Die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen hat mit Händler der Geheimnisse ihren ersten Roman veröffentlicht. Darin geht es mit einigen autobiografischen Anklängen um die Theaterwissenschaftlerin Eva Bromfield, die nach dem überraschenden Tod ihres Vaters tief in die Familiengeschichte und besonders die Nachkriegszeit hineingezogen wird. Trotz einiger sprachlicher Schwächen liest sich das Buch bis zum Ende ungeheuer spannend.
Mitte der 1990er Jahre erhält Eva einen Anruf aus Amerika. Die Lebenspartnerin ihres teilt mit, dass George einen Schlaganfall erlitten hat und auf einer Intensivstation in Washington liegt. Eva selbst, Mitte dreißig, arbeitet gerade mit ihrer Freundin, der Fotojournalistin Sam, in München an einem Shakespeare-Projekt. Es geht darin um die von Eva so betitelte „Kryptomanie“ im Werk des berühmten Dramatikers des 16. Jahrhunderts. Damit meint sie die Anhäufung von rätselhaften Vorgängen und Geheimnissen in seinen Dramen. Sehr bald entdeckt sie auch im Leben des Vaters mehr Geheimnisse als sie sich je hatte vorstellen können. Verschwörungen, Intrigen, Komplotte – fast wie beim alten William. Und auch Elisabeth Bronfen, die selbst zu Shakespeare forscht und schreibt, bezieht sich in Händler der Geheimnisse auf dessen Werke.
Sheakespeares Drama
Beispielsweise mit einem Traum, den Eva nach dem besagten Anruf träumt, und in dem ihr, wie einst bei Hamlet, der Vater erscheint. Und tatsächlich stirbt George nach einer Phase der Erholung und guter Prognosen plötzlich unter recht mysteriösen Umständen. Zuvor haben die neue Lebenspartnerin ihres Vaters und Evas Schwester Lena ihr und der Mutter Inge ausdrücklich untersagt, nach Washington zu kommen um den Vater zu besuchen. Durch den Schlaganfall ist dieser auf künstliche Beatmung angewiesen, einen erleichternden Luftröhrenschnitt verweigert die sich als Ehefrau ausgebende Partnerin Tash. Nachdem in Anwesenheit dieser der Beatmungsschlauch auf ungeklärte Weise herausrutscht und Wiederbelebungsmaßnahmen durch den behandelnden Hausarzt verboten werden, stirbt George.
Reichlich merkwürdige Vorgänge, die nicht nur Eva und ihren aus Japan zurückkehrenden Bruder Max beunruhigen, sondern auch die NYPD, die New Yorker Polizei (George und Tash lebten in New York), zu Ermittlungen bewegen. Der Detective mit ukrainischen Wurzeln Demon Faye findet auch, dass sich die Lebensgefährtin Tash und der Hausarzt Dr. Schneider sehr verdächtig gemacht haben, was die behandelnden Ärzte im Krankenhaus bestätigen. Nachdem auch Eva und Max nach New York zurückgekehrt sind, verfolgen sie Spuren in die Vergangenheit des Vaters, der aus einer schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA emigrierten ostjüdischen Familie stammt und während des Zweiten Weltkriegs zunächst in London, später dann in Deutschland selbst im Dienst des OSS, des Nachrichtendienstes des US-amerikanischen Kriegsministeriums, in Sachen Raubkunst ermittelte. Dort lernte George auch seine deutsche Frau Inge kennen, kehrte zu Beginn der 1950er Jahre nach München zurück, eröffnete eine Anwaltskanzlei und gründete dort eine Familie.
Raubkunst im Dritten Reich
Es geht um Raubkunst, um Antisemitismus – auch in den US-amerikanischen Streitkräften -, um das Nachkriegsdeutschland, das Wirtschaftswunder, um das allgegenwärtige Schweigen der Täter wie der Opfer, um das East Village und sogenanntes „lebensunwertes Leben“. Gerade bei letzterem geht die Autorin leider ziemlich mit dem Brecheisen vor, lässt sie die rabiate Lebensgefährtin Tash (übrigens ein Pseudonym) doch in Dachau das Licht der Welt erblicken. Auch sonst ist manches an der Geschichte wenig tiefgründig und unglaubwürdig. Einige der Charaktere (Schwester Lena, Tash etc.) bleiben sehr flach. Und sprachlich driftet der Roman doch einige Male ins Triviale ab, hält sich das Erzählte an Oberflächlichkeiten. Man verzeiht es über lange Strecken, denn Elisabeth Bronfen gelingt es, die Spannung im Händler der Geheimnisse hoch zu halten.
Zu offenes Ende
Die Leserin möchte wissen, was im Krankenhaus geschehen ist, warum da nicht weiterermittelt wird, ob das Ganze mit der Tätigkeit Georges im Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit zu tun hat. Aber leider lässt die Autorin ihre Leser:innen im Regen stehen. Auch wenn ich eigentlich Geschichten mag, die Leerstellen lassen, die die Lesenden nicht unterschätzen und ihren Gedanken Raum geben, fühlte ich mich hier ein wenig im Stich gelassen. Es gibt für all die angehäuften Fragen und Fährten keine Antworten. Die Autorin fällt ihrerseits in eine unzufrieden zurücklassende Kryptomanie.
Am Ende werden alle Indizien, Briefe, Akten, Fotografien in einen alten Koffer gesteckt und dieser weggepackt. So spannend dieser zeitweise mit den Genres Spionage- und Kriminalroman spielende Text in vielen Passagen ist, krankt er auch daran, dass viele Fakten immer wieder in Gesprächen oder Schriftstücken etwas konstruiert enthüllt werden. Auch die Verbindung zu Shakespeares Werk scheint bemüht. So bleibt am Ende ein etwas zwiegespaltenes Urteil. Interessantes Thema, zeitweise sehr spannend umgesetzt, sprachlich mängelbehaftet und leider letztendlich ins Leere laufend. Sehr schade!
Beitragsbild: GIs 1945 im NS-Raubkunstdepot, Washington Archives
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Elisabeth Bronfen – Händler der Geheimnisse
Limmat Verlag Oktober 2023, 320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 28.– €