Doris Wirth – Findet mich

„Ich dachte immer, dass ich aus der normalsten Familie der Welt komme.“ So beginnt die Schweizerin Doris Wirth ihren Debütroman Findet mich, der es 2024 spontan auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft hat. Wer nun aber eine Ich-Erzählung über eine mehr oder weniger dysfunktionale Familie erwartet, sieht sich zum ersten Mal getäuscht und wird im Verlauf des Romans noch so manches Mal nicht nur stilistisch überrascht. Weiterlesen „Doris Wirth – Findet mich“

Tomer Dotan-Dreyfus – Birobidschan

Birobidschan ist ein realer und ein utopischer Platz. Die weit in Fernost, fast an der Grenze zu China gelegene autonome russische Oblast ist tatsächlich weltweit der einzige Ort, der Jiddisch als (zweite) Amtssprache hat. In den 1930er Jahren wurden dort Juden aus der ganzen Sowjetunion angesiedelt. Was aber als ein großzügiger Akt Stalins verkauft wurde, diente vor allem zur Urbanmachung dieses höchst unwirtlichen, hauptsächlich aus Taiga und Sumpf bestehenden Gebietes. Und der Vertreibung von Juden aus den urbanen Zentren. Und nach 1948 zeigte sich das deutlich antisemitische Gesicht der damaligen Sowjetunion in den stalinistischen Judenverfolgungen. Da hatten bereits viele Juden Birobidschan bereits wieder verlassen. Und auch heute leben – trotz der Amtssprache – kaum noch welche dort. Der 1987 in Tel Aviv geborene und schon mehr als 10 Jahre in Berlin lebende Tomer Dotan-Dreyfus präsentiert in seinem für den Deutschen Buchpreis 2023 nominierten Roman aber noch ein anderes, ein utopisches, ein jüdisch-sozialistisches Birobidschan, weit entfernt von der Realität. Weiterlesen „Tomer Dotan-Dreyfus – Birobidschan“

Sepp Mall – Ein Hund kam in die Küche

„Die große Option“ – so wurde vollmundig die 1939, nach dem „Anschluss“ Österreichs, von Adolf Hitler und Benito Mussolini getroffene Vereinbarung zu Südtirol genannt. Die Bevölkerung des nach Ende des Ersten Weltkriegs Italien zugeschlagenen ehemaligen österreichisch-ungarischen Gebiets südlich des Brennerpasses sollte „frei“ wählen können, ob sie sich der schon seit 1922 von den regierenden Faschisten betriebenen Italianisierung unterordnen wollen oder aber die „Heim ins Reich“-Option wählen und umgesiedelt werden. Von den etwa 250.000 „volksdeutschen“ Südtirolern, was 80 % der Bevölkerung ausmachte, wählte 85% die letztere Möglichkeit. Bis zur Besetzung Norditaliens durch die Deutschen im September 1943 wanderten 75.000 Südtiroler ins Deutsche Reich aus. So auch die Familie von der Sepp Mall in seinem für den deutschen Buchpreis 2023 nominierten Roman Ein Hund kam in die Küche erzählt. Weiterlesen „Sepp Mall – Ein Hund kam in die Küche“

Sasha Marianna Salzmann – Im Menschen muss alles herrlich sein

2021 stand Sasha Marianna Salzmann mit ihrem grandiosen Generationenroman Im Menschen muss alles herrlich sein auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Heute ist er aktueller denn je, denn der erste Teil davon ist bei in der Ostukraine beheimateten Russen angesiedelt. Vor allem die Frauen stehen hier im Mittelpunkt. Weiterlesen „Sasha Marianna Salzmann – Im Menschen muss alles herrlich sein“

Henning Ahrens – Mitgift

Mehr als zweihundert Jahre und sieben Generationen einer der eigenen sehr ähnlichen Familie nimmt Henning Ahrens in seinem Roman Mitgift in den Blick. Acht, zählt man den Ich-Erzähler, hinter dem sich nur sehr offensichtlich der Autor verbirgt, mit – aber der war ja noch nicht geboren, als das Buch 1962 endet.

Zweihundert Jahre Familiengeschichte vom niedersächsischen Land, aus Klein-Ilsede bei Peine, zweihundert Jahre landwirtschaftliche Tradition. Der Hof wird an den ältesten Sohn vererbt, das ist Gesetz, sozusagen die Mitgift. Dass außer diesen materiellen Dingen auch ganz anderes von Generation zu Generation weitergegeben werden, ist Thema dieses für die Longlist zum Deutschen Buchpreis nominierten Romans. Weiterlesen „Henning Ahrens – Mitgift“

Gert Loschütz – Besichtigung eines Unglücks

Seit fünfzig Jahren schreibt Gert Loschütz Hörspiele, Theaterstücke, Erzählungen und immer wieder auch Romane. Mit zwei davon stand er auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis. Dunkle Gesellschaft. Roman in zehn Regennächten schaffte es 2005 auf die Shortlist, Ein schönes Paar 2018 immerhin auf die Longlist. Auch 2021 hat es Gert Loschütz mit Besichtigung eines Unglücks unter die zwanzig Titel geschafft, die ins Rennen um den „Roman des Jahres“ gingen. Weiterlesen „Gert Loschütz – Besichtigung eines Unglücks“

Mithu Sanyal – Identitti

Race, class, gender – Begriffe, die in der interessierten Öffentlichkeit immer mehr an Bedeutung gewinnen und heftig und kontrovers diskutiert werden. Auch immer zahlreichere Buchveröffentlichungen gibt es zu den Themen, sowohl im Sachbuchsegment als auch im literarischen Bereich. Zu Recht wurde im Frühjahr kritisiert, dass sich keines davon unter den für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten Bücher befand, geschweige denn, dass eine/r der Autor:innen einen anderen Hintergrund hat als: Deutsch, Weiß, Cis und Hetero. Besonders das Fehlen von zwei Romanen, die im Frühjahr für viel Aufsehen sorgten und größtenteils positive bis begeisterte Kritiken und viel Publikumszuspruch erhielten, wurde beklagt: Sharon Dodua Otoos Adas Raum und Identitti von Mithu Sanyal. Zumindest letzteres befindet sich nun auf der deutlich diverseren Longlist zum Deutschen Buchpreis 2021. Zu meiner großen Freude ist Identitti zudem mein Patenbuch, das ich (hoffentlich) bis zur Bekanntgabe der Gewinner:in am 18. Oktober als offizielle Buchpreisbloggerin medial begleiten darf. Weiterlesen „Mithu Sanyal – Identitti“

Deutscher Buchpreis 2021 – Die Longlist

Deutscher Buchpreis 2021 – Die Longlist

Wer mir schon eine Weile folgt, weiß, dass ich den Deutschen Buchpreis schon sehr lange verfolge, viele Titel der jeweiligen Long- und Shortlists gelesen und teilweise auch besprochen habe. Ich freue mich über das Interesse an Literatur, in diesem Fall deutschsprachiger, das durch diesen Preis jedes Jahr angefacht wird, gerade auch was die Medienaufmerksamkeit betrifft. Und wenn natürlich auch nie der eine “beste” Roman erwählt werden kann, da es diesen bei der Divergenz der Lesevorlieben und -erwartungen gar nicht geben kann, habe ich persönlich doch in den letzten Jahren durch den Preis einige Bücher entdeckt, die mir sonst vielleicht verborgen geblieben wären. Umso mehr freue ich mich, dass ich in diesem Jahr als eine von zwanzig offiziellen Buchpreisblogger:innen dabei sein darf und ein zugelostes Patenbuch in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit rücken wird. Beiträge dazu werden hier in den nächsten Wochen bis zur Preisverleihung am 18. Oktober, bei der ich auch dabei sein werde, erscheinen. Weiterlesen „Deutscher Buchpreis 2021 – Die Longlist“

Deutscher Buchpreis 2005-2020 – Ein Rückblick

Manche von euch haben es vielleicht schon gesehen: Ich darf dieses Jahr als eine von 20 offiziellen Buchpreisblogger:innen den Preis begleiten und nehme das zum Anlass: hier ein kleiner Rückblick auf 16 Jahre Deutscher Buchpreis und die Gewinner der Jahre 2005-2020. Weiterlesen „Deutscher Buchpreis 2005-2020 – Ein Rückblick“

Deniz Ohde – Streulicht

Streulicht entsteht, wenn das Licht an sehr kleinen, in der Luft schwebenden Teilchen, fest oder flüssig, gebrochen wird, diffus wird. Die Luft nahe des Industrieparks, wo die Ich-Erzählerin von Deniz Ohde in ihrem Debütroman Streulicht zuhause ist, ist oft voll mit diesen kleinen Partikeln, Rauch, angereichert mit Säure. Bei Kälte sinkt der ausgestoßene Wasserdampf als Industrieschnee zu Boden. Im Arbeitervorort, der zwar nie direkt benannt wird, leicht aber als Sindlingen bei Frankfurt am Main identifiziert werden kann, wird aber nicht nur das Licht gebrochen. Auch so manche Kindheit und Bildungsgeschichte kommt hier nicht ohne Brüche aus. Weiterlesen „Deniz Ohde – Streulicht“