Die Heimatforscherin und Sylt-Gästeführerin Silke von Bremen hat mit Stumme Zeit einen Deütroman geschrieben, der zurück in die 1970er Jahre führt, als der Massentourismus begann, die Insel zu erobern. In langen Rückblicken führt er aber auch in eine sehr dunkle, in die stumme Zeit des Nationalsozialismus. Hauptprotagonistin ist Helma, die seit ihrer Geburt 1936 in einem Dorf auf Sylt lebt. Die Lage nahe dem Wattenmeer und die Präsenz von vielen alten Kapitänshäusern lässt auf das Dorf Keitum schließen, einst Hauptstadt von Sylt und ein Stück lebendige Inselgeschichte aus der Zeit des 18. Jahrhundert, als der Walfang noch die Haupterwerbsquelle von Sylt war.
Hier lebt Helma nach dem Tod des wenig geliebten Vaters Sönnichen allein auf dem alten Hof und beherbergt neuerdings Badegäste. Alte Aufzeichnungen führen sie gedanklich zurück in die Zeit, als ihre Mutter Karen kurz nach Helmas Geburt starb. Über sie und ihren Tod wurde nie gesprochen. Ebensowenig über das Verschwinden der Mutter ihres besten Kinderfreundes Rudi im Jahr 1944. Beide forschen nun nach, was ihren Müttern passiert ist und tauchen tief in eine raue, dunkle Zeit ein. Neben der Zeit des Nationalsozialismus, der auch auf Sylt wütete, wird die Zeit der 1970er Jahre lebendig, als sich durch den Tourismus das Inselleben radikal änderte, Traditionen verschwanden, aber auch Geld auf die einst bitterarme Insel strömte. Auch Bewohner, die einst fortgegangen sind, kehren zurück. So wie die einstige Jugendliebe Helmas, Dietrich. Zur gleichen Zeit treibt ein Brandstifter sein Unwesen im Dorf und seiner Umgebung.
Sylter Geschichte
Stumme Zeit ist ein gut geschriebener, spannender und interessanter Einblick in die Geschichte einer Insel, die heute zum Inbegriff der Reichen geworden ist. Völlig entgegen der oft bitteren Geschichte, durch die Silke von Bremen uns bei einem Aufenthalt in Keitum kenntnisreich, sehr sympathisch und unerhaltsam geführt hat. Leider waren die Wetteraussichten nicht so gut, so dass wir die Führung nicht mit dem Fahrrad gemacht haben und so nicht das Megalithgrab Harhoog aus der Zeit von 3000 v. Chr. besichtigen konnten, das noch weiter zurück in die Geschichte geführt hätte.
Stattdessen begannen wir auf dem Keitumer Friedhof rund um die Kirche St. Severin von 1216. Dort begegnete man gleich den Grabstätten der bedeutenden Kapitänsfamilien, die hier in Keitum, auf der sturmabgewandten östlichen Wattenmeerseite im 17. und 18. Jahrhundert ihre stattlichen Häuser errichteten. Der Ort wies damals als einziger der sonst armen Insel einen gewissen Wohlstand auf. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts galt Keitum als Hauptort der Insel Sylt. Hier praktizierte der einzige Arzt der Insel und es gab die einzige Apotheke, auch war es Verwaltungssitz.
Ein Grabstein
Direkt an der Kirchenmauer erinnert ein prächtiger Grabstein an den Kapitän Uwe Peters und seine Frau Inken. Peters hat beide Grabinschriften selbst verfasst.
Inken Uwe Peters geboren in Westerland 1734 den 30 Septembr, gestorben in Keitum 1800 den 12. Octob. Ruhe wohl gelibter Schatz, In dem kühlen Grabe Da ich einstgewünschten Platz Neben dir auch habe. Ruhe bis wir auferstehn Und dem alle beyde Herrlich und vereinigt gehn In des Himmels Freude. |
Uwe Peters geboren in Keitum 1729 den 12 May gestorben in Keitum 1811 den 31. März. Gott hat mein Wunsch gewährt Ich ruhe jetzt in Frieden Bey mein Schatz in der Erd Von dieser Welt geschieden. Mein Schiff stößt an kein Strand Ich bin nun angekommen Und ins Himmels Vaterland Als Bürger auf genommen. |
Kapitänsgeschichten
Dahinter steckt eine für die Sylter Walfänger typische, tragische Geschichte. Uwe Peters Vater und drei seiner vier Brüder bleiben auf See. Wie übrigens geschätzt die Hälfte aller zur See fahrenden Männer. Alle fünf Söhne, die ihm seine Frau Inken schenkt, sterben im Meer. Einer davon gerade mal 12 Jahre alt. Die Rückkehr der Männer von ihren monatelangen Fahrten war stets ungewiss. Oft begrüßte sie die Frau dann mit einem neugeborenen Kind. Aber es gibt auch diese Geschichten: Ein Kapitän verliert vier Ehefrauen im Kindbett, während er auf See ist. Die fünfte Frau schließlich überlebt die Geburt, was jedoch ihr Mann niemals erfährt. Er kommt von dieser Fahrt nicht zurück.
Ein hartes Leben voller Entbehrungen, das so fern vom Schicki-Micki-Gedöns vieler Orte auf Sylt ist und durch Silke von Bremen sehr lebhaft und anschaulich nahegebracht wurde.
Durch die Führung mit Silke von Bremen wurde mir auch Stumme Zeit noch näher gebracht, das ich allen Sylt-Urlaubern und -Liebhabern und allen an lebendiger Geschichte interessierten Leser:innen sehr ans Herz lege.
alle Fotos von Petra Reich
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Silke von Bremen – Stumme Zeit
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