Donna Leon – Wie die Saat so die Ernte

Nach einigen recht melancholischen Bänden ihrer Commissario Brunetti-Reihe überrascht es beinehe, dass der neue Roman von Donna Leon fast ein wenig heiter daherkommt, obwohl sich die mittlerweile achtzigjährige Autorin in ihrem 32. Fall einem dunklen Kapitel der jüngeren italienischen Geschichte widmet, Wie die Saat, so die Ernte.

Zunächst beginnt das Buch gewohnt gemächlich und wenig thrillerhaft. Brunetti sortiert seine Bücher und mistet aus. Proust, Melville, Manzoni – ab in die Altpapiertonne. Man hört Donna Leon fast ein wenig kichern. Ein Anruf von Ispettore Vianello bereitet dem schändlichen Treiben ein Ende: Sergente Alvise benötigt Hilfe. Er wurde am Rande einer Gay Pride Demonstration in Treviso angegriffen, verletzt und in Gewahrsam genommen. So wissen wir auch dies: Alvise ist schwul. Was natürlich Brunetti und seine Kollegen nur dahingehend irritiert, dass sie das bisher noch nicht geahnt haben. Ein Romananfang, der typisch für Donna Leon und Brunetti ist: unspektakulär, familiär – und für den weiteren Fortgang der Geschichte völlig unerheblich.

Venedig nach Corona

Denn auch in Wie die Saat, so die Ernte stehen  für Donna Leon die wohlbekannten Charaktere und ihre Marotten, vor allem natürlich der kultivierte und bescheidene Commissario, im Mittelpunkt des Interesses, genauso wie die Lagunenstadt mit all ihrer Schönheit und ihren Problemen. Nach der Corona-Pandemie sind noch mehr kleine Läden und Handwerksbetriebe verschwunden als bereits zuvor Opfer des Tourismus geworden sind. Die Stadt verändert sich weiter, zum Bedauern des Nostalgikers Brunetti.

Während im vorherigen Fall, Milde Gaben, sowohl Lokalkolorit als auch Spannung meines Erachtens deutlich zu kurz kamen, erfolgt in Wie die Saat, so die Ernte tatsächlich auf Seite 103 der Anruf, der einen Mord meldet. Ein Mann aus Sri Lanka, den Commissario Brunetti erst am Vortag getroffen hat, ist an mehrfachen Stichverletzungen und dem darauf folgenden Sturz in den Kanal gestorben. Brunetti erkundigte sich im Namen seines Schwiegervaters über den gerüchteweise geplanten Verkauf des Palazzos, in dessen völlig verwahrlosten Garten der Mann augenscheinlich gewohnt hat. Da Brunetti die Ehefrau des Besitzers (wie gefühlt eigentlich jeden eingesessenen Venezianer) von früher kennt – Venedig ist ein Dorf – erkundigt er sich dort.

Ein guter Mensch

Der Tote schien ein guter Mensch gewesen zu sein, so die einhellige Auskunft von Menschen, die ihn kannten. Er lebte wohl illegal in Venedig, mit Duldung der Palastbesitzer und schickte jeden Euro, den er entbehren konnte zu seiner Familie nach Sri Lanka. Aber was haben das kleine Knochenstück, das unzweifelhaft von einem Menschen stammt, und der dicke Sammelordner mit Artikeln und Berichten über den linken Terrorismus der Roten Brigaden, die in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Morde, Entführungen und Bombenattentate begingen, zu bedeuten, die man in seinem Besitz findet? Brunetti wird in seine eigene studentische Vergangenheit versetzt, in der er durchaus mit linken Theorien sympathisierte.

Donna Leon gelingt in ihrem zweiunddreißigsten Fall wieder ein schöner, zwar mäßig spannender und am Ende auch sehr durchschaubarer Kriminalfall, der aber wieder mit viel Atmosphäre aufwartet und sich einfach gut lesen lässt. Besonders Suor Benedetta, die greise Nonne des dem Palazzogarten benachbarten Klosters und die Hündin Sara schaffen eine heitere Note, die die letzten, eher melancholischen Brunettis eher vermissen ließen. Damit begibt sich die Reihe nach der Talfahrt im letzten Band wieder an den Aufstieg. Das lässt für den nächsten Fall, der im nächsten Mai sicher wieder auf alle Brunetti-Fans wartet, hoffen. Ich zumindest freue mich schon drauf.

 

Die letzten Brunetti Romane Donna Leon – Milde GabenDonna Leon – Flüchtiges BegehrenDonna Leon – Geheime Quellen  und Donna Leon – Ein Sohn ist uns gegeben  habe ich auch besprochen

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Donna Leon - Wie die Saat, so die Ernte.

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Donna Leon – Wie die Saat so die Ernte
Aus dem amerikanischen Englisch von Werner Schmitz
Diogenes Mai 2023, 320 Seiten, Hardcover Leinen, € 26,00

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