Roman Rozina – Hundert Jahre Blindheit

Der Slowene Roman Rozina entrollt mit seinem fast 600 Seiten starken Roman Hundert Jahre Blindheit ein großes Familientableau. Und ja, die Referenz zum großen Kolumbianer Gabriel García Márquez ist durchaus beabsichtigt, auch wenn bei Rozina kein magischer Realismus zu finden ist, sondern die Geschichte realistisch und chronologisch erzählt wird.

Es beginnt im Jahr 1900 in der Bergbauregion um Zagorje. Als der kleine Matija Knap das Licht der Welt erblickt, reißt ein durch Sturzregen verursachter Erdrutsch das halbe Dorf Podgorje mit sich. Auch der Hof der Eltern Ignacij und Terezija wird halb zerstört. Für Ignacij ist dies der Tropfen auf der das Fass zum Überlaufen und ihn zum Verkauf des Landes bringt. An den Schwur, den er seinem Vater Jakob gegeben hat, niemals an die Bergbaugesellschaft zu verkaufen, fühlt er sich nicht mehr gebunden. Die Arbeit im Bergwerk erscheint ihm so viel einfacher und profitabler als der ungeliebte Hof. Jakob, schon lange Witwer und Alkoholiker, setzt darauf seinem Leben ein Ende. Die siebenköpfige Familie Knap zieht hinunter ins Tal.

Aber die Arbeit als Hauer ist schwer und gefährlich. Nachdem Ignacij bei einem Unglück unter Tage stirbt und die Mutter Terezija verschwindet, übernimmt Tante Zofija die Verantwortung für die fünf Kinder. Frančiška, die Älteste, wird später Lehrerin und Frauenrechtlerin werden. Die Zwillinge Ludvik und Alojzij entwickeln sich weit voneinander fort, ersterer wird Kommunist, der zweite lässt sich vom deutschen Besitzer der ortsansässigen Glasfabrik adoptieren und wird Unternehmer. Angela verrennt sich in eine fanatische, spirituelle Religiösität und stirbt früh. Matija hingegen, der Letztgeborene, der blind auf die Welt kam, begleiten wir in seiner offenen, manchmal leicht naiven, freundlichen Art durch das gesamte 20. Jahrhundert.

Das 20. Jahrhundert

Von der k.u.k. Monarchie in den Ersten Weltkrieg, vom Königreich Jugoslawien in den Zweiten Weltkrieg, von der Besatzung durch die Achsenmächte zur Sozialistischen Föderativen Republik und schließlich zur Unabhängigkeit 1991 erlebt Matija und mit ihm die Leser:innen zahlreiche politische und gesellschaftliche Wandel. Besonders der Zerfall des Bergbaus in der Region in den 1980er Jahren, der zunehmend unrentabler wird, der für die ansässige Bevölkerung aber fast heilig ist, bringt Unruhe und Verunsicherung in die Gegend. Als Matija 2000 stirbt, ist Slowenien immer noch tief gespalten.

2022 erhielt Roman Rozina für seinen großen Familien- und Gesellschaftsroman Hundert Jahre Blindheit den angesehenen slowenischen Kresnik Preis. Auch wenn es zwischendurch immer mal kleinere Längen gab und manchmal Figuren recht abrupt aus der Erzählung verschwanden, ist das Buch ein beeindruckendes Porträt der slowenischen Untersteiermark, ihrer Menschen und der dortigen Bergbautradition und zum Kennenlernen der Geschichte des diesjährigen Gastlandes der Frankfurter Buchmesse unbedingt empfehlenswert.

 

Beitragsbild: Zagorje 1927 , gemeinfrei via Wikimedia Commons

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Roman Rozina - Hundert Jahre Blindheit.

Roman Rozina – Hundert Jahre Blindheit
Aus dem Slowenischen von: Alexandra Natalie Zaleznik
Klett-Cotta September 2023, 584 Seiten, gebunden, € 28,00

 

 

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