Ein Spätsommertag im Freibad des kleinen fiktiven Ortes Ottersweiler in der Pfalz. Ein Tag, der nochmal alle Schönheit des Sommers auffährt, von dem man aber nicht weiß, ob es nicht vielleicht der letzte des Jahres sein wird. Neben zahlreichen mehr oder weniger liebenswerten Figuren steht das Provinzbad im neuen Roman von Arno Frank, Seemann vom Siebener, im Mittelpunkt. Hier warten keine Attraktionen auf die Besucher, keine Riesenrutsche, keine Erlebnisgastronomie. Liegewiese, 50 Meter-Becken, schon etwas marode Holz-Umkleidekabinen mit den üblichen Spannerlöchern, Kassenhäuschen und Kiosk mit Pommes und Langnese-Eiskarte – das war`s. Und dann ist da noch der 7er, der Sprungturm, dessen oberste Plattform seit einem tragischen Vorfall dauerhaft geschlossen ist.
Gleich zu Beginn fängt Arno Frank die Atmosphäre eines provinziellen Freibads perfekt ein. Die ziemlich lustlose Renate sitzt an der Kasse, weil sie ihren Job in der Bank wegen ihres Alkoholproblems verloren hat, raucht und löst Kreuzworträtsel. Die meisten Besucher, zumal am Morgen, kennt sie persönlich. So die alte Ex-Lateinlehrerin Isobel Trautheimer, die schon weit über 90 ist, deren Mann aber einst in den 1970er Jahren das Bad entworfen hat und die ihm und „ihrer“ schattenspendenden Linde treu ist. Oder Melanie, die Erzieherin, die regelmäßig mit einer Schar Kindergartenkinder den Spiel- und Plantschbereich besucht. Auch Josefine kennt man im Ort. Aber sollte die nicht besser auf dem Friedhof sein, wo ihr jüngst mit dem Auto tödlich verunglückter (Noch)Ehemann Max beerdigt wird?
Provinzielles Unglück
Max ist einst vor der Provinz und seinem herrschsüchtigen Vater nach Berlin geflohen, dort mit seinem Startup-Unternehmen aber kläglich gescheitert und daraufhin in die Heimat zurückgekehrt. Mit seinem Job in der väterlichen Speditionsfirma wurde er genauso wenig glücklich wie mit Josefine. Und auch Bademeister Kiontke wurde als LKW-Fahrer der Speditionsfirma nicht glücklich und fand ein neues Betätigungsfeld hier im Feibad. Neben Kiontke und Renate arbeitet hier nochSergej. Er leitet mit seinem unerschütterlichen Humor den Kiosk. Und schließlich ist da noch Lennart, alter Schulfreund von Josefine und Max, der extra für die Beerdigung aus den USA zurückgekehrt ist.
Auf all diese Figuren schaut Arno Frank in Seemann vom Siebener sehr zugewandt und respektvoll. Aber nur eine Figur, deren Platz in der Dorfaufstellung man erst gegen Ende entschlüsselt, erhält die Ich-Perspektive. Das ist die ruppige, kratzbürstige Jugendliche, die sich gleich zu Beginn den Kopf kahl schert. Dass hinter all dem leichten, heiteren Erzählen eine große Tragödie steckt, erfahren die Leser:innen schon sehr früh. Wie es sich damit verhält, enthüllt der Roman erst nach und nach.
Kammerspiel
Ein Ort, ein Tag – Arno Frank hat sich in seinem neuen Roman im Gegensatz zu seinem Debüt So, und jetzt kommst du, das quer durch Europa führte, auf einen kleinen erzählerischen Raum beschränkt. Durch die verschiedenen Perspektiven, die Erinnerungen, Lebensgeschichten, Rückblicke und die Verbeugung vor einer Zeit, wo der Bau von Freibädern noch ein politischer Akt für Teilhabe großer Bevölkerungskreise war, weitet sich das Erzählte. Es riecht förmlich nach Chlor und Sonnenmilch, man hört die Kinder toben und das Wasser plätschern. Und in dieser Atmosphäre entfaltet Arno Frank ein Beziehungsgewebe, in dem die Figuren den Leser:innen sehr nahe kommen. Ein schöner Roman – nicht nur fürs Freibad.
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Arno Frank – Seemann vom Siebener
Tropen 2023, 240 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag, € 24,00
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