Türschwellenkinder ist der von Wolfgang Schiffer und Dinçer Güçyeter herausgegebene Sammelband betitelt, in dem 26 Menschen „über die Arbeit der Eltern“ erzählen. Türschwellenkinder, das erinnert an die einst so genannten Schlüsselkinder, die nach der Schule allein in die elterliche Wohnung zurückkehrten, einen eigenen Schlüssel besaßen – lang vor Nachmittagsbetreuung und Ganztagsschule. Ein bisschen wurden sie bedauert, weil kein frisch gekochtes Mittagessen und sich kümmernde Elternteile, fast ausschließlich Mütter, auf sie warteten, heimlich aber auch ein wenig beneidet wegen ihrer größeren Freiheit und Selbstständigkeit.
Es sind aber keineswegs nur solche Schlüsselkinder, die hier zu Wort kommen, und es sind auch nicht nur Tür-Schwellen, die zu durchschreiten sind. Viele der „in kreativ-künstlerischen Bereichen“ tätigen Menschen, die die Herausgeber um ihre Texte gebeten haben, haben einen Migrationshintergrund und/oder kommen aus den sogenannten „einfachen Verhältnissen“. Es ist keineswegs der typische bildungsbürgerliche Hintergrund, der die Schriftsteller:innen, Musiker:innen, Journalist:innen und Verlags- und Theatermenschen, die ihre Geschichten beigesteuert haben, auszeichnet. Zwar gibt es den Lehrerhaushalt und die Pfarrersfamilie, mehrere der Autor:innen kommen aber aus der Landwirtschaft, einige der Eltern waren Arbeiter, erwerbslos oder Reinigungskräfte.
Die Sorgearbeit der Mütter
Und viele der Mütter kämpften mit der so gern übersehenen Sorgearbeit, oft zusätzlich zur Erwerbsarbeit, denn die Familienkasse musste ja stimmen. Und so rackerten, putzten, kochten, bastelten, wuschen sie, meist ohne irgendeine Anerkennung. Beate Tröger wundert sich in ihrem Text, wie wütend sie als Heranwachsende auf ihre „Nur-Hausfrau“-Mutter war. Völlig verkennend, wie vielseitig und anspruchsvoll diese Tätigkeit ist. Auch Lütfiye Güzel rätselt:
„meine mutter arbeitet zu hause
immer
auch in den ferien
sie hat vier faule kinder
mein vater arbeitet am hochofen
regelmäßig
in den ferien arbeitet er nicht
(…)
meine mutter hat kein bankkonto
& kriegt keine Rente
mein vater hat beides“
Einige der Texte sind poetisch verdichtet, die meisten von ihnen erzählen aber ihre Geschichten schnörkellos, oft aus der Kinderperspektive. Denn so klar die Arbeit der Mütter meist ist (auch wenn sie für manche nicht als Arbeit gilt), so rätselhaft und geheimnisvoll ist manchmal die der Väter, die morgens mit Aktentasche und Brotdose verschwinden, um dann abends erst heimzukehren.
Brüche durch Kriegs- und Migrationserfahrungen kommen vor, Prägungen durch die Eltern werden durchleuchtet, ein Lavieren zwischen Vorbildfunktion und Abgrenzungswillen. Die meisten der Geschichten sind mit Respekt, Wärme und Liebe geschrieben, auch wenn durchaus nicht alles rosig war, vor allem die Väter neben ihrer Arbeit oft nicht die nötige Aufmerksamkeit für ihre Kinder aufbringen konnten. Verblüffend viele von ihnen sind früh verstorben.
Gefördert wurde das Buch durch das Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, herausgegeben haben es dankenswerterweise Wolfgang Schiffer und Dinçer Güçyeter. Unterhaltsam und oftmals berührend zu lesen und auch soziologisch sehr interessant bietet es Texte von:
Henning Ahrens, Doris Akrap, Zoë Beck, Martin Becker, Nadire Biskin, Kaska Bryla, FM Einheit, Michael Faber, Bettina Fischer, Joachim Geil, Lütfiye Güzel, Martina Hefter, Ozan Zakariya Keskinkilic, Arnold Maxwill, Maria Milisavljević , José F. A. Oliver, Markus Ostermair, Maria-Christina Piwowarski, Sasha Rau, Ulrike Almut Sandig, John Sauter, Tijan Sila, Jörg Sundermeier, Johann P. Tammen, Beate Tröger und Senthuran Varatharajah.
Beitragsbild: pxhere
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Wolfgang Schiffer Dinçer Güçyeter (Hrsg.) – Türschwellenkinder
Elif Verlg 2023, 248 Seiten, Gebunden, € 24,00
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