Lektüre März 2024

Mein Lesemonat März 2024 war voll mit schönen Lektüre-Erfahrungen, obwohl die Buchmessenzeit meist eine mit wenig Lesezeit ist. Durch die langen Zugfahrten und eine frühzeitige Messeplanung kamen aber auch im März viele Lesestunden zustande. Allein vier deutschsprachige Debüts habe ich gelesen. Mein Lieblingsdebüt war dabei von Simone Kucher Die lichten Sommer.

Matthias Jügler-MaifliegenzeitMATTHIAS JÜGLER – MAIFLIEGENZEIT

Es ist eine ganz unglaubliche Geschichte, die Matthias Jügler in seinem neuen Roman Maifliegenzeit erzählt. Und doch ist sie wohl tausendfach so passiert. Direkt vor unserer Haustür, in der ehemaligen DDR. Dass darüber so wenig bekannt ist, ist fast genauso unglaublich wie die Vorgänge selbst.

Der fünfundsechzigjährige Ich-Erzähler Hans lebt mit Anne im thüringischen Unstruttal. Seine Leidenschaft gilt dem Angeln, was auch den Titel des Romans erklärt. Maifliegen sind Eintagsfliegen, die gern als Köder zum Fliegenfischen verwendet werden.

„Daniel hat angerufen.“ So die lapidare Nachricht, als Hans eines Tages vom Fischen nach Hause kommt. „Daniel, mein einziges Kind, das seit vierzig Jahren tot ist.“ Damals in den 1970er Jahren war Hans mit Katrin verheiratet. 1978 kam ihr Sohn Daniel in einer Klinik in der DDR auf die Welt. Nach der Geburt wurde Katrin und Hans allerdings mitgeteilt, dass das Neugeborene, das der Mutter direkt nach der Geburt weggenommen wurde, schwerkrank in eine Kinderklinik gebracht werden musste und auf der Fahrt im Rettungswagen verstorben sei. Die Leiche durften die Eltern vor der Beerdigung nicht sehen, die Krankenakten blieben unter Verschluss. Katrin hatte sofort Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussagen. Aber auch Hans wollte von ihren Vermutungen und ihrem Beharren darauf, dass Daniel noch lebt, nichts wissen. Er vergrub sich lieber im Schmerz. Die Ehe scheiterte.

In seinem leisen, nachdenklichen Roman macht der Autor dieses dunklre Kapitel der DDR bekannt. Das Fischen ist für Hans Trost und Erinnerung an seinen verstorbenen Vater, immer wieder nimmt er dorthin Zuflucht. Auch der Autor ist ein passionierter Angler. Für die Geschichte und die doch vermutlich eher weniger angelbegeisterten Leser:innen nimmt es ein wenig zu viel Raum ein. Das ist ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten wunderbaren Buch.

vigdis-hjorth-ein-falsches-wortVigdis Hjorth -Ein falsches Wort

Erschienen ist das Buch in Norwegen als Arv og miljø bereits 2016 und zählt zu den am besten verkauften und am meisten diskutierten Romanen der letzten Jahre. Auch auf Deutsch wurde das Buch bereits 2017 unter dem Titel Bergljots Familie in einem anderen Verlag veröffentlicht.

Die Ich-Erzählerin Bergljot, um die 50, geschieden, drei erwachsene Kinder und in einer festen Beziehung lebend, wird in heftige Turbulenzen ihrer Familie hineingezogen. Einer Familie, der sie schon länger den Rücken gekehrt hat, zu der sie bis auf sehr seltene Telefonate mit ihrer Schwester Astrid jeden Kontakt abbrach. Nun verständigt einer dieser Anrufe sie über den missglückten Selbstmordversuch der Mutter. Es gibt in der Familie Streitigkeiten über die gerechte Aufteilung des Erbes auf alle vier Kinder. Bergljot will sich eigentlich nicht in diese Streitigkeiten hineinziehen lassen, sie will Abstand zur Familie, und das bereits seit 23 Jahren. Damals brach bei ihr etwas lang Verdrängtes plötzlich hervor.

Vigdis Hjorth stieß mit der Veröffentlichung des Romans 2016 eine schon bekannte Debatte erneut an: gewisse biographische Parallelen, Briefe, ein Gedicht der Mutter und der Ablauf der Beerdigung des Vaters wiesen auf nur wenig verhülltes autobiographisches Material hin. Hjorth wurde der Vorwurf gemacht, die Privatsphäre ihrer Familie zu verletzen. Ein falsches Wort hat diesen Skandal gar nicht nötig, um als überraschendes, spannendes literarisches Werk zu bestehen.

Alina Herbing Tiere, vor denen man Angst haben mussAlina Herbing – Tiere, vor denen man Angst haben muss

Eine Familie, die Eltern beide engagiert und eigentlich auch gut situiert, zieht nach der Wende mit ihren vier Kindern von Lübeck kurz hinter die nun nicht mehr bestehende Grenze nach Mecklenburg auf einen alten Hof. Das Haus ist baufällig, der Garten verwildert, es gibt keine Heizung und auch nur ein Plumpsklo, aber es war schon lange ein Traum der Mutter, aufs Land zu ziehen, bewusster und naturnaher zu leben. Außerdem war die DDR für sie sowieso das „bessere Deutschland“. Den kapitalistischen Lebensstil lehnt vor allem die Mutter ab.
Statt ihrem alten Beruf als Krankenschwester widmet sich die Mutter nun einer Tierauffangstation, die sie ehrenamtlich betreut und die ihre ganze Aufmerksamkeit einfordert. Für Heim und Kinder bleibt da kaum Platz und der Vater setzt sich auch alsbald wieder Richtung Lübeck ab. Armut zieht ein, das Haus verwahrlost, die Mädchen haben oft Hunger und das prägende Gefühl, das auch die Leserin im Verlauf des Romans selten verlässt ist Kälte. Eisige Kälte, weil die Mutter wieder mal kein Holz und keine Kohlen gekauft hat. Dafür aber palettenweise Katzenfutter.
Eine große Stärke des Romans ist, diese Sinneseindrücke sehr bildstark an die Lesenden weiterzugeben. Es ist kalt, klamm, das Haus modert vor sich hin, durch das marode Dach und Risse im Mauerwerk zieht der Wind, Mäuse rascheln, die Urinpfützen diverse Tiere müffeln, der Rauch von schlecht ziehenden Öfen beißt in den Augen.
Diese gelungene Geschichte ist völlig fern von jeder naturnahen, idyllischen Kindheit. Und endet leicht surreal mit das Haus eroberndem Efeu, einem zusammengebrochenen Dach und einem inmitten des Chaos thronenden Schwan.

Julia Linhof – Krummes Holz

„Krummes Holz“ so heißt die Zufahrt zum väterlichen Bauernhof in der Soester Börde, einer Landschaft zwischen Münster- und Sauerland und dem Ruhrgebiet, in der auch die 1991 geborene Autorin Julia Linhof aufgewachsen ist. Der Titel ist aber auch einem Zitat von Immanuel Kant entnommen, „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Alle Protagonist:innen des Romans sind aus solchem krummen Holz geschnitzt. Sie alle tragen Kindheitsverletzungen und -traumata mit sich herum und wissen nicht recht, damit umzugehen. Schweigen ist üblich, Verhärtung, die zu emotionaler Kälte führt.

Die Geschwister Malene und Georg, genannt Jirka, sind mit ihr aufgewachsen. Die Mutter ist früh in die Psychiatrie gekommen, dort gestorben, als sie noch Kinder waren. Der Vater Georg ist verbittert und gewalttätig, die Großmutter Agnes hart, kalt, abweisend, und doch der einzige Mutterersatz. Schon früh fliehen die Kinder, Malene in eine Ausbildung, der 14-jährige Ich-Erzähler Jirka in ein Internat. Als die Großmutter dement wird, muss Malene zurückkehren, um sich zu kümmern.

„Malene steht am Buffet un kämpft. Es ist ein Kämpfen, das schon lange anhält, das ich ihre ganze Jugend hindurch bezeuge und das sie aufreibt. So sehr, dass sie beginnt, ihren verletzten Kern mit einer harten Schutzschicht zu ummanteln, die von Jahr zu Jahr fester wird. (…)sie ringt um Verständnis, darum gehört zu werden, darum, verstanden zu werden. (…) Die Not, die Einsamkeit, das Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Und ich sehe meine Großmutter lachen.“

1987 – Jirka hat das Internat abgeschlossen, ist nun 19 und muss zur Musterung bei der Bundeswehr zum ersten Mal wieder heimkehren. Auf Hilfegesuche seiner Schwester, mit der ihn einst eine enge Beziehung verband, ist Jirka zuvor nicht eingegangen. Nun reagiert Malene sehr ablehnend auf seine Widerkehr. Der Vater ist verschwunden und taucht auch nach Tagen nicht auf. Der einst erfolgreiche Hof ist mittlerweile ziemlich heruntergewirtschaftet. Der Sohn des letzten Verwalters, Leander, kümmert sich noch ab und an. Zu ihm hat sich Jirka schon als Jugendlicher mehr als freundschaftlich hingezogen gefühlt. Auch jetzt überwältigen ihn widerstrebende Gefühle.

Im flirrend heißen Sommer kommen alte Traumata hervor, aber auch wiederauferstandene Gefühle und eine alte Solidarität. Das ist sehr atmosphärisch, manchmal aber eine wenig zu detailliert erzählt, worunter die Spannung des Textes ein wenig leidet. Insgesamt aber ein durchaus beachtliches Debüt.

Dilek Güngör – A wie Ada

Dilek Güngör ist eine Meisterin der Verknappung. Ihre beiden Romane Ich bin Özlem und Mein Vater und ich, letzterer für den Deutschen Buchpreis 2022 nominiert, sind beide nur jeweils gut 100 Seiten lang und lassen doch nie das Gefühl aufkommen, da fehle etwas. Güngör schafft es, in knappen Episoden sowohl das Leben einer Heranwachsenden als auch eine wunderbare Vater-Tochter-Beziehung enstehen zu lassen. In ihrem neuen Roman A wie Ada hat sie ihr Erzählprinzip tatsächlich nochmal reduziert und in 71 kurzen und kürzesten Miniaturen – wenige sind mehr als eine luftig gefüllte Seite, manche nur wenige Zeilen lang – ein sehr persönliches Porträt des Mädchens, der Frau, der Mutter Ada zu zeichnen. Es geht um das schwierige Unterfangen einer Identitätsfindung und -bestimmung.

Ada ist im Türkischen die Insel. Und auch wenn Ada weiß, dass frei nach John Donne „niemand eine Insel“ ist, fühlt sie sich doch manchmal so. Hin und her gerissen zwischen den widersprüchlichen Wünschen zu sein wie „die anderen“, aber auch einzigartig zu sein, nur sie selbst, sich abgrenzen zu können. Das sind zwei Pole, zwischen denen sich wohl alle jungen Menschen verorten müssen.

„Ada muss die Psychotests im Mädchen-Heft ausfüllen und in der Bravo-Girl, wenn sie wissen will, wer sie ist. die anderen wissen so, wer sie sind, sie haben Eltern, die wissen, wwer sie sind. die können sie fragen. Ada braucht Mutter und Vater gar nicht zu fragen, sie fragt sie trotzdem, und mutter sagt, du bist mein Ein und Alles.“

Ada fällt es vielleicht besonders schwer, denn sie fühlt sich von vornherein „anders“, weil ihre Eltern aus der Türkei stammen. Und ihr Umfeld sie das stets spüren lässt. Vielleicht hat sie auch besonders empfindliche Antennen, stets gleicht sie sich ab mit ihren „Freundinnen“, die sehr oft Erwähnung finden. Das reicht von Episoden aus dem Kindergarten bis in ihr eigenes Muttersein.

Dabei schert sich Dilek Güngör nicht um Chronologie oder eine irgendwie erkennbare Reihung der Episoden. Die Autorin geht damit sehr frei um, die Zeiten fließen ineinander, sie switcht von einer in die andere, nur selten gibt es zumindest eine Andeutung, beispielsweise durch eine in einer bestimmten Zeit verortete Reklame.

Zart, flüchtig, mit feinem Humor und einer ordentlichen Portion Ironie lässt Dilek Güngör so das Porträt von Ada aufscheinen.

„Eine andere Mutter sagt, dein Vater sieht nicht aus wie ein Türke. Sie kann Ada nicht sagen, wie der Vater aussieht. Er sieht nicht aus wie ein Deutscher, er sieht nicht aus wie ein Türke. Ist der Vater Inder?, fragt jemand. Ada könnte antworten, ja, er ist Inder. Meine Mutter ist Deutsche und mein Vater ist Inder. Ich bin die einzige Türkin in der Familie.“

Leider verblasst es auch fast genauso schnell wieder. Vielleicht ist es ein vermessener Wunsch der Leserin, die Protagonistin irgendwie fassen zu können. Vielleicht ist aber auch die Verknappung hier ein Stück zu weit getrieben worden. Ich werde mir die feinen, treffenden Abschnitte sicher noch einmal vornehmen, diesmal nicht „in einem Rutsch“ lesen, sondern einzelne Episoden herauspicken. Die fehlende Chronologie erleichtert diese Lesart.

Simone Kucher - Die lichten SommerSimone Kucher – Die lichten Sommer

Drei Frauengenerationen stehen im Mittelpunkt, die Erzählerin ist quasi die vierte.
Nach dem Krieg muss die deutschsprachige Familie den kleinen Ort Zeletice in Tschechien und gehört fortan zu den ungeliebten „Vertriebenen“ in Deutschland. Hier müssen sie in eilig errichteten Barackensiedlungen leben und hier kommt auch Liz zur Welt. Schon als Kind spürte sie die Ablehnung der Einwohner, die sie immer ihr „Anderssein“ spüren lassen. Aber auch als die Eltern zu etwas Wohlstand kommen und eine Gastwirtschaft eröffnen, fühlt sich die junge Frau eingesperrt. Sie hilft in der Kneipe, der Vater verbietet ihr den ersehnten Ausbildungsvertrag. Warum verliert sich die Mutter Nevenka immer mehr in ihren Erinnerungen und tritt nicht für sie ein?
Nevenka wuchs während der deutschen Besatzung in Zeletice auf, immer wieder wandern ihre Gedanken zurück zu ihrer ihre Mutter und der Kindheitsfreundin Zena. Diese kam in den 1940er Jahren mit ihrer Mutter aus Prag nach Zeletice, der Vater ist politischer Gefangener in der Festung Spielberg in Brünn.
Die Freundschaft der beiden Mädchen wird zart und poetisch geschildert, endet aber sehr dramatisch. Nur noch ein Foto des Mädchens mit dem kinnkurzen Haar ist geblieben.
Nevenka spricht nicht oder sehr wenig über diese Vergangenheit. Sie zieht sich in sich zurück, erduldet die häufige Trunkenheit des Vaters. Liz aber möchte mehr vom Leben. Sie heiratet früh und und merkt, dass sie die Bevormundung des Vaters nur für die Bevormundung durch den Ehemann eingetauscht hat.
Still, poetisch, facettenreich und unprätentiös erzählt Simone Kucher von Freundschaft, lichten Kindheitssommern und dunklen Zeiten, vom Verlust der Heimat und dem Schweigen der Familien, von eingeengten Frauenleben, Generationenkonflikten und Resilienz. Das ist oft bedrückend und traurig, manchmal aber auch so zart und licht wie besagte Sommer. Ein zauberhaftes Debüt!

Elizaneth Graver - KantikaElizabeth Graver – Kantika

Elizabeth Graver erzählt in ihrem Roman Kantika die nur leicht fiktionalisierte Geschichte ihrer eigenen Familie mütterlicherseits, besonders die ihrer Großmutter Rebecca. Unterstrichen wird das durch ein Nachwort und schöne Fotos aus dem Privatbestand der Autorin.

Die sephardisch-jüdische Familie stammt aus der Türkei, aus der sie wegen der zunehmend restriktiven Politik der Republik gegenüber der jüdischen Minderheit nach dem Ersten Weltkrieg nach Barcelona emigrierten. Der einst wohlhabende Textilfabrikant Alberto Cohen arbeitete dort fortan als eine Art Hausmeister der Synagoge, ein Abstieg für die Familie. Tochter Rebecca konnte sich durch ihr Talent als Schneiderin einen gut gehenden Modeladen aufbauen, musst aber auch ihr Judentum möglichst verheimlichen, da auch die spanische Gesellschaft ziemlich antisemitisch war. Eine unglückliche Ehe endete mit dem Tod ihres ersten Ehemannes. Sie stand fortan allein mit zwei Söhnen da und ergriff die Chance einer arrangierten Ehe nach den USA.

Episch und poetisch, sinnlich und ruhig erzählt Elizabeth Graver ihre Familiengeschichte, die sich über das ganze 20. Jahrhundert erstreckt und mir ähnlich wie der frühere Roman Die Sommer der Porters sehr gefallen hat. Mein Monatshighlight.

Mirrianne Mahn - IssaMirrianne Mahn – Issa

Ein Messehighlight war das Rowohlt-Frühstück, bei dem die Autorin, Politikerin und Aktivistin Mirrianne Mahn dabei war, die ihren Debütroman Issa vorstellte und verriet, wieviel autobiografisches Material in ihre Geschichte der jungen Issa eingeflossen ist, die zu Verwandten nach Kamerun fliegt, um bestimmte Rituale zu befolgen, die das in ihr wachsende Baby beschützen und die bevorstehende Geburt erleichtern sollen. Selbst recht skeptisch diesem Aberglauben gegenüber, stimmt sie ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter zuliebe der Reise zu, vielleicht auch, weil es in der Beziehung zum deutschen Vater ihres Kindes gerade ein wenig kriselt. Rückblicke in ihre Kindheit, das nicht ganz einfache Verhältnis zur Mutter und ihrem deutschen Vater bis in die deutsche Kolonialzeit in Kamerun werden mit den in eher heiter-amüsant-ironischem Ton verfassten Reiseerlebnissen zu einem sehr unterhaltsamen, aber auch erhellenden Roman vermixt. Gegen Ende wird das Ganze kurz etwas pathetisch, was die Lesefreude aber nur wenig schmälert.

alem-grabovac-die-gemeinheit-der-diebeAlem Grabovac – Die Gemeinheit der Diebe

2021 erschien Das achte Kind von Alem Grabovac. Darin erzählte der Autor nur wenig fiktionalisiert von seiner sehr speziellen Kindheit als achtes Kind einer deutschen Pflegefamilie mit bosnisch-kroatischen leiblichen Eltern. Der Vater ein Kleinkrimineller, der sich alsbald absetzt, die Mutter eine hart arbeitende „Gastarbeiterin“ mit einem fatalen Hang zu den falschen Männern. Die deutsche Familie liebevoll, bürgerlich mit pragmatischer Mutter und Alt-Nazi-Vater. Eine tolle Geschichte, die mit Die Gemeinheit der Diebe eine Art Fortsetzung erhält. In der Kindheitsgeschichte wird der Fokus etwas fort von der Pflegefamilie mehr hin zur leiblichen Mutter Smilja verlagert und das Geschehen um Mutter und Sohn bis in die Gegenwart fortgeführt. Der Sohn hat seinen autobiografisch gefärbten Roman zum Stolz der Mutter und dem Ärger seiner Pflege-Geschwister veröffentlicht und die Mutter wird von psychischen Problemen geplagt.

Wieder genauso nüchtern-lakonisch geschrieben wie Das achte Kind, schafft es Alem Grabovac dennoch oder vielleicht gerade deshalb, sehr zu berühren. Trotz der Sachlichkeit werden die ambivalenten Gefühle des Sohnes zwischen Liebe, Mitleid, Bewunderung und Verletztheit sehr greifbar, genauso wie Smiljas Zerrissenheit und Leid.

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