In einem wilden Waldgebiet in den Adirondeck Mountains nördlich von New York besitzt die wohlhabende Familie Van Laar nicht nur eine prächtige Sommerresidenz, sondern betreibt in dem Naturpark seit Jahrzehnten auch ein Sommerlager für junge Menschen. In der Natur sollen die Kinder und Jugendlichen ihre Überlebensfähigkeiten trainieren, Gemeinschaft erleben und die langen Sommerferien überbrücken. Diese Lageraufenthalte gehören für Generationen von amerikanischen Kindern zum Sommer dazu – mal geliebt, mal gefürchtet und gehasst. Doch was Liz Moore in ihrem neuen spannenden Roman Der Gott des Waldes aus einem solchen Ferienaufenthalt macht, ist wahrlich nervenzerreibend, auch für die Lesenden.
1975 – Barbara, die 13-jährige Tochter der Van Laars, nimmt auf eigenen Wunsch und gegen den Willen der Eltern erstmals auch am Lagersommer teil. Barbara ist ein schwieriger Teenager, kleidet sich entgegen der Mode der 70er punkig, eckt an, verträgt sich besonders mit ihrer Mutter nicht. In der Campleiterin T.J. Hewitt, von den Kindern respektiert und angehimmelt, hat sie schon lange eine schwesterliche Freundin, kennen die beiden sich doch schon lange, da T.J.s Vater zuvor schon in Diensten der Van Laars. In letzter Zeit wurde er ein wenig wunderlich und hat die Leitung des Camps an seine Tochter übertragen. Auch Barbaras Bettnachbarin Tracy wird sehr bald zu einer guten Freundin. Doch eines Morgens ist Barbaras Bett leer und das Mädchen spurlos verschwunden. Eine fieberhafte Suche beginnt.
Wechselnde Perspektiven und Zeitebenen
Die Betreuerin Louise und ihre Assistentin Annabel verlassen hin und wieder nachts ihre Betten, um sich auch ein wenig Vergnügen zu gönnen. In dieser Nacht waren beide unterwegs und sagen nicht die ganze Wahrheit. Aber auch Tracy und T.J. scheinen etwas zu verschweigen. Und die ganze Familie Van Laar benimmt sich merkwürdig. Vor vierzehn Jahren verschwand bereits der fünfjährige Sohn Bear aus dem Sommercamp und tauchte nie wieder auf. Auch damals gab es viele Fragen und Unstimmigkeiten. Ein Dorfbewohner starb an einem Herzanfall. Danach wurde er verdächtigt. Und was hat der unlängst aus der Haft geflohene „Schlitzer“, der sich Gerüchten nach in der Nähe aufhält, mit der Sache zu tun? Mit der jungen Ermittlerin Judyta, schaltet sich auch die Polizei ein.
In ständig wechselnden Perspektiven und auf verschiedenen Zeitebenen von 1950 bis 1975 beobachten wir das Geschehen, alle Protagonist:innen haben ein etwas anderes Wissen, das erst langsam enthüllt wird. Mit vielen gelungenen Cliffhangern hält Liz Moore die Leser:innen von Der Gott des Waldes über die nicht unbedeutende Lesestrecke bei der Stange. Es geht ihr dabei nicht nur um die Vermisstenfälle, sondern auch um ungute Familiendynamiken, Lieblosigkeit, Misogynie, soziale Ungleichheiten und Coming of age. Das ist sehr gut konstruiert und geschrieben. Und auch wenn das Ende mich nicht völlig überrascht hat und gern noch etwas offener hätte sein dürfen, schließt es die fast 600 Seiten zufriedenstellend ab. Ein Krimi, der weit mehr als nur das ist, oder aber genau das ist, was einen guten Krimi ausmacht: ein scharfes, genaues Gesellschaftsbild.
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Liz Moore – Der Gott des Waldes
Aus dem Englischen von Cornelius Hartz.
C.H.Beck Februar 2025, 590 Seiten, Hardcover, € 26,00