Nach Februar 33. Der Winter der Literatur beschäftigt sich Uwe Wittstock in seinem neuen erzählenden Sachbuch Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur mit einem weiteren Krisenjahr. Nachdem er in der typischen mosaikartigen Erzählweise die bedrohlichen Ereignisse unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme anhand verschiedener Autoren wie Joseph Roth, Alfred Döblin und Thomas Mann beleuchtet hat, verpackt er nun die tragischen Ereignisse nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht im Juni 1940 wieder in viele kleine Episoden, wieder ganz nah an den Personen, chronologisch fortschreitend, unglaublich dicht, detailliert und spannend. Quellen waren wieder vor allem Selbstzeugnisse von Schriftsteller:innen und anderen Kulturschaffenden, wie Briefe, Tagebücher, Aufzeichnungen und Erinnerungen. Weiterlesen „Uwe Wittstock – Marseille 1940“
Schlagwort: Deutschland
Dirk Kurbjuweit – Haarmann
Die Geschichte, die Dirk Kurbjuweit in seinem Kriminalroman „Haarmann“ erzählt, ist eine ungeheuerliche und noch dazu eine wahre. Kein Wunder, dass sie seit fast einhundert Jahren eine riesige (negative) Popularität besitzt und in unzähligen Adaptionen in Theater, Kino, bildender Kunst, Musik und Literatur aufgenommen wurde. Fritz Langs berühmter Film „M-Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 ist an sie angelehnt, ebenso „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ von 1973. 1995 entstand „Der Totmacher“ von Romuald Karmakar mit Götz George in der Rolle des Serienmörders Fritz Haarmann. Der österreichische Maler und Bildhauer Alfred Hrdlicka schuf einen Haarmann-Zyklus und einen Haarmann-Fries. Das Lied „Warte, warte nur ein Weilchen“ wurde ein echter Gassenhauer und existiert auch in einer etwas makabren beschwingten Jazz-Version von Hawe-Schneider. Weiterlesen „Dirk Kurbjuweit – Haarmann“
Franziska Hauser – Die Glasschwestern
Drei Schwestern, die völlig verschieden sind. Zwei davon sind Zwillinge, die dritte deutlich jünger und besitzt – im Verlauf des Buches deutet sich so etwas an – vielleicht einen anderen Vater. Ein Familiengeheimnis und dazu noch ein wenig dunkle DDR-Geschichte – leider geht das Konzept von „Die Glasschwestern“ von Franziska Hauser für mich nicht auf. Weiterlesen „Franziska Hauser – Die Glasschwestern“
Alexandra Riedel – Sonne, Mond, Zinn und Jacqueline Thör – Nenn mich einfach Igel
Zwei schmale Debütromane von deutschen Autorinnen. Die 1980 geborene Alexandra Riedel schreibt über entgangene Elternliebe und Geborgenheit in „Sonne, Mond, Zinn“. Jacqeline Thör wählt als Protagonist einen jungen Hermaphrodit. Weiterlesen „Alexandra Riedel – Sonne, Mond, Zinn und Jacqueline Thör – Nenn mich einfach Igel“
Jasmin Schreiber – Marianengraben
Paula trauert. Paula hat ihren kleinen Bruder verloren. Tim war zehn Jahre alt und ein angehender Meeresforscher, Tiefseeexperte und Wissenschaftler. Nichts liebte er mehr als Fische, Kraken und das Meer. Ausgerechnet in letzterem sollte er dann in einem Sommerurlaub den Tod finden. Paula war nicht mitgereist, ein Rockkonzert war wichtiger. Zu ihrer bodenlosen Trauer um den innig geliebten, viel jüngeren Bruder kommen deshalb Vorwürfe und Schuldgefühle. Hätte sie ihren Bruder vor dem Ertrinken bewahren können? War Tims letzter Gedanke etwa: „Paula, rette mich!“ Jasmin Schreiber lässt in ihrem Debütroman „Marianengraben“ die junge Frau ganz allmählich aus ihrem seelischen Abgrund auftauchen. Kapitel für Kapitel, aus 1100 Metern Tiefe bis an die Oberfläche. Weiterlesen „Jasmin Schreiber – Marianengraben“
Nadine Schneider – Drei Kilometer
Nadine Schneider gewinnt mit „Drei Kilometer“ den Bloggerpreis für Literatur „Das Debüt“ 2019. Und das völlig zu Recht. In ihrem schmalen Roman erzählt sie leise, poetisch und völlig unsentimental eine berührende Geschichte. Weiterlesen „Nadine Schneider – Drei Kilometer“
Norbert Scheuer – Winterbienen
Winterbienen stammen aus der letzten im Herbst aufgezogenen Brut. Ihre Aufgabe besteht darin zu überwintern und im Frühjahr erneut mit der Brutpflege zu beginnen. Dafür futtern sie sich im Herbst einen ordentlichen Eiweißvorrat an. Im Vergleich mit ihren Sommerkolleginnen leben sie deutlich länger, nämlich neun bis zehn Monate anstatt nur 45 Tage. In diesen Monaten kontrollieren sie die Temperatur im Bienenstock und produzieren gegebenenfalls Wärme durch starke Muskelbewegungen. So schützen sie Königin und Brut vor dem Auskühlen. Nach getaner Arbeit werden sie im Frühjahr aus dem Volk ausgestoßen und/oder getötet. Was zählt, das macht Norbert Scheuer in seinem großartigen Roman „Winterbienen“ deutlich, ist allein die Aufgabe, die die einzelne Biene für ihr Volk erfüllt. Weiterlesen „Norbert Scheuer – Winterbienen“
Miku Sophie Kühmel – Kintsugi
2019 war ein Erfolgsjahr für die Debütantin Miku Sophie Kühmel: für ihren Roman „Kintsugi“ erhielt sie den Förderpreis der Jürgen Ponto Stiftung, den Aspekte Literaturpreis und einen Platz auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis. Was machte das Buch trotz recht verhaltener Kritiken im Literaturfeuilleton so attraktiv für die Juroren? Weiterlesen „Miku Sophie Kühmel – Kintsugi“
Katerina Poladjan – Hier sind Löwen
Das Szenario ist nicht neu und bereits unzählige Male Ausgangspunkt und/oder Sujet von Romanen gewesen: eine nicht mehr ganz junge Frau, so um die Dreißig (wahlweise auch ein junger Mann), ist im Leben noch nicht so ganz angekommen, beruflich leicht prekär, aber gut ausgebildet, Beziehungsstatus noch nicht wirklich geklärt, genauso offen wie die Zukunftspläne, kommt an einen Punkt, der mittlerweile sogar einen Namen besitzt, die „Quarterlife-Crisis. Oft stecken irgendwelche familiären, gern verdrängten und nicht gleich offensichtlichen Probleme hinter dem Dilemma. Und oft dient eine Reise zu den familiären Wurzeln als Anstoß, sich darüber Klarheit zu verschaffen. Das ist auch bei der Protagonistin von Katerina Poladjan in ihrem 2019 für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman „Hier sind Löwen“ so.
Das Besondere dieses Buchs liegt in der Familiengeschichte und in der Profession der Protagonistin. Weiterlesen „Katerina Poladjan – Hier sind Löwen“
Deniz Utlu – Gegen Morgen
Besitzt das Leben einen abnehmenden Grenznutzen? Das ist eine der Fragen, die sich der Protagonist in „Gegen Morgen“, dem neuen Roman von Deniz Utlu, stellt.
„Existiert ein Punkt im Leben, an dem ein betrachtetes Individuum das Leben satt hat, weil zusätzliche Lebenseinheiten kaum mehr einen zusätzlichen Nutzen bringen?“
Eigentlich soll Kara, 32, studierter Volkswirt in Berlin, für eine Versicherungsgesellschaft die „erwartbaren Kosten eines Lebens“ berechnen. Gedacht, um Versicherungssummen besser kalkulieren zu können, trifft diese Aufgabe Kara gerade an einem heiklen Punkt seines eigenen Lebens. Er scheint in einer existentiellen Sinnkrise zu stecken, viele wichtige Fragen, die sich in diesem Alter verstärkt stellen, die nach der Familienplanung, die nach der beruflichen Zukunft oder auch nur die des zukünftigen Wohnorts, scheinen für Kara in der Schwebe zu hängen. Weiterlesen „Deniz Utlu – Gegen Morgen“