Daniel Kehlmann – Lichtspiel

Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau – der deutsch-österreichische Stummfilm und seine Regisseure haben Weltruhm erlangt. Aber wer war der 1885 in Böhmen geborene Österreicher Georg Wilhelm Pabst, den Daniel Kehlmann in seinem neuen Roman Lichtspiel im den Mittelpunkt stellt? Sein Name ist ein wenig in Vergessenheit geraten, dabei gelten seine Arbeiten Die freudlose Gasse (mit Greta Garbo und Asta Nielsen) und Die Büchse der Pandora (mit Louise Brooks) als Meisterwerke und auch sein Antikriegs-Tonfilm Westfront 1918 erhielt einiges an Anerkennung, bevor er 1933 verboten wurde. Besonders sein Wirken im nationalsozialistischen Deutschland schadete später dem Ansehen Pabsts.

Erstaunlich ist, dass der wegen seiner linken und pazifistischen Einstellungen auch „der rote Pabst“ genannte Regisseur bereits 1933 Deutschland verließ. Während der Machtübernahme Hitlers befand sich die Familie wegen Dreharbeiten in Frankreich und beschloss, nicht zurückzukehren. Vielmehr nahm Pabst ein Filmangebot in Hollywood an, wohin auch viele seiner Kollegen (u.a. auch Lang, Lubitsch und Murnau) emigriert waren. Im Gegensatz zu diesen konnte sich Pabst nicht mit den Produktionsbedingungen in den USA arrangieren und landete mit seinem sehr kommerziellen Film „A modern hero“ einen Flop. 1936 kehrte er nach Frankreich zurück.

In der Falle

Auf Drängen der erkrankten Mutter von Pabst fuhr die Familie 1939 nach Österreich und wurde dort vom Beginn des Zweiten Weltkriegs überrascht. Eine Ausreise und die geplante Übersiedlung in die Schweiz wurden so unmöglich. So zumindest eine Version der Geschichte, die Daniel Kehlmann in Lichtspiel übernimmt. Wirklich geklärt ist die Sache nicht. Andere Stimmen warfen Georg Wilhelm Pabst ein Andienen an die Nazis vor. Sein eklatantes Scheitern außerhalb der Filmszene Deutschlands spielte beim erfolgsgewohnten Regisseur sicher auch eine Rolle. In Kehlmanns Roman sind es die wenig subtilen Drohungen von etwa Propagandaminister Joseph Goebbels (die er in eine brillant-skurrilen Szene verwandelt) im Verein mit in Aussicht gestellten besten Produktionsbedingungen, die den „roten Pabst“ dazu bringen, fortan für die Bavaria-Film zu arbeiten. Mit „Paracelsus“ und „Komödianten“ drehte er zwar keine NS-Propagandafilme, aber doch Filme, die sich bequem für die herrschende Ideologie vereinnahmen ließen.

Daniel Kehlmann lässt sich trotz eingehender Recherche einige Freiheiten für seinen biografischen Roman Lichtspiel. Seiner Interpretation G.W.Pabsts als „unpolitischem Mensch“ und ehrgeizigem, etwas geltungssüchtigen Filmschaffenden kann man aber gut folgen. Ebenso seiner Darstellung einer bereits zerrütteten Ehe mit der schönen, unabhängiger und kritischer denkenden Trude (die dann enttäuscht dem Alkohol verfällt), seiner unerfüllten Liebe zu Louise Brooks und der missglückten Beziehung zu seinem (für den Roman erfundenen) Sohn Jakob, der zum glühenden HJ-Mitglied und schließlich Soldaten wird. Dennoch bleibt es Spekulation, was bei vielen biografischen Romanen meist auch ein Problem darstellt.

Leni Riefenstahl
Leni Riefenstahl bei Dreharbeiten zu Tiefland 1940

 

Bei Lichtspiel kommt hinzu, dass Daniel Kehlmann keinen besonderen Wert auf psychologische Tiefe seiner Figuren legt. Aber zumindest gelingt es ihm, sie in einer gewissen Widersprüchlichkeit zu belassen. Lediglich bei einigen Personen, wie der sehr umstrittenen Leni Riefenstahl, greift er zu herbem Sarkasmus und Groteske. Die Schilderung von Dreharbeiten zu Riefenstahls Spanien-Melodram „Tiefland“, bei der Leni weder als Regisseurin noch als Tänzerin gut wegkommt (von ihren Flamenco-„Qualitäten“ kann man sich auf YouTube einen Eindruck machen, zum Schreien!), lassen der Leserin allerdings das Lachen im Halse stecken angesichts der Tatsache, dass für den Film mangels „echter Südländer“ Sinti und Roma aus KZs als Komparsen zwangsrekrutiert wurden.

 

Überspitzungen und Surreales

Überspitzungen, Groteske, ein Dreh ins Fantastische und Surreale findet man immer wieder, so beispielsweise auch beim bereits erwähnten Zusammentreffen Pabsts mit Goebbels in dessen riesigem Empfangszimmer. Anonsten ist Lichtspiel eher konventionell erzählt. Der Roman erhält eine Rahmenhandlung, in der der (fiktive) ehemalige Kameramann Pabsts, Franz Wilzek, als hochbetagter und schon leicht dementer Seniorenheimbewohner zu einer Talkshow eingeladen wird. Wie kunstvoll hier schon Spuren gelegt werden, zurück zu einem für den alten Herrn traumatischen Erlebnis während der Dreharbeiten zu Pabsts letztem Film vor Kriegsende, die später im Roman geschildert werden, wird erst im Nachhinein deutlich. Und ist dann umso erschütternder (unbedingt das Einführungskapitel nochmal lesen!). Der reale „Gentleman“-Talkmaster Heinz Conrads bekommt da auch noch sein Fett weg und Wilzeks Vergessen erhält durch das Ansprechen des nach Kriegsende verschollenen letzten Films „Der Fall Molander“ einen Riss.

Dieser 1944 in Prag nach der Romanvorlage „Die Sternengeige“ gedrehte Film befand sich im Schnitt, für den G.W.Pabst berühmt und der für ihn sehr wichtig war, als im Mai 1945 der Prager Aufstand die Deutschen vertrieb. Die Geschichte um seine – von Kehlmann angenommene – Fertigstellung und sein Verlorengehen ist vom Autor ausgedacht. Über seinen Verbleib ist nichts bekannt.

Daniel Kehlmann lässt Lichtspiel mit seinen manchmal an Kamerafahrten erinnernden Szenen (zum Beipiel während einer Party), seinen vielen Schnitten und Perspektivwechseln bewusst filmisch wirken. Gegliedert ist der Text zwischen der Rahmenerzählung in drei Kapitel: Draußen (die Zeit in Frankreich und den USA), Drinnen (die Zeit in Nazi-Deutschland) und Danach. In diesem Danach, nach Kriegsende, versuchte Pabst zunächst, sich in Filmen mit der Vergangenheit des Dritten Reichs auseinanderzusetzen. Der absolute Misserfolg seines Films „Geheimnisvolle Tiefe“ mit Ilse Werner und Paul Hubschmid, zu dem das Buch gegen Ende führt, und darauf folgende Banalitäten wie „Rosen für Bettina“ und „Durch die Wälder, durch die Auen“ überdeckten am Ende seinen Ruhm aus der Vorkriegszeit gänzlich.

Im letzten Kapitel lässt Daniel Kehlmann nach Pabsts Tod 1967 Sohn Jakob und Louise Brooks – meiner Meinung nach ziemlich überflüssigerweise – aufeinandertreffen. Einer der kleinen Makel, die dem Buch anhaften, das mich ansonsten ausgezeichnet unterhalten hat. Und an das Leben eines einstmals Großen der deutschen Filmgeschichte erinnert.

 

Beitragsbild: Pabst und Prejean 1931, Dreigroschenoper, gemeinfrei

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Daniel Kehlmann - Lichtspiel.

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Daniel Kehlmann – Lichtspiel
Rowohlt Oktober 2023, 480 Seiten, € 26,00

 

 

 

 

 

 

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