verstörenderweise kam auch von außen kaum Unterstützung, auch nicht von der japanischen Regierung. Erst nach 1957 beschloss man eine kostenlose medizinische Versorgung für noch lebende Opfer. Über Spätfolgen oder Strahlenkrankheit war hingegen noch kaum etwas bekannt.

Hersey verbringt einen Monat in Japan und macht aus seinen Recherchen einen trotz seiner absoluten Nüchternheit und Kühle tief erschütternden Bericht. Trotz der seit September 1945 geltenden Zensur der US-Besatzungsbehörde, die Berichterstattungen über die Folgen des Atombombenabwurfs verbietet, wird der Text am 31. August 1946 veröffentlicht. Hersey vermeidet vielleicht auch deshalb direkte Anklagen oder politische Statements. Die Aussage seines Textes wirkt auch so.

Aftermath

Die Neuauflage des von Justinian Frisch übersetzten Textes im österreichischen Jung und Jung Verlag jetzt (erneut) zu lesen, wo die Anwendung von taktischen Atomwaffen von russischer Seite immer wieder ins Spiel gebracht und mit Schlimmerem gedroht wird, macht beklommen. Ist tatsächlich das Wissen um die Tragödien von Hiroshima und Nagasaki schon wieder derart aus dem Gedächtnis verschwunden, die Verantwortungslosigkeit und Menschenverachtung derart gigantisch geworden?

Die (immer wieder erneute) Veröffentlichung von Texten wie Hiroshima von John Hersey ist notwendig und sollte für alle, die beim aktuellen Krieg mitreden wollen, verpflichtend sein. Ergänzt wird die Neuauflage um einen erstmals (von Alexander Pechmann) ins Deutsche übersetzten Nachtrag, den der Autor vierzig Jahre nach seiner Reportage schrieb: The Aftermath, die Nachwirkungen. Darin fasst Hersey zusammen, wie es den sechs Überlebenden in den Jahren nach der Katastrophe, teils bis zum Zeitpunkt der Aufzeichnungen erging.

 

Beitragsbild by ShanoPics A-bomb Dome-Hiroshima (CC BY-NC-ND 2.0) via Flickr

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John Hersey - Hiroshima.

John Hersey – Hiroshima
Aus dem amerikanischen Englisch von Justinian Frisch und Alexander Pechmann
Jung und Jung 2023, 224 Seiten, gebunden, € 23,-

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