Gabriel Heim – Wer sind Sie denn wirklich Herr Gasbarra?

„Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra?“ fragt Gabriel Heim, nie anerkannter Sohn des 1895 in Rom geborenen Autors, Dramaturgs und Übersetzers Felix Gasbarra, der in den 1920er Jahren mit Theatergrößen wie Erwin Piscator und Bertolt Brecht zusammenarbeitete, in seiner „Vatersuche auf zwei Kontinenten“. Er wird sich seinem unbekannten Erzeuger bei seinen intensiven Recherchen etwas annähern können, die Frage bleibt allerdings bis zum Ende unbeantwortet. Und nicht nur für ihn und uns Lesenden.

„Anfangs mag das wohl ein amüsantes Bäumlein-wechsel-dich-Spiel mit Identitäten gewesen sein. Doch er gewöhnte sich so sehr daran, dass die Verschleierung im Lauf der Jahre zu einer Perfektion reift, die etliche Zeitgenossen angesichts seiner Umtriebigkeit zu der Frage führt: Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra? Eine Frage, vor der auch er immer wieder steht und die ihn sein ganzes Leben lang begleitet und auch bedrückt haben mag.“

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Der unbekannte Vater

Mit siebzehn Jahren hört Gabriel Heim den Namen seines Vaters zum ersten Mal von seiner Mutter Ilse. Und gesehen hat er ihn wohl nur bei einer einzigen Gelegenheit, mit zwei Jahren, und natürlich keinerlei Erinnerung mehr daran. Für seine Mutter, Ilse Heim-Winter, junge, mittelprächtig erfolgreiche Schauspielerin im Berlin der Weimarer Republik, war sein Vater nie ein Thema, obwohl sie mit Gasbarra eine langjährige, meist auf Distanz geführte Affäre hatte, auch als sie bereits mit dem vermögenden Züricher Fabrikanten Albert Heim verheiratet war. Beide verband außer der Leidenschaft fürs Theater auch die kommunistische Gesinnung. Auch das Vorleben seiner Mutter blieb Gabriel Heim lange verborgen. Vieles erfuhr er erst nach deren Tod 1999.

Gabriel Heim
Gabriel Heim©Alfred Tschager _Raetia

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Im Frühsommer 2019 erhielt Gabriel Heim auf Facebook eine kurze Anfrage. „Kann es sein, dass Sie der Halbbruder meiner Mutter Claudia Junge, geborene Gasbarra, sind?“ Absender ist ein junger Mann aus Campinas-Sousas/Brasilien. Und der Schweizer Publizist, Autor und Filmregisseur ist mit einem Mal um zwei Halbschwestern reicher – neben Claudia die ältere, kurz zuvor verstorbene Livia-, von denen er bislang nichts wusste. Sechs Monate später reist er nach Südamerika und lernt die siebenundachtzigjährige Claudia kennen. Eine Kiste mit Briefen und Fotos, vor allem aber ein unveröffentlichtes und völlig ungeordnetes autobiografisches Manuskript von Claudias Mutter Doris Homann, geben den Anstoß zu ausgiebigen familiären Recherchen und für das vorliegende Buch, das große Teile des Manuskripts übernimmt und mit anderen Quelltexten und eigenen Gedanken, Erlebnissen, Erinnerungen zu einem spannenden, mitreißenden Text zusammenfügt.

Weimarer Republik und Faschismus

Felix Gasbarra war selbst unehelicher Sohn des italienischen Grafen Enrico Basta und der Opernsängerin Hermine Weil, die ihr Kind zunächst zwei Jahre bei einer Amme ließ, ihn dann zu sich nahm und fortan eifersüchtig über ihn wachte und ihn regelrecht vergötterte. Den klangvollen Namen Gasbarra verdankte er einer Scheinheirat seiner Mutter. Etwas Rätselhaftes, Unergründliches, aber auch Arrogantes, Autoritäres umgab ihn sein Leben lang. Er war ein Mann mit Charisma, großer Wirkung auf Frauen und generell sehr gewinnend. Nach anfänglichen Studien zwang der Erste Weltkrieg Felix zu einem Broterwerb. Er wurde Tischler und entdeckte den Kommunismus für sich. Kontakte zum Theaterintendant Erwin Piscator, zu dem eine lebenslange Freundschaft bestand, brachten ihn an die Bühne, wo sie gemeinsam Stücke von Ernst Toller und Bert Brecht inszenierten. Außerdem schrieb er für verschiedene kommunistische Tageszeitungen. 1924 heiratete er die Malerin Doris Homann, mit der er die zwei Töchter Livia und Claudia hatte.

Felix Gasbarra_Doris Homann_Frascati_um 1940
Felix Gasbarra_Doris Homann_Frascati_um 1940

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Doris war selbstständig, unabhängig, begabt und durch Erbe vermögend. Wie sie sich trotzdem ihrem Mann unterordnetw, seine Affären tolerierte und sich stets hintanstellte, ist einigermaßen erschütternd zu sehen. Nach der Machtübergabe an Hitler 1933 zog sie mit den Töchtern ins Sommerhaus im niederschlesischen Schreiberhau, Gasbarra ging 1934 nach Rom. Dort machte er eine politische Wandlung durch, näherte sich dem italienischen Faschismus an, verfasste Übersetzungen, schrieb sogar eine Mussolini-Rede. 1937 folgte ihm seine Familie. Bald darauf zogen sie auf ein Landgut in Frascati, das während des Krieges fast völlig zerstört wird.

Vatersuche

1945 machte Felix Gasbarra eine weitere politische Wandlung durch. In Bozen wurde er Nachrichtenoffizier für die englischen Besatzungstruppen, zuständig für die Kontrolle der regionalen Presse. Er erwarb zusammen mit Doris die mittelalterliche Burg Kampenn. Im Frühjahr 1948 trennte sich Doris Homann von ihm und folgte der älteren Tochter Livia, die nach Brasilien ausgewandert war. Gasbarra blieb in Bozen, arbeitete für die Regionalzeitung „Dolomiten“, schrieb Hörspiele und rutschte immer mehr in Depressionen ab. Die ganze Zeit hielt er seine Affäre mit Ilse Heim-Winter aufrecht. 1950 kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Nur einmal erlaubte der Vater ein Treffen, in Briefen schrieb er stets nur abweisend von G.. Gabriel Heim nähert sich diesem fernen Vater nun mit seinem sehr empfehlenswerten Buch Wer sind Sie den wirklich, Herr Gasbarra?

Ohne direkte Wertung, sachlich und mit einer verständlichen Distanz blickt er auf dieses unstete, rätselhafte Leben. Mehr noch als der Vater steht allerdings Doris Homann im Zentrum. Das ist durch die neu gefundene Nähe zu seiner Halbschwester Claudia, aber natürlich vor allem durch das Quellmaterial aus der Feder von Doris bedingt. Entstanden ist ein faszinierendes Memoir, das auch die Recherchearbeit mit einschließt. Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra? – diese Frage beantwortet es nur sehr bruchstückhaft. Es bleiben viele Fragezeichen. 1985 stirbt Felix Gasbarra fast völlig erblindet in einem Blindenheim in Bozen. Sein verleugneter Sohn hat ihm nun ein beeindruckendes Porträt geschaffen.

Beitragsbild: Seltenes Bild-Vater und Sohn-um 1953

Fotos ©Edition Raetia Ich danke dem Verlag für die Erlaubnis, die im Buch enthaltenen Fotos zu verwenden

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Gabriel Heim_ Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra
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Gabriel Heim – Wer sind Sie denn wirklich, Herr Gasbarra?

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