Andrej Blatnik – Platz der Befreiung

Boy meets girl: Andrej Blatnik lässt seinen Protagonisten auf einer Demo im Sommer 1988 auf dem Platz der Befreiung auf eine ihn faszinierende junge Frau treffen. Es ist die erste große Massendemonstration in Slowenien. Drei Jahre später, im Juni 1991 verkündet das Land seine Unabhängigkeit, die es auch nach dem 10-Tage-Krieg behaupten kann, während andere jugoslawische Teilrepubliken in jahrelange, blutige kriegerische Auseinandersetzungen verfallen. Vor dem Hintergrund dieser Zeit der Unabhängigkeitserklärung bis in die Gegenwart hinein erzählt Blatnik vom Erwachsen- und Älterwerden von Protagonist und Land.

Der junge, sich gerade etablierende Literaturkritiker tritt auf der Demo der namenlos bleibenden Studentin auf die himmelblauen Mokassins – für ihn wie für sie ein Statement für Individualität im kommunistischen, ansonsten eher grauen Jugoslawien. Nach Freiheit und Liebe riecht alles in diesem und den nachfolgenden Sommern, in denen sich bei den so ungleichen jungen Leuten aus einer Tändelei eine nicht ganz einfache Liebesbeziehung entwickelt. Sie stammt aus sehr wohlhabendem Haus. Der Vater hat sowohl unter den Kommunisten als auch in der Nach-Tito- und postsozialistischen Zeit seine Schäfchen ins Trockene gebracht. Seine Mutter stammt auch aus dem gehobenen Bürgertum, die Familie wurde aber von den Kommunisten enteignet und der Vater stammt aus einer Landwirtsfamilie.

Musik und Slavoj Žižek

Er und sie lieben Musik und Literatur und philosophieren gern über Gott und die Welt. Einer ihrer Bezugsgrößen ist immer wieder der Slowenische Philosoph Slavoj Žižek. Sie verstricken sich in Dialoge voll ironischer Distanz und Spitzfindigkeiten, die folglich auch einen großen Teil des Buchs -neben kursiv gesetzten spontanen Gedanken des Protagonisten – ausmachen. Ein wenig kommt dabei vielleicht zwischen den Beiden die Nähe zu kurz, die für eine stabile Beziehung wichtig ist. Er schafft es nicht, sich ihr ganz zu öffnen, ihr seine Liebe zu gestehen, woran die Beziehung letztendlich scheitert.

Es mag nicht überraschen, dass er sie auch in den Jahren danach nicht vergessen wird, das Ende der Beziehung sehr bereut. Aber er ist, so steht es bei Andrej Blatnik geschrieben, ein „passiver, typisch slowenischer Held“, für die Leser:innen vielleicht so etwas wie ein Anti-Held. Nicht unsympathisch, aber in seiner Unentschlossenheit doch ein wenig schwer zu ertragen.

Wandel von Land und Gesellschaft

Die Jahre gehen ins Land, aus der Unabhängigkeitseuphorie wird Alltag, die Transition bringt neben vielen Opportunisten und Schein-Dissidenten ein ungeheures Maß an Bereicherungen und Korruption mit sich. Aber auch ein mehr an Freiheit? Andrej Blatnik schafft es, seinen Platz der Befreiung mit viel Zeitkolorit anzureichern, mit Kassetten von Depeche Mode und viel Punkmusik (der Autor spielte selbst in einer Punkband). Manche Intertextualität entgeht den nicht-slowenischen Leser.innen vielleicht, aber das ist nicht schlimm, denn der Text funktioniert auch so.

Immer wieder begegnen sich die beiden Ex-Liebenden, sie durchlaufen den Wandel des Landes und der Gesellschaft, erleben Höhen und Tiefen des Postsozialismus, des aufkommenden Neoliberalismus und auch des Nationalismus. Aus dem einst idealistischen Literaturkritiker ist längst ein Werbetexter geworden, sie vertrieb sich aufkommenden Überdruss im indischen Ashram.

Die Verflechtung von Liebes- und individueller Entwicklungsgeschichte mit den gesellschaftlichen und politischen Vorgängen in Slowenien ist Andrej Blatnik meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Gerade für Leser.innen wie mich, die nicht allzu viel über das Land und seine Literatur wissen, bietet es einen guten Einstieg. Zwei ausführliche Nachworte ergänzen den empfehlenswerten Text.

 

Beitragsbild: Leandro Neumann Ciuffo, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

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Andrej Blatnik – Platz der Befreiung
mit einem Nachwort von Mitja Velikonja
Übersetzt von Klaus Detlef Olof
Folio Verlag 2023, 253 Seiten,gebunden, € 25,00

 

 

 

 

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