Nele Pollatschek – Kleine Probleme

Was soll man nur mit Lars machen? Es ist zum Haareraufen, zum Verzweifeln. Man möchte ihn schütteln, anschreien, ihm mal ganz vernünftig ins Gewissen reden, in den Allerwertesten treten, ihn in den Arm nehmen. Lars, der Held im neuen Roman von Nele Pollatschek, Kleine Probleme betitelt, ist, ganz salopp gesagt, ein ziemlicher Versager, ein Prokrastinierer vor dem Herrn, ein Umstandskrämer. Und ein etwas kleineres oder etwas größeres Bisschen Lars steckt wohl in jedem von uns. Deshalb widmet Nele Pollatschek ihren Roman auch „für alle, die noch etwas zu erledigen haben.“

Lars Messerschmitt (49), selbsternannter Schriftsteller, hat kleine Probleme. Der aufgeschobene Anruf beim Vater, die Steuer muss gemacht werden, die Regenrinne ist verstopft und ein Bett vom Möbelhaus, das sich auf Korea reimt, muss noch aufgebaut werden für die Rückkehr von Tochter Lina aus England. Für die Silvesterfeier, die dieses Jahr bei Sohn Yannis stattfinden soll, muss ein Nudelsalat gemacht, Feuerwerk besorgt und Geschenke eingepackt werden. Kleine Probleme, aber das große Problem dabei: Es ist bereits der 31. Dezember, die Zeit läuft davon und Lars – prokrastiniert. Nur noch die eine Zigarette, ein letzter Kaffee, nur noch mal kurz hinsetzen.

Dabei sind diese „kleinen Probleme“ nur Symptome des einen riesengroßen Problems, dass Lars einfach sein Leben nicht im Griff hat. Seine Frau Johanna nimmt sich deswegen auch erst einmal eine Auszeit und weilt schon eine ganze Zeit in Lissabon. Am Silvesterabend wollen sich alle bei Yannis treffen. Lars weiß, dass er dieses Mal nicht versagen darf. Zu viele resignierte: „Ach, Lars“ „Lass gut sein, Lars“ hat er von Johanna schon zu hören bekommen. Und am Ende: „Mach´s gut, Lars.“

„Es war wie immer nicht mehr zu schaffen. Und wenn man es nicht mit neunundvierzig schafft, dann wird man es niemals schaffen. Und dann ist man genau so, nicht nur jetzt, sondern für immer. Dann hilft auch kein morgen und kein später und nicht mal demnächst. Nicht mal das neue Jahr hilft dann noch. Dann ist man für immer genau das. Ein alter Sack, der in einem Drecksloch sitzt und raucht und davon erzählt, was er morgen machen wird.“

Ein Plan

Also ein Plan muss her – darin ist Lars gut. Eine To-do-Liste, die Punkt für Punkt abgehakt werden kann, so dass am Ende eine glückliche Familie und eine zufriedene Johanna auf Lars wartet.

Erste Herausforderung: Bettaufbau. Jeder kennt die mit Schrauben und Holzdübeln gefüllten Plastiksäckchen und die enigmatischen Aufbauanleitungen. Lars macht folgendes daraus:

„Gleich auf der ersten Seite lacht mich ein aggressiv gut gelauntes Strichmännchen an, große Nase, dafür nur ein einziges Auge, Mundwinkel bis zu den fehlenden Ohren. Der euphorische Einäugige zeigt auf zwei Schraubenzieher und einen Hammer. Ich tätschele meinen Werkzeuggürtel, Schraubenzieher, Hammer, sogar Johannas Akkuschrauber, und wenn das alles nichts nützt, neon-pinkes Gaffaband. Unter dem ersten Strichmännchen drei weitere, das erste durchgestrichen mit schlaffen Mundwinkeln, dafür aber immerhin mit zwei Augen, diagonal verschoben, klassische Schlaganfallsymptomatik. Daneben wieder zwei Lächelnde, diese nicht durchgestrichen. Keine Ahnung, was mir die Männchen mitteilen wollen, außer dass ein Schlaganfall nicht der richtige Zeitpunkt zum Möbelaufbau sei, worauf ich erstens auch selbst gekommen wäre, zweitens wirklich keine Rücksicht nehmen könnte, sollte ich heute einen Schlafanfall erleiden, dann müsste der eben bis morgen warten.“

Mit diesem ganz speziellen, einerseits slapstickhaften, andererseits sehr intelligenten Humor begleitet Nele Pollatschek ihren Helden Lars durch Kleine Probleme. Er verheddert sich zwar in einer wahren Schrauben-Sprach-Symphonie à la Loriot (das muss man lesen), bewältigt die Bett-Aufgabe aber insgesamt ziemlich gut. Die Leserin beginnt zu hoffen, obwohl ihr schon die nächste Aufgabe „Putzen“ angesichts des zuvor geschilderten Zustands des Hauses nach wochenlanger Abwesenheit Johannas als ziemliche Hürde erscheint. Nun, Lars fuddelt das irgendwie so hin, dass er dahinter genau wie hinter der Steuererklärung einen Haken machen kann. Dabei folgen wir seinen Ausschweifungen und Gedanken und beginnen langsam zu nicken:

„Wir müssen uns den Steuerzahler als glücklichen Menschen vorstellen, habe ich zu Johanna gesagt. Näher kommt der Mensch der Unendlichkeit nie als in seiner Funktion als Steuerzahler.“

Camus. Wir haben es bei Nele Pollatschek mit einer hochintelligenten Erzählerin zu tun, die ihren Humor genauso sprühen lässt wie ihre vielen Anspielungen. Tochter Lina kann man sich allein durch die wenigen Zitate und das Margaret Thatcher Poster in ihrem Zimmer wunderbar vorstellen. Und natürlich weiß man auch, dass der 13 Punkte umfassende Plan unmöglich zu schaffen ist. Zumal ab Punkt 10 die ganz großen Brocken kommen. „Lebenswerk“ – und das ist nichts weniger als das Schreiben des „besten Romans der Welt“ -, an dem Lars seit seiner Kündigung vor acht Jahren eher weniger erfolgreich herumbastelt, während seine Frau mit Beamtenstellung die Brötchen verdient. „Johanna“ – auch bei diesem Punkt sieht Lars eigentlich klar. Die Zeiten, wo seine Frau ihm liebevoll „J´adorno“ ins Ohr flüsterte und sie es charmant fand, wenn er wieder „walterbenjaminerte“ (heulen/fluchen), sind schon lange vorbei.

„Wenn ich die Wahl gehabt hätte, ich hätte mich auch verlassen, nur ich habe die Wahl eben nicht. Überall heißt es, man solle toxische Beziehungen beenden, aber wie ich mich von mir selbst trenne, das hat mir wirklich noch keiner erklärt.“

Trotz der chaotisch eingepackten Geschenke und des zusammengeschusterten Nudelsalats (da hilft auch keine MacGyver-Erfahrung) hofft man, dass alles irgendwie noch gut ausgeht. Auch wenn da ganz am Ende der Liste steht: „Es gut machen“. Aber was bedeutet das überhaupt? Geht das überhaupt? Nicht nur für Lars, sondern für uns alle. Es gut machen.

Und so ist bei allem, teilweise auch krachendem Humor Kleine Probleme von Nele Pollatschek ein hochphilosophischer Roman, leicht zu lesen und überraschend tiefsinnig. Menschsein bedeutet Scheitern. Im Kleinen wie im Großen. Manche bekommen es ein wenig besser hin als andere, dieses Leben. Aber auch für Lars hat man am Ende Sympathie und Empathie. Wahrscheinlich, weil Nele Pollatschek mit so viel Liebe und auch Respekt auf ihn schaut, trotz des ganzen Tohuwabohu, das er anrichtet. Und vielleicht gelingt ja am Ende doch alles. Mach´s gut, Lars.

 

Beitragsbild: Franz Bonn (Text), Adolf Oberländer (Illustration), Public domain, via Wikimedia Commons

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Nele Pollatschek - Kleine Probleme.

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Nele Pollatschek – Kleine Probleme
Galiani-Berlin September 2023, gebunden, 208 Seiten, € 23,00

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