Mirrianne Mahn – Issa

Mirrianne Mahn ist Theaterfrau, Aktivistin und Stadtverordnete in Frankfurt am Main, nun hat sie mit Issa ihren Debütroman vorgelegt. Die in Kamerun geborene, im Hunsrück aufgewachsene und nun in Frankfurt lebende Mahn engagiert sich für Diversität und gegen Rassismus, ist meinungsstark und laut. Ihr Roman über fünf Frauen einer Familie, die ihre Wurzeln in Westafrika haben, deren jüngere Vertreterinnen aber Deutsche sind, auch wenn sie immer wieder das Gefühl vermittelt bekommen, nicht so richtig dazuzugehören, ist eher leise, zutiefst berührend, lustig, erkenntnisreich.

Im Mittelpunkt steht Issa, wie ihre Autorin eine moderne, in Deutschland lebende Frau. Sie ist die Ich-Erzählerin des Gegenwartsstrangs in 2006. Issa ist schwanger von ihrem deutschen Freund. Mit der Beziehung zu ihm steht es nicht zum Besten, von der Schwangerschaft ist er nicht gerade begeistert. Ihre Mutter Ayudele rät ihr gar zu einer Abtreibung. Auf keinen Fall soll sie in die alte Falle tappen, die das Patriarchat den Frauen nicht nur ihrer Familie seit Jahrhunderten stellt. Da Issa das Kind aber auf jeden Fall behalten möchte, überredet sie ihre Tochter, zumindest für die traditionellen Rituale nach Kamerun zu fahren und diese unter der Leitung ihrer beiden Omas durchzuführen.

Zwischen Kamerun und Deutschland

Issa kam mit fünf Jahren mit ihrer Mutter und ihrem deutschen Stiefvater Jürgen nach Deutschland und ist modern und westlich sozialisiert. Dennoch unterwirft sie sich dem Willen der dominanten Ayudele und willigt zu den traditionellen Ritualen ein, die Mutter und Kind beschützen und vor bösen Einflüssen schützen sollen. Sie sollen eine spirituelle Verbindung zu den weiblichen Ahnen schaffen, die dem alten Glauben nach in den Seelen der Neugeborenen wiedergeboren werden und die man sich bei Laune halten muss. Bei ihren beiden Omas – der Urgroßmutter Marijoh, der „Mbambah“, und der Großmutter Namando – und dem Heiler William ist sie da in besten Händen.

Dieser Gegenwartsteil ist witzig und locker. Es macht viel Spaß, Issa bei ihrer Identitätssuche, dem Alltag in Kamerun und den verschiedenen etwas obskuren Ritualen zu begleiten. In Deutschland immer „die Schwarze“, in Kamerun zu Deutsch, treibt sie im Land ihrer Vorfahren dahin, beobachtet das ihr nur von Besuchen bekannte Leben, verortet sich, bestaunt die ihr fremden Traditionen.

„Normalerweise hätte ich mich für jedes Ritual mindestens drei Wochen zurückziehen und ein sogenanntes angemessenes weibliches Verhalten lernen müssen, dazu gehören zum Beispiel Körperpflege, häusliche Fertigkeiten, Tanz und natürlich Verführungskünste. Mein langsam größer werdender Bauch ist aber der lebende Beweis dafür, dass ich in Sachen Verführungskünste keine Hilfe mehr brauche, und zusammen mit meinen Omas und William haben wir entschieden, dass ich diesen Prozess, der normalerweise sechs bis sieben Jahre dauert, in ein paar Wochen abschließen muss.“

Bismarkbrunnen in Buea, Kamerun
Bismarck-Brunnen in Buea, Kamerun by Daina, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Fünf Frauengenerationen

Issa lernt in der Zeit in Kamerun nicht nur sich selbst und ihre Wurzeln, sondern auch ihre „Omas“ und deren Lebensgeschichten besser kennen.

Enanga wird mit elf Jahren zum ersten Mal vom Plantagenbesitzer vergewaltigt und dann immer wieder. Als sie sein Kind gebiert, wird sie vom Vater verstoßen und flieht zu ihrer Cousine nach Buea. Dort heiratet sie einen ungeliebten Mann und setzt alles in die Ausbildung ihrer Tochter. Doch auch Marijoh wird viel zu früh an einen viel älteren Mann, der bereits zwei Frauen hat, quasi verkauft. Mit einer der zwei Frauen freundet sie sich an, das macht ihr das Leben erträglich.

Doch auch in Kamerun kommt der Erste Weltkrieg an und bringt wie alle Kriege Leid und Elend. Marijoh verliert ihre Mutter, kann sich aber als eine Art Krankenschwester bewähren und heiratet ein zweites Mal. Die Tochter Namando wird in den 1960er Jahren die 18. Frau eines Clan-Chefs, trennt sich insgesamt neunmal von ihm, verlässt schließlich ihn und ihre kleine Tochter Ayudele. Die Geschichten von Marijoh, Namondo und Ayudele werden deutlich kürzer erzählt als die von Enanga, fast ein wenig überstürzt. Das ist schade, zumal sich nun auch ein wenig Pathos und hin und wieder leichter Kitsch in die Geschichte einschleicht. Zum Glück werden diese Passagen aber auch immer wieder vom Issa-Strang unterbrochen.

Hoffnung durch Solidarität

Trotz der Härte und Grausamkeit, die in den historischen Passagen auftauchen, sind auch diese immer voller Hoffnung. Die Resilienz der Frauen, ihre Stärke, die sie all ihre Traumata überstehen lassen, gründen auch in der großen Solidarität untereinander. Mit großem Pragmatismus und Behauptungswillen überstehen sie Kolonialherrschaft, Krieg und Patriarchat. Mirrianne Mahn erzählt davon unaufgeregt und sehr empathisch.

„In unseren eigenen Geschichten sind wir keine Opfer. Issa, du hast lesen und schreiben gelernt, aber das Denken kann dir niemand beibringen, das musst du selbst erlernen. Denn dann kannst du deine Geschichte selbst schreiben. Du musst in die Vergangenheit schauen, um die Gegenwart zu verstehen, damit du deine Zukunft gestalten kannst.“

Dieses Motto nimmt Issa von ihrer Mbambah aus Kamerun mit. Und es ist auch das, was Mirrianne Mahn uns mit Issa ans Herz legen will. Ohne ein Bewusstsein für die Vergangenheit können wir aus der Gegenwart keine selbstbestimmte, verantwortungsvolle Zukunft erwachsen lassen. Nicht in Kamerun und nicht in Europa.

Beitragsbild: Buea, Kamerun by pjt56 (CC BY 3.0 Deed) via wikimedia commons

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Rowohlt Buchverlag März 2024, gebunden, 304 Seiten, € 24,00

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