Die 1988 in Lagos geborene Ayòbámi Adébáyò zählt zu den wichtigsten jungen Stimmen aus Afrika. Ihr Debütroman „Bleib bei mir“ war für den Women’s Prize for Fiction 2017 nominiert und wurde in zwanzig Sprachen übersetzt. Ich war von diesem Buch auch nachhaltig beeindruckt. Dennoch ist die nigerianische Autorin bei uns noch relativ unbekannt. Jetzt erscheint der zweite Roman von Ayòbámi Adébáyò in einer Übersetzung von Simone Jakob unter dem etwas unnötig kitschigen Titel Das Glück hat seine Zeit bei Piper.
Zwei Familien stehen im Mittelpunkt des Romans, die aus zwei völlig verschiedenen Milieus stammen. Der Vater des Jungen Eniola wurde nach einem der vielen Machtwechsel als Lehrer entlassen. Das einigermaßen wohlhabende Leben und das Ansehen, das der Familie zuteilwurde, sind dahin. Dabei hat Baami immer an den Aufstieg durch Bildung geglaubt, daran, dass man durch Strebsamkeit und Anstand ein Auskommen findet. Nun verfällt er in eine tiefe Depression, rührt sich nach etlichen Absagen auf dem Arbeitsmarkt kaum noch aus dem Bett. Die Mutter – Baba Eniola – „Mutter von Eniola“, ist ihr „achtbarer“ Name, daran erkennt man schon worin der „Wert“ einer Frau auch in der nigerianischen Mittelschichtsgesellschaft liegt – muss mit Gelegenheitsarbeiten und irgendwann durch Betteln das Geld für das Nötigste beschaffen. Oft muss die Familie hungern.
Zwei Welten prallen aufeinander
Eniola und seine Schwester Busola können bald das Geld für ihre Privatschule nicht mehr aufbringen. Die staatlichen Einrichtungen scheinen keine Alternative zu sein, so heruntergekommen sind die Schulen in öffentlicher Hand. Noch werden sie nicht verwiesen, bekommen aber als „Mahnung“ das Geld baldmöglichst zu zahlen jeden Morgen Peitschenhiebe durch den Direktor. Unvorstellbar. Baami und Baba Eniola beschließen schweren Herzens, dass nur noch ein Kind zur Schule gehen darf und wählen die bessere Schülerin, Busola. Eniola wird als Aushilfe in eine Schneiderei gegeben.
Dort begegnet er der reichen Yeye, die hier ihre Kleidung anfertigen lässt. Yeye stammt aus einer einflussreichen Familie und ist mit dem erfolgreichen Unternehmer Otunba Makinwa verheiratet, der Beziehungen in die höchsten politischen Kreise hat. Status und Ansehen sind ihr so wichtig wie sein beträchtliches Vermögen. Sie führt ein Luxusleben. Anders hält es ihre älteste Tochter Wuraola, die nach ihrem Medizinstudium als Assistenzärztin in der Klinik arbeitet. Anpassung, Ehrgeiz, Pflichterfüllung verheißen ihr Erfolg im Beruf und schließlich, anders als bei ihrer Mutter, Selbstständigkeit und Emanzipation als Frau.
Frauen in der nigerianischen Gesellschaft
Aber so einfach macht es die nigerianischen Gesellschaft den Frauen nicht, wie Ayòbámi Adébáyò in Das Glück hat seine Zeit deutlich macht. Auch von Wuraola wird in erster Linie erwartet, dass sie standesgemäß heiratet. Und ihr wird ständig signalisiert, dass sie schon viel zu spät dran sei. Ihre kleine Schwester hat einmal nachgezählt: Allein an einem Tag wurde sie 47 Mal auf ihre spätere Heirat angesprochen. Auch wenn Wuraola auf ihre Bildung und ihr Einkommen stolz ist, hat sie diesen Zwang zur Ehe für Frauen verinnerlicht. Glücklicherweise liebt sie ihren Verlobten Kunle, der der Sohn einer mit den Eltern befreundeten, sehr einflussreichen Familie ist. Die Hochzeit gilt schon lange als vereinbart. Aber wie gesagt, Wuraola fühlt sich im Glück.
Vermeintlich. Denn schon vor der Trauung kommt es zu Gewalt gegen sie durch Kunle, zu unsinnigen Eifersuchtsanfällen, Misshandlungen. Wuraola nimmt das nicht nur hin, sondern verteidigt sein Verhalten, vertuscht es. Er liebe sie doch so. Man kennt das leider.
Die beiden Erzählstränge um Eniola und Wuraola laufen eine Weile bis auf kurze Begegnungen in der Schneiderei nebeneinander her. Erst im hinteren Drittel des fast 500 Seiten umfassenden Romans beginnen sie sich tragisch zu verflechten. Wuraolas und Kunles Vater opponieren gegen einen einflussreichen Politiker, wähnen sich wegen ihrer Vermögen und ihres Einflusses in Sicherheit. Für seinen Machterhalt schreckt ihr politischer Gegener aber vor nichts zurück. Die Lage eskaliert und auch Eniola und seine Familie werden hineingezogen.
Eine marode Gesellschaft
Zunehmend spannend und immer mehr Fahrt aufnehmend legt Ayòbámi Adébáyò in Das Glück hat seine Zeit die politischen Intrigen, die Korruption und vor allem die in allen Ebenen der Gesellschaft herrschende Gewalt in Nigeria bloß. Die marode Gesellschaft, die nach außen Parteiendemokratie, Wirtschaftswachstum und Entwicklung propagiert, ist zutiefst gewalttätig und ungerecht. Laut des International Monetary Fund leben 32 % der Bevölkerung Nigerias in extremer Armut. Frauen werden unterdrückt und marginalisiert. Im nigerianischen Parlament findet man lediglich 29 Frauen neben 440 Männern.
Ayòbámi Adébáyòs Protagonisten suchen alle nur ihr eigenes kleines Glück, ein wenig Zufriedenheit. Sie sind keine Held:innen oder Aktivist:innen. Aber selbst das wird ihnen verwehrt. Überhaupt nicht kitschig, wie der Titel des Romans vielleicht vermuten ließe, erzählt die Autorin von ihnen, berührend, manchmal auch ein wenig sentimental, aber immer präzise und spannend. Viele interessante Nebenfiguren und ihre Schicksale weiten die Tragödie um Wuraola, Eniola und ihre Familien zu einem mitreißenden Gesellschaftspanorama Nigerias.
Beitragsbild: by Omoeko Media, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
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Ayòbámi Adébáyò – Das Glück hat seine Zeit
Übersetzt von: Simone Jakob
Piper Juni 2023, 496 Seiten, Hardcover, € 26,00