Slowenien – Gastland Frankfurter Buchmesse 2023

2023 ist Slowenien das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Es ist literarisch für viele Leser:innen, so auch für mich, literarisches Neuland. Bisher stand nur ein einziges Werk einer slowenischen Autorin, die allerdings in Wien lebt und dieses Buch auf Deutsch geschrieben hat, in meinen Regalen: Ana Marwan mit Der Kreis des Weberknechts. Höchste Zeit, sich mal in der slowenischen Literatur umzuschauen.

Das Land

Slowenien ist mit einer Fläche von gut 20.000 km² (etwas größer als Rheinland-Pfalz) und 2,1 Millionen Einwohnern (Vergleich: Hamburg 1,9 Millionen) in kleines Land mitten im Herzen Europas. Hier treffen drei große Ökosysteme aufeinander: die Pannonische Tiefebene, die Alpen und das Mittelmeer. Biotisch ist es eines der vielfältigsten europäischen Länder. Bienen spielen eine sehr wichtige Rolle, es gibt eine lange Tradition der Bienenzucht. Daher kommt die Wahl des Gastlandmottos: Waben der Worte. Der slowenische Dichter Srečko Kosovel (1904–1926) spricht in einem Gedicht von der „Wabe der Menschheit“, die uns alle verbindet. Die Struktur der Waben symbolisiert die Einbindung Sloweniens in die europäische und globale Gemeinschaft.

So wie die Bienen weit in die Welt hinausfliegen, um mit einem Tropfen Nektar und einem Pollenkorn heimzukehren, so kamen auch verschiedene kulturelle, künstlerische und intellektuelle Einflüsse in die slowenische Sprache und die slowenische Kultur, hier am Knotenpunkt von vier europäischen Sprachgruppen: slawische, romanische, germanischen und finno-ugrischen Sprachgruppen. Relativ wenige Menschen sprechen Slowenisch, deshalb waren und sind viele slowenische Intellektuelle und Schriftsteller mehrsprachig. Auch das möchte Slowenien als Gastland der Frankfurter Buchmesse 2023 vermitteln.

Der Buchmarkt

„Slowenien präsentiert sich in Frankfurt als modernes, kulturell entwickeltes, politisch dynamisches und touristisch attraktives Land mit einer reichen Buchkultur.“ Auf den söowenischen Euro-Münzen sind zwei wichtige eng mit Büchern verbunden slowenische Persönlichkeiten dargestellt: Primož Trubar, Autor des ersten slowenischen Buches im 16. Jahrhundert, und France Prešeren, Dichter, „Hüter der slowenischen Sprache“. Das Herzstück der slowenischen Literatur ist die Lyrik, die historisch gesehen und bis zur heutigen Zeit eng mit dem Kern der slowenischen Identität verbunden ist.

Laut der International Publishers Association liegt Slowenien weltweit bei der Anzahl der veröffentlichten Bücher pro eine Million Einwohner:innen an zweiter Stelle (1. Estland und Island). Übersetzungen spielen eine große Rolle, etwa 30% der gesamten Buchproduktion, in der Belletristik bis zu 50%. Aber zwischen 2019 und 2022 wurden auch mehr als 600 Übersetzungen slowenischer Werke in allen Sprachen veröffentlicht, fast dreimal so viel wie zuvor. Slowenien gehört in Bezug auf die Lesegewohnheiten zu den eher weniger entwickelten europäischen Ländern, die Zahl der Leser stagniert. Traditionell gibt es ein dichtes Netz öffentlicher Bibliotheken. Deutlich mehr Leser:innen leihen Bücher aus, als sie im Buchhandel kaufen. Es gibt deshalb nur sehr wenige (unabhängige) Buchhandlungen.

In seinem Auftritt als Gastland Frankfurter Buchmesse 2023 wird Slowenien neben den Auto:innen-Auftritten auch die Leseförderung und die Bedeutung des Deep Readings als kognitives Training in digitalen Zeiten in den Mittelpunkt rücken. Das Motto „Waben der Worte“ verbindet auch die traditionelle Bienenzucht mit abstrakten Modellen der digitalen Vernetzung.

 

Quelle:
https://sloveniafrankfurt2023.com/en/publishing/publishing-in-slovenia

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Zum Kennenlernen:

 

Aleš Šteger (Hrsg.) - Ljubljana und SlowenienAleš Šteger (Hrsg.)- Ljubljana und Slowenien. Eine literarische Einladung
Wagenbach SALTO [275] März 2023, 144 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet, 22,– €

Slowenien, das Land der Gegensätze, das vielseitige Land. Aleš Šteger versammelt in diesem schönen, kleinen Buch die unterschiedlichsten Stimmen. Lyrik und Prosa, alt und neu. Die Texte stammen von Tomaž Šalamun, Ilma Rakusa, Boris Pahor, Drago Jančar, Peter Handke, Durs Grünbein, Jan Wagner und vielen anderen. Ein schöner Einblick in die slowenische Literatur, eine wahre literarische Einladung.

 

Aleš Šteger – Gebrauchsanweisung für SlowenienAleš Šteger – Gebrauchsanweisung für Slowenien
Piper Februar 2022, 224 Seiten, Flexcover mit Klappen, € 16,00

Die Serie „Gebrauchsanweisung für“ im Piper Verlag bietet immer einen schönen Einstieg in ein Land, das man kennenlernen möchte, auch abseits eines reinen touristischen Interesses.

Aleš Šteger, einer der bekanntesten slowenischen Autor seiner Generation, bereist sein Land, hat es selbst zu Fuß umrundet und neben der pulsiernde Literatur-Hauptstadt Ljubljana auch das Hinterland erkundet. Das nördlichste Land des ehemaligen Jugoslawiens gilt als Musterbeispiel eines gelungenen  Übergangs von der sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft und Demokratie. Šteger schreibt: „Nirgends findet man so viel Europa auf kleinstem Raum“, aber auch: Man fühlt sich am Rand von Mitteleuropa, am Rand vom Balkan, am Rand des mediterranen Raumes. Also nirgendwo und überall zugleich.“ Mit viel Witz und ironischer Distanz, aber auch großer Zuneigung stellt er uns Land und Landsleute vor und bietet einen wunderbar kurzweiligen und interessanten Einblick in das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse.

 

Jelka Ciglenečki (Hg.) - Ereignis in der StadtJelka Ciglenečki (Hrsg.) – Ereignis in der Stadt
Residenz April 2023, Broschur,352 Seiten, € 28,00

Die Sammlung Ereignis in der Stadt schaut auf die neuere Literatur Sloweniens. 30 Jahre Unabhängigkeit, 30 Jahre Texte, Lyrik, Kurzprosa. Zeitgenössische slowenische Autor*innen in ihrer Vielfalt und mit den unterschiedlichsten Texten, bietet das Buch einen guten Einblick in die slowenische Literaturszene. Vom großen Drago Jančar (*1948) über bekannte „mittelalte“ wie  Mojca Kumerdej und Andrej Blatnik zu den jungen Autor:innen wie Ana Schnabl (*1985) und Goran Vojnnović (*1980) und noch (zumindest bei uns) relativ unbekannten, wie die jüngste in der Anthologie, Eva Markun (*1990) bietet Ereignis in der Stadt einen vielseitigen, oft auch witzigen Einstieg in eine noch nicht so sehr bekannte literarische Landschaft. Zum Einstieg sehr zu empfehlen!

Aktuelle Literatur aus Slowenien:

 

platz-der-befreiung-andrej-blatnikAndrej Blatnik – Platz der Befreiung
Übersetzt von: Klaus Detlef Olof
Folio Verlag 2023, gebunden, 253 Seiten, 25,00 €

Boy meets girl: Andrej Blatnik lässt seinen Protagonisten auf einer Demo im Sommer 1988 auf dem Platz der Befreiung auf eine ihn faszinierende junge Frau treffen.
Es ist die erste große Massen- demonstration in Slowenien. Drei Jahre später, im Juni 1991 verkündet das Land seine Unabhängigkeit. Vor dem Hintergrund dieser Zeit bis in die Gegenwart hinein erzählt Blatnik vom Erwachsen- und Älterwerden von Protagonist und Land. Zwischen den beiden jungen Menschen entwickelt sich eine nicht ganz einfache Liebesbeziehung. Sie stammt aus sehr wohlhabendem Haus, er aus eher einfachen Verhältnissen. Er und sie lieben Musik und Literatur und philosophieren gern über Gott und die Welt, in Dialoge voll ironischer Distanz und Spitzfindigkeiten.
Die Verflechtung von Liebes- und individueller Entwicklungsgeschichte mit den gesellschaftlichen und politischen Vorgängen in Slowenien ist Andrej Blatnik meiner Meinung nach sehr gut gelungen. Gerade für Leser.innen wie mich, die nicht allzu viel über das Land und seine Literatur wissen, bietet es einen guten Einstieg. Zwei ausführliche Nachworte ergänzen den empfehlenswerten Text.

Zu meiner ausführlichen Rezension von Platz der Befreiung geht es hier

 

Maja Haderlap - NachrfrauenMaja Haderlap – Nachtfrauen
Suhrkamp September 2023, Fester Einband, 294 Seiten, € 24,00

Der Roman der Kärntner Slowenin Maja Haderlap steht auf der Shortlist zum Österreichischen Buchpreis.

„In eindringlichen Bildern erzählt Maja Haderlap in ihrem neuen Roman aus dem Leben dreier Generationen von Frauen, von ihren Verstrickungen in aufgezwungene und verinnerlichte Leitbilder und ihrem Ringen um Autonomie. Die Geschichte der Nachtfrauen ist eine der Verluste, des Schweigens und der Schuld, in der trotz allem die Nachsicht und der Respekt füreinander, vielleicht sogar die Liebe, nicht aufgegeben werden.“ (Verlagstext)

Leseprobe Maja Haderlap – Nachtfrauen

 

Stanka Hrastelj: BatsebaStanka Hrastelj – Batseba
Übersetzerin: Metka Wakounig
Homunculus Verlag  Oktober 2022, gebunden, 136 Seiten, € 23,00

„Als König David sich die schöne Batseba zur Frau nimmt, klebt Blut an seinen wie an ihren Händen. Für ihr neues Leben an der Seite des Königs setzte Batseba ihre Reize mit Kalkül und ohne Rücksicht auf Verluste ein. Die Heirat mit dem beliebten und gebildeten Herrscher verschafft ihr den sozialen Aufstieg, Macht, Geld und somit vor allem Unabhängigkeit. Doch obwohl Batsebas Leben wie ein Märchen erscheint, wächst in ihr ein nagendes Gefühl der Schuld, und dieses treibt sie in einen selbstzerstörerischen Wahn.

In lyrisch-verdichteter Sprache erzählt Stanka Hrastelj die berühmte biblische Geschichte von Batseba und König David neu, verlegt sie in das Slowenien von heute und stellt dabei die Frage nach weiblicher Macht und Ohnmacht.“ (Verlagstext)

Leseprobe Batseba

 

Drago Jancar Als die Welt entstandDrago Jančar – Als die Welt entstand
übersetzt aus dem Slowenischen von Erwin Köstler
Zsolnay August 2023, Fester Einband, 272 Seiten, 26,00 €

Der Krieg ist seit mehr als 15 Jahren zu Ende. Und doch lebt er in den Köpfen der Menschen, vor allem der Männer, weiter und bestimmt den Alltag der Menschen in der Volksrepublik Slowenien, Teilstaat der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien auch noch Anfang der 1960er Jahre. In dieser Zeit wächst Danijel in Maribor auf, den man bei aller Fiktionalität als ein Alter Ego des 1948 geborenen Autors Drago Jančar ansehen kann. Die zerrissene Welt der Erwachsenen stellt ihn so manches Mal vor ein Rätsel.

Die Mutter ist streng gläubig und drängt ihren Sohn dazu, nicht nur den Gottesdienst zu besuchen, sondern auch bei Pater Aloisius Katechismusunterricht zu nehmen. Die christlichen Geschichten stehen im krassen Widerspruch zu allem, was ihm in der Schule über den Sozialismus und die Pflicht für junge Pioniere erzählt wird. Und auch der Vater, der als Partisan von den Deutschen nach Auschwitz deportiert wurde und diese Zeit nicht vergessen kann, nimmt ihm seine Kirchenbesuche übel. Für Danijel sind die biblischen Geschichten aber sehr bedeutungsvoll. Besonders die von David und Golath und die um die schöne Bathseba durchziehen das ganze Buch.
In die Welt von Danijel, in die sozialistische Mietskaserne, platzt irgendwann eine junge, hübsche Frau, Lena. Sie wird bald nicht nur Auslöser von frühpubertären Phantasien des Jungen, sondern zieht auch andere Aufmerksamkeiten auf sich. Lenas Sehnsucht nach einem anderen Leben löst schließlich eine Tragödie aus.
Mit Als die Welt entstand ist Drago Jančar ein auch sehr stimmig von Erwin Köster übersetzter, meisterhafter Roman sowohl über das Aufwachsen in einer zerrütteten Nachkriegsgesellschaft als auch über die in vielen osteuropäischen Ländern noch nicht wirklich stattgefundene Auseinandersetzung mit den Kriegsjahren, der Besatzung, der sozialistischen Republik und der 1991 erfolgten Unabhängigkeit gelungen. Drago Jančar ist eine der wichtigsten und bekanntesten Stimmen aus dem Literaturland Slowenien.

Zu meiner ausführlichen Rezension von Als die Welt entsand geht es hier

Leseprobe Als die Welt entstand

 

 Drago Jančar Nordlicht Drago Jančar – Nordlicht
Übersetzt von: Klaus Detlef Olof
Folio Verlag, gebunden, 271 Seiten, 24,00 €

„Eine Dienstreise führt Josef Erdmann am 1. Januar 1938 in seine Geburtsstadt Maribor. Das vergebliche Warten auf den Geschäftspartner, der nie ankommen wird, die heimliche Liebesbeziehung zu einer verheirateten Frau aus guter Gesellschaft und die Bekanntschaft mit zwielichtigen Gestalten ziehen Erdmann immer mehr in einen fatalen Abgrund. Sinnbild der heraufziehenden Katastrophe ist das unerklärliche Nordlicht über der Stadt, das jede Bewegung, jede Tätigkeit stillstehen lässt.“ (Verlagstext)

 

Natasa Kramberger Verfluchte MistelnNataša Kramberger – Verfluchte Misteln
Aus dem Slowenischen von Liza Linde
Verbrecher Hardcover, 272 Seiten, gebunden, € 22,00

„Während Tausende junge Menschen auf der Suche nach neuen Möglichkeiten in Städte ziehen, kehrt die Erzählerin, die als Autorin und Journalistin arbeitet, aus dem Ausland in ihr Heimatdorf zurück. Von einem Tag auf den anderen entscheidet sie sich, den Hof ihrer Mutter zu übernehmen und diesen unter Nutzung althergebrachter Methoden des ökologischen Landbaus zu retten. Hin- und hergerissen zwischen der ach so kosmopolitischen Metropole Berlin und dem scheinbar altmodischen, traditionellen slowenischen Landleben beginnt die Erzählerin allmählich, ihre Annahmen und Vorstellungen zu hinterfragen. Im Dorf lachen alle über ihre neue Berufswahl. Selbst ihre Großmutter zweifelt daran, dass sie dem Job gewachsen ist. Doch mit der Zeit lernt die Erzählerin, mit allen möglichen Herausforderungen – die mitunter sprachlichen Untiefen der staatlichen Bürokratie, der Kauf von Landwirtschaftsmaschinen, Unwägbarkeiten des Wetters und der Natur und die Folgen des Klimawandels – auf ihre eigene Art und Weise umzugehen.
Humorvoll und mit poetischer Raffinesse hinterfragt Nataša Kramberger in ihrem Roman die vermeintlichen Widersprüche – körperliche und geistige Arbeit, archaisches Land und die moderne Urbanität, nachhaltige und herkömmliche Landwirtschaft – und erforscht kritisch und selbstironisch die Rollenbilder, die beide Lebenswelten prägen, den Sexismus und die Skepsis, denen sich die Erzählerin ausgesetzt sieht, und nicht zuletzt die Beziehung zwischen Mensch und Natur.“ (Verlagstext)

Leseprobe Verfluchte Misteln

 

MauerpfefferNataša Kramberger- Mauerpfeffer
Aus dem Slowenischen von Liza Linde
Verbrecher Verlag, Hardcover, 126 Seiten, 16,00 €

„In »Mauerpfeffer« befasst sich Nataša Kramberger mit ihrem eigenen Landwirtschaften im Rahmen des Klimawandels und der damit einhergehenden Widrigkeiten für die Natur wie für den Menschen, der vom Landanbau lebt. Ihr Text ist ein Plädoyer für die ökologische Landwirtschaft, weil diese für das globale ökologische Gleichgewicht unabdingbar ist.
Mit großer Lesefreude folgt man Krambergers persönlichen Gedanken, Beobachtungen und ihrem Engagement in einer poetischen Sprache und begreift das ganze Ausmaß der Bedeutung der Kultivierung der Natur, des Klimawandels und der Abhängigkeit des Menschen.“ (Verlagstext)

Leseprobe Mauerpfeffer

 

Krese-trotz-alledemMaruša Krese – Trotz alledem Verlag:
Übersetzt von: Liza Linde
S. FISCHER September 2023, gebunden, 256 Seiten, € 22,00


„Von slowenischen Partisaninnen und Partisanen im Zweiten Weltkrieg, über den Alltag im jugoslawischen Sozialismus, Studierendenproteste, bis zum Leben als Mutter, Schriftstellerin und Ehefrau: Maruša Krese war Dichterin und Journalistin, sie war Weltbürgerin, Störenfried und Friedenskämpferin. Eindringlich und kompromisslos erzählt sie in ihrem Roman »Trotz alledem« die unmöglich lineare Geschichte ihrer Eltern und ihrer eigenen Generation und verweist auf eine Zukunft, in der wir heute schon leben.

Ein Roman über die Frage, was Menschen tun und was ihnen widerfährt, wenn Staaten und Länder entstehen und zerfallen, wenn die Sieger die Geschichte schreiben. Maruša Krese war eine legendäre Kämpferin für die Freiheit in Wort und Schrift. “ (Verlagstext)

Leseprobe Trotz alledem

 

Mojca Kumerdej Unter die OberflächeMojca Kumerdej – Unter die Oberfläche
Erzählungen
Aus dem Slowenischen übersetzt von Erwin Köstler, Liza Linde, Karin Almasy und Fabjan Hafner
Wallstein Verlag September 2023, gebunden, 260 Seiten, € 23,00

„Unter den Oberflächen lauern mitunter dunkle, beängstigende Dinge – wie etwa bei der Frau, die nach außen hin den Schein der ihre kleine Tochter liebenden Mutter aufrechterhält, sich im Innern aber nach ihrem selbstbestimmteren Leben vor der Geburt zurücksehnt und dann nicht einschreitet, als sich eine Katastrophe anbahnt. Oder bei der Frau, die nur dann selbst glücklich sein kann, wenn es ihrer Freundin schlecht geht.
Mit feinem psychologischen Gespür schildert Mojca Kumerdej die Innenwelt ihrer Figuren, die Beweggründe für ihr Verhalten – auch wenn das Bewusstsein seinen Sitz mitunter schon nicht mehr in einem Körper hat, sondern sich dieses in einer frisch transplantierten Leber zu befinden scheint. In ihren brillant geschriebenen Erzählungen offenbart sie uns die Schrecken und Träume ihrer Figuren, die sie auch immer mit intelligentem Humor begleitet.“ (Verlagstext)

Leseprobe Unter die Oberfläche

 

Ana Marwan - VerpupptAna Marwan – Verpuppt
Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof
Otto Müller Verlag Januar 2023, 220 Seiten, gebunden, € 24 

„Rita findet sich nicht zurecht in der Welt. Stets übt sie sich in Genügsamkeit und Akzeptanz und kommt früh zu der Erkenntnis, dass sich Träume oder Dinge, die verloren gehen, durch andere ersetzen lassen. Durch Beobachtung stellt sie fest: Der Mensch ist ein Gefäß, in das über die Jahre alles hineinkommt von außen – Meinungen, Verhaltensweisen, Gesten … Das Leben betrachtet sie als eine reine Aneinanderreihung von Spielchen; je nach Situation wird diese oder jene Version der eigenen Person zur Schau gestellt und vor sich hergetragen. Was aus ihr werden soll, weiß sie nicht.
Um das Chaos ihrer Welt zu bändigen, schreibt sie Geschichten, gestaltet Wahrheiten, erfindet sich Gefährten wie Ivo Jež, der – wie sie – im Ministerium tätig ist, Abteilung Raumfahrt. Oder handelt es sich um eine andere Art von Einrichtung und Ivo ist ein Mitpatient? Wird Rita therapiert oder wird die Ärztin von Rita manipuliert? Ist der freie Mensch frei oder ist derjenige ohne Zwang, dem die Entscheidungen abgenommen werden? „Jede Geschichte ist eine Gewalt an der Wahrheit“, schreibt Rita einmal. Verstehen wir dies als Einladung, den Wahrheitsgehalt der erzählten Geschichte infrage zu stellen.“ (Verlagstext)

Leseprobe Verpuppt

 

Roman Rozina - Hundert Jahre BlindheitRoman Rozina – Hundert Jahre Blindheit
Aus dem Slowenischen von: Alexandra Natalie Zaleznik
Klett-Cotta September 2023, 584 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, € 28,00

„»Hundert Jahre Blindheit« erzählt vom Aufstieg und Niedergang einer Familie. Die massiven gesellschaftlichen Umbrüche, die den Vorabend der Moderne prägen, machen auch vor dem blinden Matija und dessen Umfeld nicht halt. Ein monumentaler Familienroman aus Slowenien, der das europäische Erbe des 20. Jahrhunderts aufleben lässt.

Als am 24. Mai 1900 ein Kind in der Familie Knap geboren wird, ahnt noch niemand, dass der kleine Matija sein Leben lang blind bleiben wird. Und doch, so stellt es sich später heraus, ist er der Einzige, der den Herausforderungen, die der Familie bevorstehen, wirklich ins Auge blickt. Das Unwetter, das bei Matijas Geburt in Podgorje getobt hat, scheint ein böses Omen zu sein. Der Grundbesitz der Familie wird fast vollständig zerstört und die Knaps sind bald gezwungen, sich in der neu entstandenen Bergbausiedlung als Arbeiter zu verdingen. Während die Industrialisierung den sozialistischen Arbeiterkampf immer stärker befördert und die Emanzipationsbewegung Familienstrukturen über den Haufen wirft, rufen die Kriege des 20. Jahhrunderts die Soldaten wie böse Geister auf den Plan. Roman Rozina hat einen meisterhaft erzählten Roman geschrieben über ein Jahrhundert, dem wir heute noch oft mit Blindheit gegenüber stehen.“ (Verlagstext)

Leseprobe Hundert Jahre Blindheit

 

Ana Schnabl - MeisterwerkAna Schnabl – Meisterwerk
Übersetzt von: Klaus Detlef Olof
Folio Verlag, gebunden, 232 Seiten, 22,00 €

„Adam ist ein Literaturprofessor an der Universität Ljubljana, der sich nach einem ersten literarischen Misserfolg vor zwanzig Jahren erneut an einem Roman versucht. Ana ist eine junge ambitionierte Verlagsredakteurin und zugleich Informantin des nationalen Sicherheitsdienstes. Sie erhält Adams Manuskript Das Meisterwerk zur Begutachtung. Im Laufe der gemeinsamen Arbeit am Text stürzen sich die Protagonisten, beide verheiratet, in eine intensive Liebesbeziehung. Während Adam sich in Dissidentenkreisen bewegt und für die Unabhängigkeit Sloweniens brennt, ist Ana hin- und hergerissen zwischen ihren persönlichen Lebensentwürfen und dem Pakt mit der dunklen Seite des Systems. Schnabls eindringliches Psychogramm spielt vor dem Hintergrund der Katastrophe, auf die Jugoslawien nach Titos Tod zusteuert.“ (Verlagstext)

 

Aleš Šteger – Das Lachen der Götter
Erzählungen
Aus dem Slowenischen übersetzt von Matthias Göritz
Wallstein Verlag August 2023, 222 S., gebunden, € 22,00

„Prometheus ist bei Šteger ein Bergarbeiter, der einen verlassenen Tunnel aushebt und Fürchterliches zutage fördert. Auch von Narziss, Orpheus, Medusa, Ikarus erfahren wir sehr heutige Geschichten.
Barisha aus Istanbul etwa entführt ihre minderjährige Tochter, um sie vor ihrem ehemaligen Partner zu retten, der sie schon als Braut verkauft hat. Sie soll einmal ein besseres Leben haben – es ist eine moderne Geschichte der Entführung Europas. Die alten Griechen wussten, dass das Schicksal des Menschen vorbestimmt und unausweichlich ist. Sind die Götter nur ein verkleinertes, fernes Abbild unserer Schwächen? Oder sind wir Menschen ein blasses Abbild von ihnen?

Wenn die Götter uns verfolgen, uns in ihre Fallen locken, wenn sie uns etwas zuflüstern, uns mit allerlei Tricks verführen, wenn sie uns schließlich verlassen und wir allein zurückbleiben, traurig vielleicht, verzweifelt und um alles gebracht – welchen Ausdruck erkennen wir dann in ihren göttlichen Gesichtern? Denn wir Menschen, in den Momenten des größten menschlichen Glücks oder Unglücks, lesen ihre Mimik immer ganz deutlich: Liegt ein gnädiges göttliches Lächeln im Antlitz der Götter? Ist es ein nachsichtiges Lachen? Offener Spott über unser Unglück? Gar ein grausames Krächzen? Oder erkennen wir nur ein trauriges Schweigen als die grausamste und womöglich charakteristischste Form des göttlichen Lachens?
Aleš Šteger erzählt eindringlich und mit großem erzählerischen Atem von Leidenschaften, von Sehnsüchten, Wünschen und Trauma.“ (Verlagstext)

Leseprobe Das Lachen der Götter

 

Aleš Šteger NeverendAleš Šteger – Neverend
Aus dem Slowenischen übersetzt von Matthias Göritz und Alexandra Natalie Zaleznik
Wallstein Verlag April 2022, 462 Seiten, gebunden, € 26,00

„Es herrschen angespannte Zeiten: Die EU befindet sich mit dem Rest der Welt in Handelskriegen, in den Regalen der Supermärkte gibt es keine Bananen mehr. In Slowenien stehen Wahlen vor der Tür, und in Ljubljana treffen Proteste auf Gegenproteste, extremistische Parteien befinden sich im Aufwind.
Inmitten dieses Chaos durchlebt eine junge Schriftstellerin ihre ganz eigene Krise, Liebe und Finanzen liegen im Argen. Um Letzterem Abhilfe zu schaffen, nimmt sie einen Honorarauftrag an, Creative Writing Workshops in einem Gefängnis durchzuführen. Während drei Gefangene ihr immer wieder neue Erzählungen liefern, die alle vom Krieg handeln, beginnt sie, einen historischen Roman zu schreiben, der von der Freundschaft zwischen Antonio Scopoli und Carl von Linné erzählt, von Scopolis Reise durch das kriegsverwüstete Europa des 18. Jahrhunderts und von dem Ort, an dem die erste Banane auf europäischem Boden gezüchtet wurde.“ (Verlagstext)

Leseprobe Neverend

 

 Goran Vojnović Unter dem Feigenbaum Goran Vojnović – Unter dem Feigenbaum
Übersetzt von: Klaus Detlef Olof
Folio Verlag, gebunden, 352 Seiten, € 25,00

Über ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit Jadrans Großvater nach Istrien kam und dort eine Familie gründete. Nun ist er tot, und auch Jadrans Vater hat nach Ausbruch des Bosnienkrieges die Familie verlassen. Mit dem Besuch im Haus des Großvaters beginnt die Suche des jungen Mannes nach der eigenen Identität und führt ihn unweigerlich in die Wirren auf dem Balkan. Der Zerfall des Staates und dessen neue Grenzen haben auch die Familienbande zerschnitten. Einzig der Feigenbaum im Garten seines Großvaters scheint alle Stürme unbeschadet überstanden zu haben.

 

18-km-bis-Ljubljana-goran-VojnovicGoran Vojnović – 18 Kilometer bis Ljubljana
Übersetzt von: Klaus Detlef Olof
Folio Verlag 2023, Hardcover, 319 Seiten, 26,00 €

Eigentlich will ich so was nicht hören. Und natürlich auch nicht lesen. Dieses Macho-Gerede, diese Proll-Sprache, diese breitbeinig durch die Gegend laufenden, sich in diskriminierender Sprache, multiplen Aversionen und vernagelter Weltsicht suhlenden Jungmänner, die ihre eigene Bedeutungslosigkeit in Aggression und Radau umleiten. Für die es sich ständig nur um Schwänze und ums Ficken dreht, die alle weiblichen Wesen, die nicht bei Drei auf den Bäumen sind, erst einmal gehörig „knallen“ wollen, und die es extrem lustig finden, in der Öffentlichkeit laut den Namen des Kriegsverbrechers und Verantwortlichen für das Massaker von Srebrenica im Juli 1995, Ratko Mladić, zu skandieren.

Nein, eigentlich möchte ich meine Zeit nicht mit solchen abstoßenden Menschen verbringen. Und leicht könnte ich das Buch zuschlagen und mich in meine wohlgeordnete, meistenteils freundlich-friedliche, bildungsbürgerliche Blase zurückziehen. Aber diese Typen gibt es ja, nicht nur in Gestalt der sogenannten Tschefuren, der Zuwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien, die oft in speziellen Stadtvierteln, wie in  in Ljubljana in Fužine leben. In den unterschiedlichen Abwandlungen leben sie mit ihrer Wut überall.

In seinem Debütroman Tschefuren raus! hat Goran Vojnović 2008 die Literaturszene Sloweniens mit einem solchen Protagonisten, dem damals 17-jährigen Marko Đorđić, Sohn zweier serbischer Einwanderer aus Bosnien, gehörig aufgemischt. Es gab sogar eine Strafanzeige des damaligen stellvertretenden Generaldirektors der slowenischen Polizei wegen Beleidigung, die aber von der Innenministerin persönlich abgewehrt wurde. Vojnović wurde vielfach preisgekrönt und gilt heute als einer der bedeutendsten Schriftsteller Sloweniens. Auch der vorliegende Nachfolgeroman, der Marko Đorđić zehn Jahre später wieder begleitet, hat diesen rüden, respektlosen, aggressiven Sound. Sehr viel besser als im Debüt ist die Lage der jungen Männer nicht. Zwar hat sich einer aus der damaligen „Jugo-Bande“ mittlerweile gut integriert, aber ein anderer sitzt im Gefängnis, ein dritter dreht weiterhin krumme Dinger und ist drogenabhängig. Marko Đorđić selbst, der vor einer Verhaftung in die alte Heimat fliehen musste, kann auch dort nicht mehr bleiben. Außerdem ist sein Vater an Krebs erkrankt.

Der Krieg hat ihnen die Kindheit, die Chancen und oft auch die Väter geraubt. In den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens sind sie nicht willkommen und können sich schlecht integrieren. Mehr als Wut, Radau, Hass und Verachtung allem Geordneten gegenüber fällt ihnen nicht ein. Ich kann verstehen, dass man ihnen nicht zuhören mag. Aber dadurch löst man die Konflikte nicht. Es ist ein nicht zu unterschätzender Verdienst von Autoren wie Goran Vojnović, ihnen Gehör zu verschaffen. Auch wenn im Deutschen eine Besonderheit in sprachlicher Hinsicht nicht zum Tragen kommt (Marko spricht einen lokalen Soziolekt, einer Mischung aus Slowenisch und Serbokroatisch), ist das Buch von Klaus Detlef Olof gut ins Deutsche übertragen worden. Allein der häufige Gebrauch von „Häfen“ für Gefängnis oder Knast hat mich doch ziemlich gestört. Das ist ein Wort, das man außerhalb von Österreich doch kaum kennt.

 

Lyrik:

 

Srečko Kosovel- Mein Gedicht ist mein Gesicht
Aus dem Slowenischen von Ludwig Hartinger
Otto Müller verlag Februar 2023, 180 Seiten, broschiert, € 23 

Der 1904 in Sežana bei Triest/ Trst geborene und in kleinen Dorf Tomaj im slowenischen Karst aufgewachsene Dichter Kosovel gilt in seinem Heimatland als Klassiker. Seine in reduzierter Sprache in literarischem Konstruktivismus verwurzelten Gedichte wurden durch die Erfahrungen während des in seiner Heimat intensiv geführten Ersten Weltkriegs, die beeindruckende Naturlandschaft des Karsts und der dort lebenden Vielfalt der Befölkerung und durch den aufkommenden Faschismus geprägt. Zwei Gedichtbände entstanden in seiner Studentenzeit in Ljubljana, dann starb Kosovel 1926, nur 22jährig an einer Hirnhautentzündung. Er hinterließ verblüffende 1.400 Gedichte, knapp 80 Prosatexte, sowie Theaterentwürfe, Essays, Briefe und Notizbücher. Bereits 2004 brachte Ludwig Hartinger den Sammelband heraus, der nun zum Gastlandauftritt Sloweniens mit Federzeichnungen und Holzschnitten von Christian Thanhäuser und einem Nachwort von  Hartinger im Otto Müller Verlag erneut erscheint. Eine gute Gelegenheit, den viel zu früh verstorbenen, eigensinnigen Poeten zu entdecken.

Kons

Müder Mensch Europas
schaut traurig in den goldenen Abend,
der noch trauriger ist
als seine Seele.
Karst.
Die Zivilisation ist ohne Herz.
Das Herz ist ohne Zivilisation.
Erschöpfter Kampf.
Evakuierung der Seelen.
Der Abend brennt wie Feuer.
Tod Europas!
Erbarmen! Erbarmen!
Herr Professor,
verstehen Sie das Leben?

 

Matthias Göritz, Amalija Maček, Aleš Šteger (Hrg.) – Mein Nachbar auf der Wolke
Slowenische Lyrik des 20. und 21. Jahrhunderts
herausgegeben von Matthias Göritz, Amalija Maček, Aleš Šteger
Hanser Verlag Juli 2023, Fester Einband, 312 Seiten, 36,00 €

„Eine umfassende Anthologie der slowenischen Lyrik von der Jahrhundertwende bis in unsere Tage

Slowenien ist ein kleines Land mit einer großen Poesie. Bei unserem Nachbarn auf der Wolke war Dichten seit jeher Überlebensstrategie: vom avantgardistischen Genie Srečko Kosovel, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die Krise Europas prophezeite, über den katholischen Partisanen Edvard Kocbek, bis hin zur Poesie der jungen Lyrikszene, die zwischen Techno und grenzüberschreitenden Revolutionen ihren Ausdruck findet. Zum ersten Mal stellt eine zweisprachige Anthologie den ganzen Reichtum der slowenischen Poesie vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart vor. Sie zeichnet nicht nur die literarischen Strömungen nach, sondern würdigt auch die vielfältigen sprachlichen Minderheiten.“ (Verlagstext)

 

Ich hoffe, ich konnte ein wenig neugierig machen auf das Literaturland Slowenien. Schreibt gerne auch eure slowenischen Entdeckungen oder liebgewonnenen Lektüren in die Kommentare. In der kommenden Woche werde ich auf der Buchmesse sicher noch viele Anregungen und Eindrücke bekommen. Am Freitag werden wir in einem Blogger:innentreffen mit slowenischen Autor:innen ins Gespräch kommen. Also, bleibt dran!

 

 

Ein Gedanke zu „Slowenien – Gastland Frankfurter Buchmesse 2023

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