Stephanie Bart und Deniz Utlu sind beim Bayerischer Buchpreis 2023 in der Kategorie Belletristik neben Teresa Präauer nominiert und sprachen mit Alexandra Stiller und Petra Reich auf der Frankfurter Buchmesse.
Teil 2: Stephanie Bart
Die Autorin Stephanie Bart, 1965 in Esslingen am Neckar geboren, erhielt 2014 für ihren vielbeachteten Roman „Deutscher Meister“ über den Boxer Johann Rukelie Trollmann im nationalsozialistischen Berlin 1933 den Rheingau Literaturpreis.
Nun sitzt sie uns (Alexandra Stiller vom Blog „Bücherkaffee“ und mir) zusammen mit ihrem Verleger Christian Ruzicska am Bayernstand auf der Frankfurter Buchmesse gegenüber, um über ihren neuen Roman „Erzählung zur Sache“ zu sprechen, der für den Bayerischen Buchpreis 2023 in der Kategorie Belletristik nominiert ist. Auf 678 Seiten nähert sie sich darin der Roten Armee Fraktion, den Mitgliedern der ersten Generation und der aufgeheizten Stimmung in der BRD der Siebziger Jahre, und zwar vorwiegend in der Subjektiven der damaligen „Top-Terroristin“ Gudrun Ensslin.
Zehn Jahre sind vergangen seit ihrem letzten Roman, sechseinhalb Jahre arbeitete Stephanie Bart am neuen Buch. Übrigens genauso lang, merkt die Autorin im Gespräch an, wie Gudrun Ensslin insgesamt inhaftiert war. Der Stoff selbst kam eher zufällig zu Stephanie Bart. Als sie ihr Interesse an der Person Ensslin ihrem damaligen Lektor gegenüber äußerte, ermunterte der sie zu einem Romanprojekt. Einmal eingelesen, war Bart schnell vom Stoff fasziniert.
„Dann gab es kein Entkommen mehr.“
Eine sehr aufwändige Recherche schloss sich an.
„Es ist unglaublich beglückend und schön, zu recherchieren. Für mich ist die Recherche vom Schreiben nicht wirklich zu trennen. Die Recherche ist der Inhalt.“
Die Theorie von Marx, die das Fundament für die Papiere der RAF bildet und ohne die zum Beispiel die fast zweihundertseitige „Erklärung zur Sache“, die die in Stammheim einsitzenden RAF-Mitglieder 1976 abgaben und auf die der Titel des Romans anspielt, schwer zu verstehen sind, wurde von Stephanie Bart genauso erarbeitet wie auch all die anderen Texte der Roten Armee . In ihrem Roman fügt sie ihre Erzählstimme mit historischem Dokumentarmaterial und Schlüsselzitaten der linken Theorie zusammen. Zusätzlich arbeitet die Autorin sehr stark mit Bildmaterial, die viele versteckte Informationen enthalten können. Die wiederholte Lektüre der sehr marxistischen, sehr technokratischen, sehr speziellen Texte war sicher eine Herausforderung. Zugleich verwendet die Autorin deren charakteristischen Ton bewusst selbst. Deshalb sprach ich Stephanie Bart auf folgendes Zitat aus ihrem Buch an und fragte, ob sie keine Angst habe, dass es den Leser:nnen ihres Buchs ähnlich gehe:
(Zitat S. 208) „Natürlich hätte die Rote Armee Fraktion, anstatt jedes Gespräch mit Gleich- und Ähnlichgesinnten im Keim zu ersticken, sprechen, lernen, sprechen lernen, zusammenarbeiten und auch mal Erklärungen schreiben können, die man gerne las.“
Tatsächlich war dieser Punkt der Autorin beim Schreiben stets bewusst.
„Die Texte der RAF sind eine Art Antikommunikation. Die Texte sagen mir, wenn ich sie lese: Geh weg, lies erst einmal Marx und dann kannst du wiederkommen. Das ist keine gute Haltung. Ich habe versucht, die Inhalte so dazustellen, dass man dieses Gefühl nicht bekommt, sondern einen Zugang erhält.“
In Barts Text wechseln sich die Erzählstimmen sehr oft ab, innerhalb eines Abschnitts, manchmal gar in einem Satz, auch wenn der Fokus stark auf der Person Gudrun Ensslin und der anderen Mitglieder der RAF liegt. Aber die Autorin möchte alle Beteiligten zu Wort kommen lassen. Dabei werden Ich-, Wir- und personale Perspektive abgewechselt und gleich zu Beginn klargestellt:
„Ich kann jeder sagen. Und daher immer ein anderer sein.“
In der Darstellung der sogenannten Todesnacht von Stammheim am 18. Oktober 1977 bleibt Stephanie Bart konsequent bei der Perspektive der RAF, während in der öffentlichen Berichterstattung meist die bürgerliche Perspektive dominiert.
Für die Autorin hat die Beschäftigung mit der ökonomischen Analyse von Karl Marx auch ihren Blick auf die Welt verändert. Einen Verlag für ihren mutigen, herausfordernden, literarisch vielfältigen und anspruchsvollen Roman zu finden, war nicht ganz einfach. Ihr ursprünglicher Verlag Hoffmann und Campe lehnte ab. Kein Stoff für Konzernliteratur, wie sie von der Buchwissenschaftlerin Corinna Norrick-Rühl definiert wird.
„Die Kriterien für Konzernliteratur fordern, dass der Text massentauglich, große Aufmerksamkeit erzeugend und vielfach verwertbar ist. Das trifft alles auf diesen Roman nicht zu. Und es ist klar, dass dieser Roman sich vom Inhalt her gegen unsere wirtschaftliche Ordnung richtet. Logisch, dass ein Konzern das nicht machen kann.“
Umso schöner, dass das bemerkenswerte Buch beim Secession Verlag und seinem Verleger Christian Ruzicska eine Heimat gefunden hat. Nun steht er, nominiert von Jury-Mitglied Andreas Platthaus, im Rennen um den Bayerischen Buchpreis 2023.
Alle Fotos ©Alexandra Stiller
Der Bayerische Buchpreis 2023
Teresa Präauer mit ihrem Titel aus dem Frühjahrsprogramm Kochen im falschen Jahrhundert konnten wir leider nicht auf der Frankfurter Buchmesse treffen. Ich bekam allerdings bereits im April auf der Leipziger Buchmesse die Gelegenheit, die Österreicherin bei einem kleinen Bloggertreffen des Wallstein Verlags kennenzulernen. Auch ihr schmaler, sehr kluger und amüsanter Roman über ein Abendessen unter Freunden, das so manche Herausforderungen bietet, gehört auch zu meinen Favoriten des diesjährigen Lesejahrs. Wenn ihr mögt, könnte ihr meine Besprechung zu Teresa Präauer hier nachlesen.
Mehr zum Bayerischen Buchpreis könnt ihr hier erfahren.
Bayerischer Buchpreis 2023 in der Kategorie Sachbuch sind nominiert:
Nun müssen wir nur noch wenige Tage warten. Am Dienstag, den 07.11.2023 wird auf der Bühne, live in der Allerheiligen-Hofkirche in München die Jury (Andreas Platthaus (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Marie Schoeß (Bayerischer Rundfunk) und Cornelius Pollmer (Süddeutsche Zeitung)) über diese drei Belletristik-Titel und über drei Titel aus der Kategorie Sachbuch diskutieren und jeweils einen Gewinnertitel auswählen. Marina Müller-Nauhaus (@nordbreze, Blog: Nordbreze und so.), Alexandra Stiller (@alex_coffee_books, Blog: Buecherkaffee) und ich werden vor Ort sein und fleißig auf Instagram darüber berichten. Auf Bayern2 könnt ihr den Livestream ab 20:05 Uhr mitverfolgen. Nun gilt es nur noch Daumen drücken. Für wen? Schwierig. Dieses Jahr sind wirklich alle Titel auf ihre ganz eigene Art sehr preiswürdig. Es bleibt spannend!