Beauvoire arbeitet als Tankwart an einer Tankstelle in der Peripherie. Flüchtige Begegnungen mit Kunden, seltene Stammgäste, ein streng begrenztes Warensortiment und der ständige Geruch nach Benzin bestimmen seinen Arbeitsalltag. Von seinem Privatleben erfährt man relativ wenig. Es gibt einen Vater, den er häufig anruft, auch wenn dieser meistens mit seinen wechselnden Frauenbekanntschaften beschäftigt ist und recht wenig Interesse an seinem Sohn bekundet. Freund Ray ist zurzeit auch nur telefonisch erreichbar, denn er lebt auf Malta und wurde gerade von seiner Frau verlassen. Die immer wieder auftretende Langeweile während der Arbeit vertreibt sich Beauvoire mit Action- und Horrorfilmen, Rauchen und genauen Beobachtungen, die Autor Alexandre Labruffe seinen Ich-Erzähler in Erkenntnisse eines Tankwarts mit den Lesenden teilen lässt. Weiterlesen „Alexandre Labruffe – Erkenntnisse eines Tankwarts“
Kategorie: Rezensionen
Theres Essmann – Dünnes Eis
Über dünnes Eis bewegt sich die fast einhundert Jahre alte Marietta schon fast ihr ganzes Leben lang. Zumindest seit sie als junge Frau auf der Flucht vor der Roten Armee über dieses gehen musste, Unzählige dabei sterben sah und ihr allergrößtes Trauma dabei schon hinter ihr lag. Verdrängung und/oder Erinnerung – dünnes Eis, in das Marietta immer wieder einbricht, wenn Träume und Bilder auf sie einstürmen. Theres Essmann schafft mit ihrem Roman Dünnes Eis ein feinfühliges, empathisches Buch über eine noch sehr lebendige alte Dame. Weiterlesen „Theres Essmann – Dünnes Eis“
Lektüre August 2023
Ist der Juli-Überblick spät, dann kann auch der August nicht pünktlich sein. Der Vollständigkeit halber hier noch der Überblick über die Lektüre im August 2023, der auch mein Urlaubsmonat war. Ich hoffe, dass ich die Lektüreüberblicke wieder etwas geordneter hinbekomme. gelesen sind die bücher ja schon lange und von den meisten auch schon die Rezensionen geschrieben. Nur bei den Zusammenfassungen habe ich ein wenig geschludert…
Karen Gershon – Das Unterkind
Schon sehr früh fühlt sich die kleine Käthe Löwenthal (der Geburtsname von Karen Gershon) als das Unterkind der wohlhabenden jüdischen Familie aus Bielefeld. Die beiden Schwestern, die sehr bewunderte Anne und die vielgeliebte Lise sind zwei bzw. ein Jahr älter. Und schon seit jüngsten Jahren
„hetzt (sie) sich ab, physisch, aber auch im übertragenen Sinn, um ihre Schwestern einzuholen. Die Tatsache, dass es ihr nie gelang, hat sie wohl zu der Überzeugung gebracht, ein Unterkind zu sein, und das schon vor ihrem zehnten Lebensjahr, in dem die Nazis an die Macht kamen.“ Weiterlesen „Karen Gershon – Das Unterkind“
Birgit Mattausch – Bis wir Wald werden
Ein Hochhaus als zentraler Handlungsort und sogar als eine Art Protagonist – das ist jetzt nicht unbedingt ganz neu. Bei der Lektüre von Bis wir Wald werden von Birgit Mattausch musste ich häufig an Karosh Tahas Beschreibung einer Krabbenwanderung denken. Und erst vor kurzem erschien der US-amerikanische Bestseller Kaninchenstall von Tess Gunty, der im gleichnamigen Wohnkomplex angesiedelt ist. Aberso unterschiedlich Häuser und darin lebende Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Romane. Meist sind es die eher einkommensschwachen Bevölkerungsschichten, die im Hochhaus wohnen, viele Migrant:innen und ältere Menschen mit kleinem Geldbeutel, die die Annehmlichkeiten wie Aufzug, Ebenerdigkeit etc. zu schätzen wissen. Aber meist haben Hochhäuser keinen guten Ruf, wird ihre Anonymität beklagt, ihre angebliche Kälte, gelten sie oft als soziale Brennpunkte. Dass sie auch Heimat, Gemeinschaft und Geborgenheit bedeuten können, hat Birgit Mattausch erlebt, als sie selbst als Pfarrerin in einem solchen Wohnkomplex, in dem besonders viele russlanddeutsche Migrant:innen lebten, wohnte. Weiterlesen „Birgit Mattausch – Bis wir Wald werden“
Viktor Funk – Bienenstich
„Mein Leben in Deutschland begann mit einem Stück Bienenstich“, so beginnt der Debütroman von Viktor Funk und war auch so betitelt, als er 2017 im damals noch existierenden Frankfurter Größenwahn Verlag erschien. Der fast durchgehend namenlos bleibende Ich-Erzähler (erst ziemlich am Ende wird er mit Herr Bellen angesprochen) erzählt darin von seiner Jugend, der Emigration nach Deutschland, aber vor allem von seinen Beziehungen zu Frauen und seinem Jugendfreund Mark. Weiterlesen „Viktor Funk – Bienenstich“
Bastian Kresser – Als mir die Welt gehörte
Das Erstaunliche ist, dass es diesen Victor Lustig wirklich gab. Der 1890 geborene Lustig war österreich-ungarischer Herkunft, von großer Intelligenz und umfassender Ausbildung. Er sprach fünf Sprachen. Dass er mit 22 Jahren bereits 5x im Gefängnis sitzen, sich etliche fiktive Identitäten zulegen und auf Überseedampfern Geld mit Betrügereien bei Glücksspielen machen sollte, war in keiner Weise vorgezeichnet oder vorhersehbar. In die Geschichte ging er schließlich ein als „der Mann, der den Eiffelturm verkaufte“. Und das gleich zwei Mal. Seine überraschende Geschichte erzählt der österreichische Autor Bastian Kresser auf so unterhaltsame wie spannende Weise in seinem Roman Als mir die Welt gehörte. Weiterlesen „Bastian Kresser – Als mir die Welt gehörte“
Jan Costin Wagner – Einer von den Guten
„Ben Neven und seine Kolleg:innen sind an einem Punkt angelangt, an dem der Autor sie (und die Leser:innen) nicht einfach allein lassen kann. Ihre Geschichte ist noch nicht auserzählt.“ So habe ich meine Rezension zum Vorgängerroman Am roten Strand beendet. Nun hat Jan Costin Wagner mit Einer von den Guten einen dritten Roman über den Ermittler Ben Neven geschrieben, der am Ende zwar auch fast alles in der Schwebe lässt, aber dennoch einen zufriedenstellenden Abschluss der Reihe bildet. Weiterlesen „Jan Costin Wagner – Einer von den Guten“
Susan Choi – Vertrauensübung
Selten hat mich ein Buch so zwiegespalten zurückgelassen wie der mit dem National Book Award ausgezeichnete und nun in der Übersetzung von Tanja Handels und Katharina Martl bei Kjona erschienene Roman von Susan Choi, Vertrauensübung. Einhellige Begeisterung herrscht bei mir allerdings über die Gestaltung des Buchs. Der sich vor allem für Nachhaltigkeit in der Buchproduktion engagierende Kjona Verlag macht einige der schönsten Bücher, die derzeit im Handel sind. Trendige Veredelungen wie Lacke oder Farbschnitte werden aus Umweltschutzgründen nicht verwendet, dafür jubelt mein Bücherherz angesichts des klaren Designs, des hochwertigen, alterungsbeständigen Papiers und vor allem der Fadenheftung. Ganz große Begeisterung! Weiterlesen „Susan Choi – Vertrauensübung“
Eva Reisinger – Männer töten
Unter dem herrlich zweideutigen Titel Männer töten veröffentlicht die österreichische Journalistin und Sachbuchautorin Eva Reisinger ihren ersten Roman und wurde dafür gerade für den Österreichischen Debütpreis 2023 nominiert. Interessant ist, welche Bedeutung des Titels sich beim ersten Augenschein bei der Leserin oder dem Leser nach vorne drängt. Tatsache ist, das macht die „Triggerwarnung“ gleich zu Beginn deutlich: Hier werden Männer getötet. Dabei geht es aber eigentlich um die unerträgliche Tatsache, dass Männer Frauen töten. Immer noch, immer wieder. Und immer noch schaut die Gesellschaft viel zu oft weg, bagatellisiert und ist auch die Rechtsprechung noch nicht so sensibilisiert, diese Femizide als solche gesondert zu behandeln. Bislang haben nur zwei Länder in Europa, nämlich Zypern und Malta, beschlossen, diese Femizide als eigenständige Verbrechen anzuerkennen. Weiterlesen „Eva Reisinger – Männer töten“