Ulrike Draesner – zu lieben

Kann man zu lieben lernen? Was bedeutet es überhaupt, zu lieben – das beleuchtet die Autorin Ulrike Draesner anhand der Adoption eines Kindes, ihres Kindes. Nach mehreren Fehlgeburten und unzähligen Versuchen, schwanger zu werden sind die Ich-Erzählerin, die durchaus mit der Autorin gleichgesetzt werden kann, und ihr Mann Hunter schon jenseits der Vierzig. Zu alt für das deutsche Adoptionssystem. Für solche Fälle gibt es Vereine, die Auslandsadoptionen vermitteln. Die Wahl fällt auf Sri Lanka und die Zeit des Wartens und der bürokratische Hindernisse beginnt. Weiterlesen „Ulrike Draesner – zu lieben“

Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?

Hin und wieder kommt es vor – (leider) nicht sehr oft -, dass ich Bücher ohne größere Erwartungen beginne, und dass mich diese dann völlig vom Hocker hauen. Das ging mir gerade so mit dem Deutscher Buchpreis-Gewinnertitel von Martina Hefter Hey guten Morgen, wie geht es dir? Mich haben der Klappentext und die Buchwerbung zunächst nicht sonderlich angesprochen.

Love-Scammer – also Männer, hauptsächlich aus Entwicklungs- oder Schwellenländern, die online Beziehungen zu (meist älteren) Frauen anknüpfen und diese dann irgendwann finanziell gnadenlos ausbeuten? Eine mittelalte Frau, die ihrerseits diesen jungen Männern Lügen auftischt, während nebenan ihr schwerkranker Mann im Pflegebett liegt? Eine „Dreiecksgeschichte ganz neuer Art“, „eine Frau zwischen zwei Männern“? Tatsächlich betonen fast alle der (fast) ausnahmslos begeisterten Rezensionen eines dieser Themen: Lovescamming, pflegende Angehörige oder Insomnie. Weiterlesen „Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?“

Anne Tyler – Drei Tage im Juni

Wenn ich richtig gezählt habe ist Drei Tage im Juni bereits der 25. Roman von Anne Tyler. In Deutschland werden die Werke der 1941 geborenen US-Amerikanerin oft ein wenig geringgeschätzt und allzu eifrig in die Unterhaltungsschublade gesteckt. Im englischsprachigen Raum, wo die Grenze zwischen E- und U-Literatur nicht ganz so eifersüchtig bewacht wird, hat Anne Tyler 1989 für ihren Roman Atemübungen den Pulitzer Prize erhalten und war 2015 mit Der leuchtend blaue Faden für den Booker Prize nominiert. Für mich ist sie mit ihren lebensklugen, warmherzigen und heiteren Romanen eine Lieblingsautorin, und das seit Jahrzehnten. Weiterlesen „Anne Tyler – Drei Tage im Juni“

Emilienne Malfatto – Die Schlangen werden dich holen

Am 5. Januar 2019 wird die 62-jährige Maritza Queiroz Leiva auf der Finca El Diviso im Dschungel der kolumbianischen Sierra Nevada, unweit des karibischen Meers, erschossen. Die Hintergründe der Tat bleiben im Dunkeln und werden von den öffentlichen Stellen nicht näher untersucht. In Kolumbien werden trotz Friedensabkommen der Regierungen mit den verschiedenen Guerillagruppen, wie beispielsweise 2016 mit der FARC, nach wie vor Menschen, die den Mächtigen im Weg stehen – seien es politische Gegner, soziale oder Klimaaktivist:innen – bedroht und ermordet. Nach 50 Jahren Krieg und geschätzt bis zu einer halben Million Todesopfern, zählte man auch 2019 noch 250 Morde, 2023 lag die Zahl bei 188. Ganz gleich, ob sie sich der Drogenmafia, Kaffeebaronen, Tourismusentwicklern oder dem Bergbau entgegenstellen, engagierte Bürger leben gefährlich. Die französische Journalistin, Fotografin und Autorin Emilienne Malfatto hat den Fall Maritza Queiroz Leiva untersucht und darüber die literarische Reportage Die Schlangen werden dich holen verfasst. Weiterlesen „Emilienne Malfatto – Die Schlangen werden dich holen“

Rita Bullwinkel – Schlaglicht

Es gibt weniges, das mich weniger interessiert als der Boxsport. Überhaupt kann ich mich für Sportthemen oder Sportromane selten begeistern. Wenn es einem Roman also gelingt, mich über mehr als 200 Seiten zu fesseln, obwohl ich keinerlei Interesse an seinem Hauptsujet besitze, dann spricht das sehr für dessen Qualität. Mir ist das tatsächlich vor längerer Zeit schon einmal passiert. Da ging es um Motorsport, tatsächlich etwas das ich noch abseitiger finde als Boxen. Der Roman hieß „Boxenstopp“ und war von Christiane Neudecker. Sie ist die Übersetzerin des hier zu besprechenden Romans Schlaglicht von Rita Bullwinkel. Zufall? Weiterlesen „Rita Bullwinkel – Schlaglicht“

Saskia Hennig von Lange – Heim

Welche Assoziationen löst der Titel des neuen Romans von Saskia Hennig von Lange – Heim – aus? Bei mir war es tatsächlich zunächst ausschließlich die der Geborgenheit, des Heimkommens, etwas Warmes. Aber natürlich kann ein Heim auch etwas Kaltes, Erschreckendes, Bedrohliches sein. Lange Zeit galt das beispielsweise für Kinderheime, Kindererholungsheime, Heime für Menschen mit geistigen Einschränkungen, auch Altenheime. Die Komplexität des Titels weist bereits auf die Vielschichtigkeit dieses sehr gelungenen Romans hin. Weiterlesen „Saskia Hennig von Lange – Heim“

Doris Wirth – Findet mich

„Ich dachte immer, dass ich aus der normalsten Familie der Welt komme.“ So beginnt die Schweizerin Doris Wirth ihren Debütroman Findet mich, der es 2024 spontan auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft hat. Wer nun aber eine Ich-Erzählung über eine mehr oder weniger dysfunktionale Familie erwartet, sieht sich zum ersten Mal getäuscht und wird im Verlauf des Romans noch so manches Mal nicht nur stilistisch überrascht. Weiterlesen „Doris Wirth – Findet mich“

Ulla Lenze – Das Wohlbefinden

Gut 50 Kilometer südwestlich von Berlin wurden in dem kleinen brandenburgischen Städtchen Beelitz ab 1898 von der Landesversicherungsanstalt auf über 140 ha Gelände großzügig dimensionierte Heilstätten erbaut. Ulla Lenze lässt ihren aktuellen Roman Das Wohlbefinden, der für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 nominiert war, genau hier spielen. Weiterlesen „Ulla Lenze – Das Wohlbefinden“

Nora Bossong – Reichskanzlerplatz

Wer war Magda Goebbels? Wer war diese Frau, die ihre Namen so oft wechselte wir ihre Identitäten, mal Magda Behrend, Friedländer, Ritschel, Quandt hieß und schließlich als Magda Goebbels so etwas wie die First Lady des Dritten Reichs darstellte. Die als uneheliche Tochter des Dienstmädchens Auguste Behrend mit gerade einmal neunzehn Jahren die Frau des reichen Industriellen Günther Quandt und Mutter seiner beiden Söhne wurde, der ältere von ihnen war gerade einmal sieben Jahre älter als seine Stiefmutter. Wie entwickelte sich aus der lebenslustigen, kulturell interessierten, ehrgeizigen, um Aufstieg bemühten jungen Frau, die ernsthaft darüber nachdachte, mit ihrer Jugendliebe Viktor Chaim Arlosoroff nach Palästina auszuwandern, einen jüdischen Stiefvater hatte und sich selbst als unpolitisch bezeichnete, die fanatische Hitleranhängerin, die kurz vor Kriegsende ihre sechs Kinder und dann sich selbst umbrachte? Nora Bossong geht dieser Frage in ihrem Roman Reichskanzlerplatz nach. Weiterlesen „Nora Bossong – Reichskanzlerplatz“

Terézia Mora – Muna oder Die Hälfte des Lebens

Die Büchnerpreisträgerin Terézia Mora war im Sommer mit ihrem aktuellen Roman Muna oder Die Hälfte des Lebens zu Gast beim diesjährigen Literaricum Lech, das sich dem Klassiker Lolita von Vladimir Nabokov widmete. Nach Parallelen zwischen beiden Romanen zu suchen, liegt deshalb auf der Hand. Auch darüber konnte ich mit Terézia Mora vor Ort sprechen. Weiterlesen „Terézia Mora – Muna oder Die Hälfte des Lebens“