Richard Ford – Valentinstag

Wenn ich nach meinem Lieblingsautor/meiner Lieblingsautorin gefragt werde, muss ich immer ausweichen. Die vielen Bücher, die ich übers Jahr verteilt und das schon einige Jahrzehnte lang lese, haben mich so viele wunderbare, begnadete, empathische Schriftsteller:innen kennenlernen lassen, dass ich diese Frage einfach nicht beantworten kann. Sollte der Fragesteller allerdings zu Werkzeugen der peinlichen Befragung greifen, dann könnte es durchaus sein, dass der Name Richard Ford fällt. Seitdem der 1944 geborene US-Amerikaner 1989 (Original 1986) mit Der Sportreporter seinen Helden Frank Bascombe in die literarische Welt entließ, begleitet dieser in relativ regelmäßigen, meist ca. zehnjährigen Abständen mein Leseleben. Höhepunkt war vielleicht bereits 1995 der zweite Roman, Unabhängigkeitstag, mit dem Ford sowohl den Pulitzer-Preis als auch den PEN/Faulkner Award gewann. 2006 folgte Die Lage des Landes, 2015 Frank. Mit letzterem, vier zu einem Roman zusammengefassten Novellen, schien die Bascombe-Reihe beendet. Wie wunderbar und großartig, dass Richard Ford nun mit Valentinstag doch noch einmal, wenn auch wohl zum wirklich letzten Mal, nachgelegt hat.

Es waren immer Feiertage, um die herum wir Lesenden Frank Bascombe begegneten. Ostern, der 4. Juli, Thanksgiving und nun der Valentinstag. Die Novellen in Frank spielen in der Zeit nach dem verheerenden Hurrikan Sandy herum, der im Oktober 2012 wütete und der etliche Strandvillen an der Ostküste zerstörte. Wie wir jetzt wissen war das die Grundlage einer neuen Geschäftsidee, in die sein ehemaliger Angestellter und dann Partner Mike Mahoney einstieg und in dessen „Boutique-Maklerbüro“ für die besonders hochpreisigen Angebote Frank nun als Rentner noch Teilzeit arbeitet. Stationen als Schriftsteller und Sportreporter liegen da schon hinter ihm. Genauso wie etliche Schicksalsschläge.

Ein Leben voller Schicksalschläge

Franks kleiner Sohn Ralph starb bereits mit acht Jahren. Das Drama seines Todes bewog Frank, seine Schriftstellerei aufzugeben und „endlich für die Familie da zu sein“. Die Ehe mit Ann konnte das allerdings nicht retten. Genauso wenig wie sein Verhältnis zu seinen anderen Kindern Clarissa und Paul. Während er sich um letzteren bemüht (zum Beispiel mit der Reise zur Baseball Hall of Fame am Unabhängigkeitstag), gibt er früh zu, dass er Clarissa eigentlich nicht besonders mag – und sie ihn auch nicht. Es folgen Prostatakrebs, ein Schlaganfall, eine weitere gescheiterte Ehe – das Schicksal meint es eher nicht so gut mit Frank. Seine Antwort darauf ist eine „robuste Verdrängung“.

„In letzter Zeit denke ich öfter als früher über das Glück nach. Ich bin mit einer Version von Glücksvorstellung komfortabel durchs Leben gekommen, auf dem schmalen Grat zwischen den verschwisterten Leitsätzen: ‹Was uns nicht umbringt, macht uns stärker› und ‹Alles, was nicht niederknüppelndes Unglück ist, zählt als Glück›.“

Und doch ist der „pursuit of happiness“ so tief im amerikanischen (und vielleicht unser aller) Bewusstsein eingepflanzt, dass Frank nicht doch zumindest danach strebt. Das erste und das letzte, die Geschichte rahmenden Kapitel sind so auch mit „Glück“ betitelt. Aber Frank ist kein Kämpfer, eher der ironisch-sarkastische, genauestens beobachtende Kommentator des vorbeiziehenden Lebens, ein Alltagsphilosoph, der weiß, dass das Scheitern meist gleich um die Ecke lauert. Und der doch die Fahne hochhält. Eine seiner Strategien ist neben dem Beobachten auch das Schreiben. Das manchmal absurde, häufig enttäuschende Leben in Worte fassen.

„Ich habe immer geglaubt, dass Worte die meisten Dinge besser machen können, und es gibt nichts, was man nicht verbessern könnte. Aber man muss die Worte finden.“

Paul

Aber das fällt eben manchmal schwer. Paul ist mittlerweile 47, alleinstehend, und nach Jobs in der Grußkartenabteilung bei Hallmark und bei einer Security-Firma beruflich eher als gescheitert zu betrachten. Er ist unheilbar an ALS, also Amyotropher Lateralsklerose, einer fortschreitenden Erkrankung der motorischen Nervenzellen, die zu Muskellähmungen und unweigerlich zum Tod führt, erkrankt. Frank, mittlerweile auch bereits 74, will ihn gegen den Willen von Clarissa in seinen letzten Lebensmonaten betreuen, begleitet ihn zu einer Medikamentenstudie an der berühmten Mayo-Klinik in Minnesota. Kurz vor dem Valentinstag ist die Behandlung abgeschlossen und Vater und Sohn möchten eine vermutlich letzte gemeinsame Reise unternehmen. Richard Ford schlägt hier den Bogen vom Unabhängigkeits- zum Valentinstag.

Als Ziel der Reise hat Frank den Mount Rushmore gewählt, vielleicht eine der amerikanischsten Ziele überhaupt, wo die vier „großen Präsidenten“ überlebensgroß in den Stein gehauen sind. Hier im amerikanischen „Heartland“, in South-Dakota, weht im Februar ein eisiger Wind über die schwachbesiedelte Prärie. Es ist ein typischer „flyover state“, gerade gut genug, um ihn auf dem Weg von Küste zu Küste zu überfliegen. Mit einem klapprigen Wohnmobil namens „Warmer Wind“, das natürlich seinem Namen mehr als spottet, geht es westwärts, über Sioux Falls Richtung Rapid City. Merkwürdige Motels, ein absurder Maispalast, Konsumwahn in den Shopping Malls – ein heruntergekommenes Land im wirtschaftlichen Niedergang, mit Rassismus und viel Hässlichkeit zieht an ihnen und uns Lesenden vorüber. Im Gepäck hat Frank einen Band Heidegger. Bald merkt er aber, dass mit Heidegger alles noch ein wenig elender wird.

Ein Gespräch, das kein echtes Gespräch ist

Stattdessen verbringen Frank und Paul, obwohl dieser oft schlecht gelaunt, wütend und beleidigend ist, ihre gemeinsame Zeit mit viel Palaver, Blödeleien, Foppereien. Alles ein wenig, um darunter die enorme Sprachlosigkeit zu verbergen, die natürlich angesichts des nahen Todes Pauls, aber eigentlich schon immer zwischen ihnen geherrscht hat.

„Wir tun, was Amerikaner zu tun pflegen – wir führen ein Gespräch, das kein echtes Gespräch ist, aber eine Art Verbindung schafft.“

Paul stirbt am Ende, wir erfahren es im letzten Kapitel, nicht an ALS, sondern am Corona-Virus. Frank hat sich zu einer Freundin nach Kalifornien zurückgezogen, sitzt sinnierend mit einem Glas Rosé auf der Terrasse.

„Ans Ende kommen ist schwer, dachte ich. Aber ganz so schwer muss es doch nicht sein.“

Schon schwer, nach über dreißig Jahren an ein Ende mit Frank Bascombe zu kommen. Aber Richard Ford lässt es dann doch nicht so ganz schwer werden.

„„Wo bist du, Frank? Ich komme jetzt. Ich hab was, das wird dir gefallen. Was ganz Anderes und Neues.“ Ich drehe mich um, wer das wohl ist. Der leere Zeitraum, den ich verpasst habe, hat sich geräuschlos von beiden Seiten geschlossen. „Okay“, sage ich. „Ich bin bereit für was Anderes.“ Und lächele, begierig zu erfahren, wer da mit mir spricht.“

 

Beitragsbild: Mount Rushmore Thomas Wolf, www.foto-tw.de, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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Richard Ford - Valentinstag.

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Richard Ford – Valentinstag
übersetzt von Frank Heibert
Hanser Berlin August 2023, Fester Einband, 384 Seiten, 28,00 €

 

 

 

 

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