Es gibt weniges, das mich weniger interessiert als der Boxsport. Überhaupt kann ich mich für Sportthemen oder Sportromane selten begeistern. Wenn es einem Roman also gelingt, mich über mehr als 200 Seiten zu fesseln, obwohl ich keinerlei Interesse an seinem Hauptsujet besitze, dann spricht das sehr für dessen Qualität. Mir ist das tatsächlich vor längerer Zeit schon einmal passiert. Da ging es um Motorsport, tatsächlich etwas das ich noch abseitiger finde als Boxen. Der Roman hieß „Boxenstopp“ und war von Christiane Neudecker. Sie ist die Übersetzerin des hier zu besprechenden Romans Schlaglicht von Rita Bullwinkel. Zufall? Weiterlesen „Rita Bullwinkel – Schlaglicht“
Schlagwort: Amerikanische Literatur
Paul Harding – Sein Garten Eden
Der US-amerikanische Schriftsteller Paul Harding (*1967) erhielt bereits für seinen Debütroman Tinkers 2010 den Pulitzer Prize in der Sparte Fiction, und auch mit seinem neuesten Werk, Sein Garten Eden, stand er auf der Shortlist des Booker Prize. Harding ist also ein durchaus erfolgreicher und anerkannter Autor in der angloamerikanischen Literaturwelt, der es meiner Wahrnehmung nach aber in Deutschland eher schwer hat. Seine Geschichte einer multiethnischen Gemeinschaft, die auf einer kleinen Insel vor der Küste Maines seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts zusammenlebt, bevor sie von den Behörden von dort vertrieben wird, ist von den wahren Begebenheiten auf Malaga Island inspiriert. Weiterlesen „Paul Harding – Sein Garten Eden“
James Baldwin – Die Romane und Essays
Zum ersten Mal begegnete ich James Baldwin im Radio. Auf SWR2 lief ein Feature über einen afro-amerikanischen Schriftsteller, der Anfang der 1950er Jahre in einem kleinen Dorf im Schweizer Kanton Wallis auftauchte und die dort lebenden Menschen in einiges Staunen versetzte. „Wie ein Schaf in der Wüste: Als Baldwin die Schweiz besuchte“nannten die Autoren Rolf Hermann und Michael Stauffer ihren Beitrag von 2011. Damals begann die Wiederentdeckung eines der wichtigsten US-amerikanischen Autoren, der in seinem Heimatland zwar ein Klassiker, aber doch ein wenig vergessen war. Nicht zuletzt die Wahl von Barack Obama, der James Baldwin als eine seiner Leitfiguren nannte, aber auch das Wiedererstarken der Bürgerrechtsbewegung in Zuge von „Black lives matter“ verschaffte seinem Werk erneut Aufmerksamkeit. Auch in Deutschland war die auf dem unvollendeten Manuskript „Remember This House“ beruhende filmische Collage von Raoul Peck (2017), in der er dem weißen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft nachspürt, ein großer Erfolg. „I´m not your negro wurde vielfach ausgezeichnet und Oscar nominiert. Seit 2018 erscheinen bei DTV hervorragende Neuübersetzungen der Werke von James Baldwin, die Romane und Essays, zuletzt „Giovannis Zimmer“.
Javier Zamora – Solito
Es ist eine erschütternde Geschichte, die leider so oder ähnlich tagtäglich irgendwo auf der Welt passiert – das UNHCR spricht aktuell von fast 120 Millionen Vertriebenen weltweit, 47 Millionen davon sind Kinder, viele davon sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Aber ist es auch „Eine wahre Geschichte“, wie der Verlag auf dem Buchcover verkündet, die der 1990 in El Salvador geborene und nun in den USA lebende Lyriker Javier Zamora in seinem ersten Prosawerk Solito erzählt? In der Kritik wurde das schon bemängelt, denn wir „wahr“ kann eine Geschichte sein, die auf über 20 Jahre zurückliegenden Erlebnissen eines Kindes beruhen? Bitteren, bestürzenden, traumatisierenden Erlebnissen, die Zamora erst nach einer Psychotherapie zu Papier bringen konnte. Ich denke, dieser Einwand ist ein wenig müßig. Im Original wird Solito ein „memoir“ genannt. Eine zwischen Autobiografie und Autofiktion changierende Gattungsbezeichnung. Und jeder weiß ja, wie Erinnerungen beim Erzählen und Rekapitulieren immer wieder umgeformt werden. Und deshalb nicht weniger wahr werden. Weiterlesen „Javier Zamora – Solito“
Jhumpa Lahiri – Das Wiedersehen
Jhumpa Lahiri wurde 1967 als Tochter bengalischer Eltern in London geboren und wuchs in Rhode Island auf. Bereits ihr literarisches Debüt, die Kurzgeschichtensammlung Melancholie der Ankunft, wurde ein großer Erfolg und wurde 2000 mit dem Pulitzer Prize ausgezeichnet. Lahiri lebte mit ihrer Familie einige Zeit in Rom und bezeichnet das Italienische als ihre Wahlsprache, in der sie bereits den letzten Roman Wo ich mich finde verfasst hat. Nun hat Jhumpa Lahiri auch die Römischen Geschichten in Das Wiedersehen auf Italienisch geschrieben, die von Julika Brandestini ins Deutsche übersetzt wurden. Weiterlesen „Jhumpa Lahiri – Das Wiedersehen“
Margaret Atwood, Douglas Preston (Hrsg.) – Vierzehn Tage
Die Kanadische Autorin Margaret Atwood und der US-amerikanische Thriller-Autor Douglas Preston haben ein ganz besonderes Buch über eine ganz besondere Zeit herausgegeben – Vierzehn Tage ist ein Gemeinschaftsroman von 36 Autor:innen aus den USA und Kanada über zwei Frühjahrswochen in New York im Jahr 2020. Sehr fern erscheint uns heute diese doch eigentlich noch so nahe liegende Zeit, hinweggefegt durch sich ständig überschlagende Ereignisse: Russlands Angriffskrieg, der 7. Oktober 2023, das Leid in Gaza, der Antisemitismus, der Rechtsruck. Gefühlt begann diese unruhige, beängstigende Zeit im Februar/März 2020 mit der Corona-Pandemie. Weiterlesen „Margaret Atwood, Douglas Preston (Hrsg.) – Vierzehn Tage“
Nora Krug – Im Krieg
K. Nora Krug – Im Krieg
Seit dem 24. Februar kursiert der Begriff „Zeitenwende“. Und ja, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist vieles nicht mehr so, wie es war. Ein Angriffskrieg in Europa schien trotz sich mehrender Anzeichen, trotz der immer autoritäreren Züge des russischen Regimes unter Putin, trotz erstarkendem Nationalismus vor allem in Osteuropa einfach nicht denkbar. Gab es nach den Grauen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs doch ein entschiedenes Nie wieder! Nie wieder Judenhass, nie wieder Faschismus und nie wieder Krieg! Die Europäische Union, die Vereinten Nationen und der Weltsicherheitsrat – die Welt schien ihre Lehren aus dem Tod von geschätzt 60 Millionen Menschen gezogen zu haben. Sie wuchs zusammen. So dachte man zumindest im Westen oder wollte daran glauben, ungeachtet der unzähligen Konflikte weltweit. Weiterlesen „Nora Krug – Im Krieg“
Barbara Kingsolver – Demon Copperhead
Demon Copperhead? Da klingelt natürlich bei jedem Literaturliebhaber etwas. Und Barbara Kingsolver, die für ihren 860 Seiten starken Roman 2023 sowohl den Pulitzer Belletristik als auch den Women`s Prize for Fiction zugesprochen bekam, macht auch gar kein Geheimnis daraus, dass sie den berühmten David Copperfield von Charles Dickens als Folie für Demon Copperhead verwendet hat. Die sozial engagierte, realistisch erzählte Geschichte des Waisenjungen David aus dem Jahr 1850 und dem viktorianischen England in die 1990er und 2000er Jahre und in die abgehängte, als „Hillbilly-Provinz“ verachtete US-amerikanische Gebirgsregion der Appalachen zu transferieren, ist der 1955 geborenen und trotz zahlreicher Veröffentlichungen in Deutschland bisher nahezu unbekannten Kingsolver hervorragend gelungen.
Elizabeth Strout – Am Meer
Es gibt Autor:innen, die mich mit ihren Büchern schon lange Zeit begleiten und die dadurch nicht nur zu Lieblingschriftsteller:innen, sondern auch zu einer Art literarischem Zuhause geworden sind. Richard Ford zählt gewiss dazu mit seinen Frank Bascombe-Romanen und auch Stewart O´Nan mit seiner Familie Maxwell. Und natürlich Elizabeth Strout, die nach meinem Dafürhalten immer noch ein wenig unterschätzt wird, zumindest hier in Deutschland. Sie ist weiblich, und dazu noch eine Weiße von der Ostküste fortgeschrittenen Alters (Jahrgang 1956). Außerdem pflegt sie einen lockeren, leicht zu lesenden Plauderton und erzählt überwiegend von Alltagsdingen. Aber Elizabeth Strout nimmt sich in all ihren Werken, und das ist in ihrem neuesten, Am Meer, nicht anders, die ganz großen Dinge zum Thema. Denn sie schreibt, um mal bei einem ihrer deutschen Titel zu bleiben, vom Leben natürlich. Weiterlesen „Elizabeth Strout – Am Meer“
Elizabeth Graver – Kantika
Der Titel Kantika – in Ladino, der Sprache der sephardischen Juden, das Lied bezeichnend – verrät schon einiges über den neuen Roman der US-amerikanischen Schriftstellerin Elizabeth Graver, deren Roman Der Sommer der Porters (mare, 2016) mich bereits sehr begeistern konnte. Die 1964 in Los Angeles geborene Autorin erzählt darin die nur leicht fiktionalisierte Geschichte ihrer eigenen Familie mütterlicherseits, und davon besonders ihrer 1902 geborenen Großmutter Rebecca Cohen Baruch Levy, die ihre Wurzeln im osmanischen Reich hat. Dorthin flohen Ende des 15. Jahrhundert in Folge der Reconquista viele von der iberischen Halbinsel vertriebene Juden und wurden sesshaft. Weiterlesen „Elizabeth Graver – Kantika“