Literarischer Herbst – im Allgemeinen endet er im November mit der Buch Wien und dem Münchner Literaturfest (zu denen ich so gerne einmal fahren würde, hat bisher leider noch nie geklappt), und mit der Verleihung der großen Buchpreise – vor der Buchmesse in Frankfurt der Deutsche Buchpreis, es folgen Österreichischer, Bayerischer und Schweizer Buchpreis, international der National Book Award und der Booker Prize.Getaktet von den beiden großen Programmen, die die meisten Verlage jeweils im Frühjahr und Herbst auf den Markt bringen, und den beiden großen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt gliedert sich das Literaturjahr in einen literarischen Frühling und den Bücherherbst. Wobei letzterer meist viel hektischer und prall gefüllt mit Veranstaltungen und Terminen auftritt, vielleicht, weil ihm die Weihnachtszeit „im Nacken“ sitzt.
So beginnt auch schon früh im September die Terminabsprache mit den Verlagen für die Messe, die Einladungen trudeln ein, Verabredungen auf der Messe werden getroffen. Eine intensive Beschäftigung mit dem jeweiligen Gastland in Frankfurt ist für mich schon Tradition und die vielen Herbstneuerscheinungen wollen gelesen und besprochen werden. Dazu häufen sich die Lesungen und Online-Events. Eine schöne, aber auch anstrengende Zeit ist der Bücherherbst, nicht zuletzt durch Buchmesse und Bayerischer Buchpreis. Dieses Jahr fühle ich mich am Ende tatsächlich besonders erschöpft. Vielleicht durch die dieses Mal besonders intensiv besuchte Messe, vielleicht aber auch durch die allgemeine Weltlage, die an mir doch sehr zerrt und rüttelt.
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Frankfurter Buchmesse
Die Messewoche im Oktober begann für mich ganz entspannt bereits am Montag. Da dieses Jahr ein Jubiläumsjahr war – 75 Jahre Frankfurter Buchmesse -, hat sie sich einige ganz besondere Dinge einfallen lassen und auch bereits im Vorfeld sehr aktiv auf Instagram und anderen Online-Kanälen beworben. Besonders gestaltete Bücherschränke in Frankfurt wurden mit Überraschungen bestückt, Taschen aus ausrangierten Fahnen gefertigt, T-Shirts bedruckt und eine Aktion mit 75 Stühlen geplant und am Montag vor der Paulskirche in Frankfurts Stadtzentrum gestartet.
Hier in der Paulkirche fand 1949 die erste Buchmesse neuerer Zählung statt (Tatsächlich blickt sie auf eine mehr als 500-jährige Tradition zurück). 2023, im Jubiläumsjahr wurde der Platz zu einem „Ort der Geschichten“. Dafür haben Menschen aus der Buchszene von ihren Erfahrungen und Erlebnissen rund um die Buchmesse berichtet. Hör- und erlebbar waren diese Erzählungen durch QR-Codes, die auf den Stühlen zu finden waren. Die Stühle wurden im Anschluss auf der Buchmessen-Agora aufgestellt. Eine nette Idee, die zumindest bei gutem Wetter gut genutzt wurde. Isgesamt war auf der Messe aber relativ wenig vom Jubiläum zu spüren. Vielleicht war die Weltlage einfach nicht nach übermäßigem Feiern. Der blutige, barbarische Überfall der Hamas auf Israel und dessen Reaktion prägen auch die Buchwelt und damit auch die frankfurter Messe.
Die Messe 2023
Die Messe selbst beginnt für mich dienstags auf der Eröffnungspressekonferenz mit anschließendem Presserundgang durch den Ehrengastpavillon. Auf diesen freue ich mich immer sehr, denn den ersten Blick auf diese Inszenierung, die jedes Jahr völlig anders ist und in die die Gastländer immer viel Kreativität, Leidenschaft und Geld investieren, erwarte ich stets voller Neugier. Slowenien war das diesjährige Gastland, das schon im Vorfeld eine tolle Arbeit leistete, sich sehr nahbar und sympathisch präsentierte. Auch der Pavillon war sehr luftig, hell, freundlich gehalten, ein wenig unspektakulär, dafür mit den Büchern im Zentrum und vielen Sitzmöglichkeiten.
Dieses Mal habe ich meinen Messebesuch zur Abwechslung mal mit sehr vielen vorgeplanten Terminen bestückt. Was einerseits richtig gut und effektiv war, andererseits aber dazu führte, dass ich sehr wenige Lesungen und Diskussionen besucht habe (was ich sonst immer sehr ausgiebig tue). Stressig wurde es trotzdem nicht, da ich nicht so eng geplant habe, und es blieb auch genug Zeit für Kaffee- und Plauschtreffs mit andern Büchermenschen.
Neben Terminen auf dem Messegelände ging es dieses Jahr u.a. wieder ins Verlagshaus von S. Fischer (leider ohne Dachterrassenbesuch) und ins Nachtleben zur VQ-Party. Dichterin Safiye Can beim Wallstein-Verlag, Ariana Zustra bei FVA, Valerie Bäuerlein bei Kjona und Nataša Kramberger bei Verbrecher – einige Verlage stellten ihre Autor:innen bei Blogger:innentreffs vor . Nataša Kramberger traf ich nochmal beim von Literaturtest ausgerichteten Slowenien-Blogger-Autor:innen-Treff (neben Aleš Šteger, Mojca Kumerdej u.a.) Eine super sympathische Frau (die ich dann tatsächlich noch ein drittes Mal erleben durfte).
Lesungen und Interviews
Zwei ganz besondere Programmpunkte standen im Zusammenhang mit dem Bayerischen Buchpreis, den ich dieses Jahr wieder zusammen mit Alexandra Stiller (Bücherkaffee) und Marina Müller-Nauhaus (Nordbreze) begleiten durfte (siehe weiter unten). Zwei der Nominierten in der Kategorie Belletristik trafen Alexandra und ich zum Interview. Sowohl Stephanie Bart (Erzählung zur Sache bei Secession Verlag) als auch Deniz Utlu (Vaters Meer bei Suhrkamp) schenkten uns ihre Zeit und erwiesen sich als ausgesprochen sympathische, zugewandte Menschen. Es wurden sehr schöne Gespräche geführt, die ihr hier nachlesen könnt (Utlu, Bart).
Lesungen habe ich wie gesagt sehr wenige besucht: Andrej Blatnik (Platz der Befreiung) im Haus des Buches, Vigdis Hjorth, Lizzie Doron und drei tolle slowenische Autor:innen (wieder Nataša Kramberger (Mauerpfeffer), Goran Vojnovic (18 Kilometer bis Ljubljana) und Roman Rozina (Hundert Jahre Blindheit)), moderiert von der wunderbaren Ilke Sayan, in der evangelischen Akademie.
Das schönste an den Buchmessen sind aber natürlich die vielen Begegnungen mit lieben Buchmenschen, die man oft nur hier trifft und bei denen es doch so ist, als hätte man erst am Abend zuvor zusammengesessen. Häufig wird der Begriff „großes Klassentreffen“ bemüht. Und ja, tatsächlich, davon hat es was. Noch Wochen danach ist man richtig beseelt davon (so geht es zumindest mir).
Den Abschluss der Buchmesse bot wieder einmal die Handover-Ceremony, bei der die Gastlandrolle von Slowenien an das nächste Gastland, Italien, übergeben wurde. Bereits bei der Pressekonferenz präsentierte sich das Land, dessen Literatur ich sehr schätze und auf das ich mich sehr freue, leider nicht optimal.
Gastland 2024 Italien
Bei der Pressekonferenz war keine Autorin, kein Autor vor Ort, die Bühne dominierten Anzugträgern, der Sonderbeauftragte Mauro Mazza (Jahrgang 1955) trat bisher hauptsächlich als Fernsehjournalist in Erscheinung (hat allerdings auch Bücher geschrieben), verglich die Teilnahme an der Buchmesse immer wieder mit dem Giro d’Italia (vielleicht wegen seiner Jahre in der Sportredaktion) und blieb in den Ausblicken auf den geplanten Messeauftritt maximal vage. Nach den lockeren, leidenschaftlichen und sehr sympathischen Auftritten Sloweniens, Spaniens und vor allem Norwegens in den letzten Jahren, die auch sehr weiblich geprägt waren, war das alles ein wenig enttäuschend. Da ist noch Luft nach oben. Ich lasse mich überraschen. Radici nel Futuro – Wurzeln in der Zukunft – heißt das Motto für 2024.
Der Messesonntag war zwar der letzte Tag in Frankfurt, für mich ging es aber am Montag noch zu einer ganz besonderen Veranstaltung: einer meiner absoluten Top-Autoren, Richard Ford las in Karlsruhe im Literaturhaus im PrinzMaxPalais. Es war einer von nur vier Terminen des US-amerikanischen Schriftstellers in Deutschland und wurde ein wunderbarer Abend mit einem ganz wunderbaren, sehr nahbaren Autoren, den ich sehr verehre. Valentinstag heißt sein neuester Roman, der fünfte und letzte aus der Reihe um Frank Bascombe.
Eine Woche später lud der Schöffling Verlag in seine Räumlichkeiten in Frankfurt ein, um das neue Programm und die Mitarbeiter:innen vorzustellen. In kleiner Runde war auch dies eine sehr schöne Veranstaltung.
Bayerischer Buchpreis
Und dann stand der vorerst letzte Programmpunkt meines Bücherjahres an: Die Verleihung des Bayerischen Buchpreises, den ich auch dieses Jahr wieder offiziell begleiten durfte. Am Vorabend ging es für mich aber noch zu einer Lesung der großartigen Bonnie Garmus, die das Literaturhaus Frankfurt anlässlich der Veröffentlichung der schönen Schmuckausgabe von Eine Frage der Chemie zu einer der wenigen Lesungen in Deutschland nach Hessen „lockte“. Moderatorin Margarete von Schwarzkopf führte wie immer sehr anregend durch den schönen Abend.
Am nächsten Tag ging es dann nach München. Am Abend wurde in der Allerheiligen -Hofkirche der Bayerische Buchpreis 2023 verliehen. Die Allerheiligen-Hofkirche wurde zwischen 1826 und 1837 für König Ludwig I. nach dem Vorbild der normannisch-byzantinischen Palastkapelle in Palermo aus dem 12. Jahrhundert erbaut. Der im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörte Kirchenraum ist erst seit 2003 wieder der Öffentlichkeit als Veranstaltungsraum zugänglich. Für den Bayerischen Buchpreis bildet er einen stilvollen Rahmen.
Die Nominierten
In den Kategorien Belletristik und Sachbuch werden jeweils drei Titel nominiert. Die Jury (dieses Jahr neu: Andreas Platthaus, Marie Schoeß und Cornelius Pollmer) diskutiert und entscheidet live vor Ort, in aAnwesenheit der Autor:innen und vor geladenem Publikum über die Preisträger*innen. Die Gewinner:innen erhalten 10.000 Euro und eine Löwenfigur aus Nymphenburger Porzellan.
Und diese Titel waren 2023 nominiert:
Sachbuch:
* Karl Schlögel – American Matrix (Hanser)
„Was macht Amerika aus? Karl Schlögels besonderer Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts: die großen Jahre der USA “
*Jan Philipp Reemtsma – Christoph Martin Wieland (C.H.Beck)
„Innovator, Aufklärer, Schriftsteller, Journalist, Menschenkenner, all das war Christoph Martin Wieland. Neben Lessing ist er die Zentralgestalt der deutschen Aufklärung. Durch ihn wird der Roman in Deutschland zu einer anerkannten Literaturgattung“
*Florian Werner – Die Zunge (Hanser)
„Ein Porträt. Sprechen, Schmecken, Lecken, Küssen, Zeigen: Die menschliche Zunge ist der soziale Muskel schlechthin.“
Gemeinsam ist den drei Titeln, dass sie alle sehr gut geschrieben und spannend lesbar sind. Da vergisst man (zumindest zum Teil), dass die Bücher von Schlögel und Reemtsma 832 bzw. 704 Seiten umfassen.
Belletristik:
*Stephanie Bart – Erzählung zur Sache (Secession)
Eintauchen in die BRD der Siebziger Jahre, in die RAF und deren Mitglied Gudrun Ensslin. „Ein politischer Roman, wie es seit Peter Weiss‘ »Ästhetik des Widerstands« keinen mehr in der deutschen Literatur gegeben hat.“
*Teresa Präauer – Kochen in falschen Jahrhundert (Wallstein)
„Der Roman eines Abends und einer Einladung zum Essen. Voll mit Rezepten für ein gelungenes Leben und einen misslingenden Abend, der immer wieder neu ansetzt, schlau, witzig, heiter, gleichzeitig begleitet von den unterschwelligen oder ganz offen artikulierten Aggressionen der Beteiligten.“
*Deniz Utlu – Vaters Meer (Suhrkamp)
„Deniz Utlu schlüpft in diesem Roman in die Haut eines Sohnes, der sich auf die Suche nach seinem verstorbenen Vater macht und dabei vor allem eines entdeckt: die Kraft des Erzählens.“
Alle drei der Titel sind sehr lesenswert. Teresa Präauers witzig-kluger Roman war einer meiner Lieblings-Frühjahrstitel, Vaters Meer eines meiner Herbst-Highlights.
Die Preise
In einer sehr wertschätzenden, fundierten und unterhaltsamen Diskussion tauschten sich die drei Juror:innen aus und einigten sich schließlich auf die beiden Sieger: Deniz Utlu und Jan Philipp Reemtsma.
Ein wenig hatte man den Eindruck, dass in der Kategorie auch Karl Schlögel hätte gewinnen können, wenn die Diskussion ein ganz kleines Bisschen anders verlaufen wäre und Juryvorsitzender Platthaus, der Schlögel nominert hatte, nicht allzu schnell auf die Wieland Biografie eingeschwenkt wäre. Aber so ist das bei dieser besonderen Art der Live-Preiservergabe und macht ja auch einen Teil ihres Charmes aus. Insgesamt kann man sagen, dass wirklich alle sechs Titel in ihrer ganz individuellen Besonderheit preiswürdig waren (was für die nicht ausgezeichneten Autor:innen natürlich nur ein schwacher Trost ist.)
Den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten erhielt 2023 Florian Illies und der Publikumspreis von Bayern2, bei dem alle Leser:innen aus einer Vorauswahl von fünf Titeln ihr Lieblingsbuch wählen konnten, ging an Caroline Wahl mit 22 Bahnen (Dumont). Die junge Autorin räumt mit ihrem Debütroman gerade ordentlich ab, ist doch 22 Bahnen auch Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels 2023. Ich konnte mit dem Roman tatsächlich wenig anfangen und habe es nach ca. der Hälfte abgebrochen (passiert bei mir selten). Aber gut, das kommt vor.
Bei einem anschließenden Empfang im prächtigen Kaisersaal der Münchner Residenz (mit vorherigem Gang durch die musealen königlichen Zimmer) konnte man schlemmen, plaudern, sich zuprosten und sich über den Gewinn von Deniz Utlu freuen. Ein rundum schöner Abend!
Ausblick
Mein literarischer Herbst mit Buchmesse und Bayerischer Buchpreis war sehr intensiv und ich bin nun tatsächlich ein wenig müde. Die Frühjahrsvorschauen flattern bereits kräftig herein, bisher mag ich noch nicht mal schauen. Ich denke, dass die Neugier aber in Kürze siegen wird und dann werde ich auf jeden Fall auch wieder einen neuen „Blick in die Vorschauen“ veröffentlichen. Bis dahin möchte ich mich einfach mit den vielen guten Büchern, die hier noch aus den Herbstprogrammen übrig sind, auf den Lesesessel zurückziehen, die eine oder andere Rezension veröffentlichen und mich bereits auf den Frühling freuen. Herbst und Winter sind definitiv nicht meine Jahreszeiten, zu wenig Licht, zu kalt, zu viel Regen. Aber immerhin ist das Lesen eine Leidenschaft, der man das ganze Jahr frönen kann. Deshalb: Let`s read on!