Wie Inseln im Licht ist der zweite, auf zarte und leichte Art tief berührende Roman der 1987 geborenen Autorin Franziska Gänsler. Sie variiert darin auf überraschende Art ein bekanntes Erzählszenario.
Die Mutter der 27jährigen Ich-Erzählerin Zoey ist nach langer, quälender Erkrankung, während der sie aufopferungsvoll von ihrer Tochter gepflegt wurde, gestorben. Die junge Frau flieht regelrecht an den einzigen Ort, den sie sich für die Bestattung vorstellen kann: die französische Atlantikküste. Dort hat sie mit der Mutter und ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Oda eine Weile gelebt, in der Erinnerung wunderschöne Kindheitssommer verbracht.
Die Zeit dort endet abrupt als Zoey sieben Jahre alt ist. Was damals genau passiert ist, verliert sich für sie im Nebel, aber seit damals ist Oda spurlos verschwunden. Erinnerungen an eine Nacht ohne die Mutter, an Männer und tanzende Licht im Wald hinter dem Campingplatz, daran, dass sie mit ihrer Schwester in diesen Wald hineingelaufen ist. Was ist damals passiert? Wohin ist Oda verschwunden? Trifft Zoey selbst Schuld an diesem Verschwinden? Und warum hat niemand, schon gar nicht die Mutter jemals wieder darüber gesprochen? Warum sind sie kurz danach wieder nach Deutschland zurückgekehrt, als hätte es Oda nie gegeben? Manchmal glaubt Zoey selbst, sie hätte nie eine kleine Schwester gehabt.
Die Beziehung zwischen Zoey und ihrer Mutter war eng, fast symbiotisch. Negativer formuliert könnte man von einer gewissen Co-Abhängigkeit sprechen. In der letzten Zeit vor ihrem Tod ging Zoey fast ganz in der Pflege der Mutter auf. Daran ist wohl auch die Beziehung zu ihrer Ex-Partnerin Ari gescheitert, die sich aber nun von Deutschland aus um die Organisation der Beerdigung kümmert, während sie in Frankreich immer mehr in ihre Erinnerungen hineingezogen wird. Der Vater, mit dem sie nur per Videocall kommuniziert und der sehr unwirsch und ablehnend auf ihre Fragen zur Mutter und der Zeit in Frankreich reagiet, ist keine Hilfe. Zoey recherchiert vor Ort. Gibt es noch Menschen, die schon damals hier gelebt haben? Sich vielleicht noch an sie erinnern können?
Auf dem Campingplatz trifft sie auf die junge Kitty, die mit ihrer Großmutter in einem der Bauwagen auf dem Campingplatz leben. Die alte Dame, ehemalige Anwältin, verdient als wahrsagende Influencerin Madame Future mit ihrem Instagram-Kanal Geld. Und tatsächlich kann die sich an die junge Mutter und ihre beiden kleinen Töchter erinnern, weiß aber über das Verschwinden von Oda auch nicht viel oder verbirgt ihr Wissen zumindest geheimnisvoll. Auch die junge Hotelangestellte Marlène unterstützt Zoey bei ihrer Suche und die beiden Frauen kommen sich sehr nah. Eine ganz zarte Liebesbeziehung entsteht. Aber wer ist die ältere Frau im Fenster gegenüber des Hotels, der Zoey immer wieder begegnet?
Diese Frau taucht bereits in der sehr bildstarken ersten Szene des überhaupt sehr bildhaften, poetischen Romans auf, in der Zoey im Pool ihres Hotels an der Atlantikküste schwimmt.
„Als ich auftauche, hat das Wetter umgeschlagen. Das Wasser, das kurz zuvor noch glatt in seinem türkis gekachelten Becken gelegen hat, genau wie die Palmenblätter, die dabei ein schnelles, schabendes Geräusch erzeugen.“
In diesem ersten Kapitel wird schon die assoziationsreiche Wahrnehmungsweise der Ich-Erzählerin deutlich und tauchen schon wichtige Bezugspunkte auf – die Kindheit mit Schwester Oda auf dem französischen Campingplatz und die Traumatisierung durch deren Verschwinden, die emotionale Abhängigkeit von der verstorbenen Mutter, ihre Masterarbeit über die Videokünstlerin Tracey Emin und deren enge Verbindung zu Edvard Munch, das Umkippen einer Situation und eines ganzen Lebens.
„Meine Erinnerung an die letzten Tage ist nicht linear, da sind nur Szenen, die aufscheinen, wie Lichter auf einer bewegten Oberfläche.“
Zoeys Leben wurde durch unerbittliches Schweigen, durch Rätsel, durch zunächst völlig unverständliches Verhalten ihrer Umgebung bestimmt. Weder die Mutter, die nie wieder über die verschwundene Schwester sprechen wollte und alle Fragen der Tochter rigoros abblockte, noch der merkwürdig verschlossene Telefonvater scheinen anfangs plausible Personen zu sein. Franziska Gänsler erzählt in Wie Inseln im Licht so leise und tastend wie eindringlich und zwingend von ihnen, von einem großen Unglück, falschen Entscheidungen und dem fatalen und letztlich vergeblichen Wunsch nach Verdrängung, dass man das Buch am Ende zuschlägt und denkt, „Ja, doch, so hätte es sein können.“ Ein Buch, das nachhallt.
Beitragsbild via pxhere
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Franziska Gänsler – Wie Inseln im Licht
Kein und Aber März 2024, gebunden, 208 Seiten, € 23,00
Ich bedanke mich bei Franziska Gänsler für das mich tief bewegte Buch „Wie Inseln im Licht“!