Der 85-jährige und mittlerweile schwer kranke Hark Bohm ist vor allem als Regisseur und Filmproduzent (zum Beispiel von Nordsee ist Mordsee oder Yasemin) bekannt, trat aber auch als Schauspieler auf und verfasste zahlreiche Drehbücher. Die nun erschienene Kindheitserinnerung Amrum lag auch zunächst als Drehbuch vor (und wird aktuell von Fatih Akin mit Diane Kruger verfilmt; voraussichtlicher Filmstart September 2025), zusammen mit dem Autor Philipp Winkler hat Hark Bohm daraus nun auch einen Roman gemacht. Meine vorurteilsbeladenen Bedenken wegen Doppelautorenschaft (die hier wegen des angegriffenen Gesundheitszustand Bohms nötig wurde) und dem Gedankenimpuls „schon wieder ein Schauspieler/Regisseur etc. der einen Roman schreiben will“, wurden gleich zu Anfang zerstreut. Amrum ist ein wunderbar leises, etwas wehmütiges, warmes Buch über eine Kindheit auf Amrum, die sicher vieles gemeinsam hat mit derjenigen des Autors. Weiterlesen „Hark Bohm Philipp Winkler – Amrum“
Schlagwort: Deutschsprachige Literatur
Doris Wirth – Findet mich
„Ich dachte immer, dass ich aus der normalsten Familie der Welt komme.“ So beginnt die Schweizerin Doris Wirth ihren Debütroman Findet mich, der es 2024 spontan auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis geschafft hat. Wer nun aber eine Ich-Erzählung über eine mehr oder weniger dysfunktionale Familie erwartet, sieht sich zum ersten Mal getäuscht und wird im Verlauf des Romans noch so manches Mal nicht nur stilistisch überrascht. Weiterlesen „Doris Wirth – Findet mich“
Markus Thielemann – Von Norden rollt ein Donner
Von Norden rollt ein Donner betitelt der Autor Markus Thielemann seinen zweiten Roman. Der Titel ist vortrefflich gewählt, spiegelt er nicht nur das Unheimliche, Bedrohliche, das der Text ausstrahlt, sondern verweist in vielerlei Hinsicht auch auf den Inhalt. Schauplatz und heimliche Protagonistin ist die Lüneburger Heide, jene Landschaft im Norden Deutschlands, die seit dem späten 19. Jahrhundert und ganz besonders von den Nationalsozialisten zum Mythos der urdeutschen Landschaft verklärt wurde. Ganz besonders der durch rassisch-völkische und misogyne Ansichten aufgefallene und noch heute reichlich verharmlosend als „Heidedichter“ verehrte Hermann Löns hat zur Idealisierung dieser kargen, einst sehr armen Gegend beigetragen. Heute ist sie als rustikale, vermeintliche Idylle ein vielbesuchtes, nachhaltiges Touristikziel. Weiterlesen „Markus Thielemann – Von Norden rollt ein Donner“
Ulla Lenze – Das Wohlbefinden
Gut 50 Kilometer südwestlich von Berlin wurden in dem kleinen brandenburgischen Städtchen Beelitz ab 1898 von der Landesversicherungsanstalt auf über 140 ha Gelände großzügig dimensionierte Heilstätten erbaut. Ulla Lenze lässt ihren aktuellen Roman Das Wohlbefinden, der für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 nominiert war, genau hier spielen. Weiterlesen „Ulla Lenze – Das Wohlbefinden“
Nora Bossong – Reichskanzlerplatz
Wer war Magda Goebbels? Wer war diese Frau, die ihre Namen so oft wechselte wir ihre Identitäten, mal Magda Behrend, Friedländer, Ritschel, Quandt hieß und schließlich als Magda Goebbels so etwas wie die First Lady des Dritten Reichs darstellte. Die als uneheliche Tochter des Dienstmädchens Auguste Behrend mit gerade einmal neunzehn Jahren die Frau des reichen Industriellen Günther Quandt und Mutter seiner beiden Söhne wurde, der ältere von ihnen war gerade einmal sieben Jahre älter als seine Stiefmutter. Wie entwickelte sich aus der lebenslustigen, kulturell interessierten, ehrgeizigen, um Aufstieg bemühten jungen Frau, die ernsthaft darüber nachdachte, mit ihrer Jugendliebe Viktor Chaim Arlosoroff nach Palästina auszuwandern, einen jüdischen Stiefvater hatte und sich selbst als unpolitisch bezeichnete, die fanatische Hitleranhängerin, die kurz vor Kriegsende ihre sechs Kinder und dann sich selbst umbrachte? Nora Bossong geht dieser Frage in ihrem Roman Reichskanzlerplatz nach. Weiterlesen „Nora Bossong – Reichskanzlerplatz“
Mia Raben – Unter Dojczen
„Unter Dojczen“ – mit polnischer Lautschrift betitelt die 1977 geborene Journalistin Mia Raben ihren Debütroman. Unter Deutschen befindet sich die 50jährige Polin Jola schon seit vielen Jahren. Sie ist eine der vielen Pflegekräfte, ohne die die Betreuung und Pflege alter Menschen hierzulande gar nicht mehr denkbar ist. Oft ihre eigenen Familien zurücklassend, auf langen Busfahrten Richtung Osten und Westen pendelnd, häufig – wenn auch zum Glück nicht mehr ganz so oft wie in der Anfangszeit der Neunziger Jahre – unversichert, gnadenlos unterbezahlt, windigen Vermittlungsagenturen ausgeliefert und mit ausbeuterischen Verträgen in deutschen Haushalten beschäftigt, leben geschätzt bis zu 300.000 vorwiegend Frauen aus Ost- und Südosteuropa hierzulande, nicht wenige in der rechtlichen Grauzone der 24 Stunden-Pflege. Menschen, ohne die die Gesellschaft kaum mehr denkbar wäre, die aber viel zu oft übersehen werden. Und denen folgerichtig auch in der Literatur wenig Raum gegeben wird. Weiterlesen „Mia Raben – Unter Dojczen“
Terézia Mora – Muna oder Die Hälfte des Lebens
Die Büchnerpreisträgerin Terézia Mora war im Sommer mit ihrem aktuellen Roman Muna oder Die Hälfte des Lebens zu Gast beim diesjährigen Literaricum Lech, das sich dem Klassiker Lolita von Vladimir Nabokov widmete. Nach Parallelen zwischen beiden Romanen zu suchen, liegt deshalb auf der Hand. Auch darüber konnte ich mit Terézia Mora vor Ort sprechen. Weiterlesen „Terézia Mora – Muna oder Die Hälfte des Lebens“
Verena Boos – Die Taucherin
Bereits in ihrem Debütroman Blutorangen (2015) waren Spanien, Valencia und die dunklen Jahre der franquistischen Diktatur ihre Themen. Nach einem Ausflug in den Schwarzwald mit dem Roman Kirchberg, kehrt Verena Boos in ihrem neuen Buch Die Taucherin wieder zu diesen zurück. Die geborene Rottweilerin lässt aber auch hier ihre Baden-Württembergische Heimat nicht ganz außen vor. So stammt die Hauptprotagonistin Amalia, durch deren Sicht wir die Geschichte erleben, von dort und befindet sich zu Beginn beim Klettern im Schwarzwald. Eine Rezension.
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Jessica Lind – Kleine Monster
Das Thema Mutterschaft stand schon im Debütroman im Mittelpunkt – eine einsame Waldhütte war damals Schauplatz, um die Träume und Ängste, Überforderungen und die Selbstentfremdung einer Mutter in ein leicht surreales, märchenhaftes Setting zu verlegen und viele unterschiedliche Herangehensweisen und Interpretationen des Textes zuzulassen. Nach Mama hat Jessica Lind nun erneut eine Mutter (und am Rande, wie im Debüt, auch einen Vater) zur Hauptfigur ihres neuen Romans Kleine Monster gemacht. Weiterlesen „Jessica Lind – Kleine Monster“
Zora del Buono – Seinetwegen
Seinetwegen von der Architektin, Kulturredakteurin und Autorin Zora del Buono ist das Buch einer Recherche, einer Spurensuche nach dem im August 1963 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Vater Manfredi del Buono. Der aus Süditalien stammende Manfredi (del Buono hat in ihrem letzten Buch Die Marschallin über dessen slowenische Mutter geschrieben), ein 33jähriger Röntgen-Oberarzt am Kantonsspital Zürich war mit seinem Schwager in dessen VW-Käfer unterwegs, als in einer unübersichtlichen Rechtskurve ein überholender Chevrolet frontal in sie hineinkrachte. Schwager und Unfallverursacher überlebten leichtverletzt, Zora del Buonos Vater erlitt einen Genickbruch und starb. Weiterlesen „Zora del Buono – Seinetwegen“