J Courtney Sullivan – Die Frauen von Maine

Ein altes lila Haus auf einer Klippe mit atemberaubender Sicht auf die Küste vor Maine. Lake Grove. Schon als Teenager, als sie es vom Hummerboot, auf dem sie gejobbt hatte, entdeckte, zog es Jane Flanagan magisch an, zum Lesen, Schule schwänzen, Träumen. Manchmal zusammen mit ihrer besten Freundin Allison, später mit Freund und späterem Ehemann David. Nun lässt J. Courtney Sullivan ihre Protagonistin in Die Frauen von Maine nach einer persönlichen Katastrophe in ihr Elternhaus in der kleinen Küstenstadt Awadapquit (fiktiv, erinnert aber angeblich sehr an Ogunquit) zurückkehren, um mit ihrer Schwester das Haus ihrer kürzlich verstorbenen Mutter zu verkaufen. Und es zieht sie erneut zu dem ehemals verlassenen Haus. Weiterlesen „J Courtney Sullivan – Die Frauen von Maine“

Lektüre Januar 2025

Schon wieder ist ein Monat des neuen Jahres vergangen. Die Neuerscheinungen des Frühjahrs drängen auf die Lesestapel, letzte Must-Reads des vergangenen Jahres liegen noch bereit, etliche bisher nicht gelesene Bücher der vergangenen Jahre bitten um Aufmerksamkeit. Alles wie immer. Bevor ich mich aber meiner Lektüre im Januar dieses gerade gestateten Jahres 2025 widmen möchte, noch ein paar gute Vorsätze. Weiterlesen „Lektüre Januar 2025“

Monika Zeiner – Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre

Das Jahr 2024 habe ich mit einem Roman begonnen, der mich total begeistert hat und der dennoch bei den Nominierungen zu den „großen“ deutschen Buchpreisen völlig leer ausging. Absolut unverständlich, da Unsereins von Inger-Maria Mahlke wirklich von überragender Qualität war – klug, witzig, anspielungsreich, formal perfekt. Und auch 2025 habe ich mit einem Roman gestartet, der bisher noch nirgends nominiert war, obwohl er von ebenso großer Kunstfertigkeit ist – Monika Zeiner mit Villa Sternbald.

Auch sonst haben die beiden Romane etwas gemeinsam: sie erweisen dem Jubiläumsschriftsteller dieses Jahres, Thomas Mann, auf spielerische Weise ihre Referenz. Weiterlesen „Monika Zeiner – Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre“

Han Kang – Unmöglicher Abschied

In diesem Jahr wurde der Literaturnobelpreis an die gesellschaftskritische südkoreanische Autorin Han Kang verliehen, die seit dem Booker Prize 2016 für ihren Roman Die Vegetarierin auch in Deutschland vielbeachtet ist. Ich muss zugeben, dass ich mit diesem schmalen Roman, der gegen das in Südkoreas Patriarchat vorherrschende Frauenbild anschreibt, nicht recht warm geworden bin. Deshalb habe ich mich dem aktuellen Roman von Han Kang, der gerade auf Deutsch erscheint und Unmöglicher Abschied als Titel trägt, vorsichtig genähert. Nachdem Die Vegetarierin schon vor einer Weile in den offenen Bücherschrank weitergezogen ist, wollte ich nun doch wissen, was den Reiz ihres Schreibens ausmacht. Weiterlesen „Han Kang – Unmöglicher Abschied“

Daniel Gräfe – Wir waren Kometen

Als Lukas Luba das erste Mal begegnet, ist diese schon reichlich desillusioniert. Als im Dezember 1989 in Rumänien die Diktatur des Nicolae Ceaușescu endet, packt die sehr junge Frau ihre Koffer und verlässt ihre Heimat Hals über Kopf gen Westen. Schon als Kind opponierte sie gegen den Zwang des Regimes in der Schule, auch gegen die regimetreuen Eltern. Die deswegen erhaltenen Strafen traumatisierten sie nachhaltig. Ihr Hass auf das Land legt sich auch in Berlin nicht, obwohl sie hier auch die Negativseiten des Westens zu spüren bekommt und die Stadt doch einigermaßen entfernt von ihrem idealisierten Traumland Italien ist. Das begonnene Studium an der Hochschule der Künste kann sich die begabte Zeichnerin bald nicht mehr leisten und muss sich mit anderen Jobs über Wasser halten. In einer Nobelboutique wird sie völlig grundlos des Ladendiebstahls verdächtigt. Hier lässt Daniel Gräfe seine beiden Protagonist:innen in Wir waren Kometen das erste Mal aufeinandertreffen.

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Çiğdem Akyol – Geliebte Mutter

Aktuell werden viele Romane veröffentlicht, in denen sich die zweite oder dritte Einwanderergeneration mit ihren Eltern und Großeltern auseinandersetzt. Zentral ist dabei meist die Mischung aus kritischem, schonungslosem Blick und einer großen Zärtlichkeit und Zuneigung, dem Bestreben zu verstehen. Die Romane von Dinçer Güçyeter, Necati Öziri und Deniz Utlu sind hervorragende Beispiele dafür, wie dies literarisch sehr gelungen geschehen kann. Nun hat die Journalistin und Sachbuchautorin Çiğdem Akyol mit Canım Annem Geliebte Mutter ein weiteres sehr empfehlenswertes Buch über eine deutsch-türkische Familie geschrieben.

Meryem ist die Protagonistin, die manchmal in der Ich-, manchmal in der personalen Perspektive im Zentrum steht. Ihre Mutter Aynur, die sie in einigen Passagen mit dem „Du“ direkt anspricht, ist eine der komplexen, ambivalenten Figuren, die Çiğdem Akyol in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit entwickelt. Sie stammt aus einer gutsituierten, gebildeten alevitischen Familie in Istanbul. Das bewahrt sie aber nicht vor einem Schicksal, das viele Frauen in streng patriarchalen Gesellschaften erleiden. Nachdem ihr Vater verstorben ist, übernimmt ihr älterer Bruder den Familienvorsitz und verheiratet sie gegen den Willen der Mutter und vor allem gegen ihren eigenen erbitterten Widerstand mit einem ungebildeten, sunnitischen Mann aus einem ostanatolischen Dorf. Beeinflusst von seiner Frau, will er seine Schwester einfach los sein.

Fremdes Leben in Deutschland

Alvin brennt für die schöne Aynur, eine Frau, die sich der mittellose Mann, der in Deutschland ein sehr prekäres Gastarbeiterleben führt, nie hat erträumen können. Statt eines bequemen Lebens in Almanya wartet eine mit dem Bruder geteilte, heruntergekommene Wohnung im trostlosen Herne auf die junge Frau. Statt Liebe und Respekt, ungezügelte Leidenschaft (die Alvin für Liebe hält) und Gewalt. Aynur fügt sich in die Zwangsehe, bald kommen zwei Kinder, Meryem und Ada. Doch mit Alvin geht es bergab. Er wird arbeitslos und spielsüchtig. Aynur muss allein für die Familie aufkommen, wird von ihrem Mann immer wieder geschlagen.

Dass ein solches Schicksal Wunden reißt, ist verständlich. Aynur wird hart, auch zu ihren Kindern. Schwere Arbeit, wenig Anerkennung in der deutschen Gesellschaft – das ist ein Leben, das viele Frauen und Männer der ersten Einwanderergeneration teilen. Meryem und ihre Autorin Çiğdem Akyol wollen verstehen, wie das die Menschen geprägt hat.

„Wie wurde sie zu so einer Frau? Schon früh, dafür gibt es Gründe – und das ist die Geschichte.“

heißt es deshalb schon gleich zu Beginn der Geschichte.

Geliebte Mutter

Es ist nicht so, dass Meryem der Mutter ihr hartes, oft lieblos erscheinendes Verhalten gänzlich verzeiht, aber sie erkennt im Gegensatz zu ihrem unversöhnlichen Bruder Ada an, wie sehr Aynur kämpfen und arbeiten musste, damit ihre Kinder es besser haben können, studieren, und vor allem frei von den patriarchalen Zwängen, unter denen sie so sehr zu leiden hatte, leben können.

Mit Zeitsprüngen und wechselnden Perspektiven arbeitend, gelingt Çiğdem Akyol mit Geliebte Mutter Canım Annem ein berührender und sehr relevanter Debütroman, der gut geschrieben und aufgebaut ist, so dass man ihn äußerst gerne liest.

 

Eine weitere Besprechung findet ihr bei Lust auf Lesen

Beitragsbild via pexels

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.Çiğdem Akyol – Canım Annem Geliebte Mutter
Steidl Verlag Oktober 2024, 240 Seiten, Leineneinband, € 24.00

 

 

 

 

Joachim Meyerhoff – Man kann auch in die Höhe fallen

Der ehemalige Burgschauspieler Joachim Meyerhoff ist schon seit geraumer Zeit in der Welt der Autoren angekommen. Sein ursprünglich als Bühnenprogramm konzipiertes autobiografisches Werk „Alle Toten fliegen hoch“ wird seit 2011 sehr erfolgreich in Buchform veröffentlicht. Amerika (über sein Austauschjahr in Amerika und den frühen Tod des Bruders), Wann wird es wieder so wie es nie war (über die Kindheit als Sohn des Leiters der Psychiatrie Schleswig), Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (über die Ausbildung zum Schauspieler und das Leben bei den exzentrischen Großeltern in München) sind All-Time-Favorites für mich. Allerdings bereits in Die Zweisamkeit der Einzelgänger begann der Zauber der Bücher für mich zu schwinden. Zuviel Selbstbespiegelung und einige fast gehässige Anekdoten über verflossene Beziehungen statt der Selbstironie und der immer auch liebevollen, spöttischen Blicke auf die Familie haben mir ein wenig den Spaß daran genommen. Auch der Nachfolgeband über seinen 2018 erlittenen Schlaganfall (Hamster im hinteren Stromgebiet) konnte mich aufgrund seiner – wenn auch verständlichen – Larmoyanz nicht überzeugen. Zum Glück findet Joachim Meyerhoff im nun sechsten Band Man kann auch in die Höhe fallen wieder zu seiner alten Stärke als begnadeter Erzähler zurück. Weiterlesen „Joachim Meyerhoff – Man kann auch in die Höhe fallen“

Ulrike Draesner – zu lieben

Kann man zu lieben lernen? Was bedeutet es überhaupt, zu lieben – das beleuchtet die Autorin Ulrike Draesner anhand der Adoption eines Kindes, ihres Kindes. Nach mehreren Fehlgeburten und unzähligen Versuchen, schwanger zu werden sind die Ich-Erzählerin, die durchaus mit der Autorin gleichgesetzt werden kann, und ihr Mann Hunter schon jenseits der Vierzig. Zu alt für das deutsche Adoptionssystem. Für solche Fälle gibt es Vereine, die Auslandsadoptionen vermitteln. Die Wahl fällt auf Sri Lanka und die Zeit des Wartens und der bürokratische Hindernisse beginnt. Weiterlesen „Ulrike Draesner – zu lieben“

Lektüre Dezember 2024

Meine Lektüre im Dezember 2024 war vielseitig, überaschend und überwiegend sehr gut. Aus zeittechnischen Gründen habe ich dieses Mal viele Kurzrezensionen verfasst, die hier in der Zusammenfassung des Lesemonats zum ersten Mal erscheinen. Beispielsweise Francesca Melandri – Kalte Füße, Leyla Bektas – Wie meine Familie das Sprechen lernte, José Luís Peixoto – Mittagessen am Sonntag und Ubah Cristina Ali Farah – Der Kommandant des Flusses. Mit Anne Rabes Die Möglichkeit von Glück habe ich auch ein Backlist-Buch aus 2023 besprochen – ebenfalls hier zum ersten Mal erschienen.

Langsam trudeln auch die ersten Frühjahrs-Novitäten ein. Ich freue mich auf ein spannendes Lesejahr 2025. Wenn ihr nochmal in die Neuerscheinungen hineinschnuppern möchtet, könnt ihr das gerne im entsprechenden Beitrag tun.

Nun wünsche ich euch ein gutes, friedvolles, gesundes Neues Jahr mit immer der richtigen Lektüre. Schön, dass ihr hier immer wieder vorbeischaut, das freut mich wirklich sehr. Ich hoffe, das bleibt auch 2025 so. Bleibt hoffnungsvoll!
Weiterlesen „Lektüre Dezember 2024“

Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?

Hin und wieder kommt es vor – (leider) nicht sehr oft -, dass ich Bücher ohne größere Erwartungen beginne, und dass mich diese dann völlig vom Hocker hauen. Das ging mir gerade so mit dem Deutscher Buchpreis-Gewinnertitel von Martina Hefter Hey guten Morgen, wie geht es dir? Mich haben der Klappentext und die Buchwerbung zunächst nicht sonderlich angesprochen.

Love-Scammer – also Männer, hauptsächlich aus Entwicklungs- oder Schwellenländern, die online Beziehungen zu (meist älteren) Frauen anknüpfen und diese dann irgendwann finanziell gnadenlos ausbeuten? Eine mittelalte Frau, die ihrerseits diesen jungen Männern Lügen auftischt, während nebenan ihr schwerkranker Mann im Pflegebett liegt? Eine „Dreiecksgeschichte ganz neuer Art“, „eine Frau zwischen zwei Männern“? Tatsächlich betonen fast alle der (fast) ausnahmslos begeisterten Rezensionen eines dieser Themen: Lovescamming, pflegende Angehörige oder Insomnie. Weiterlesen „Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?“