Eine 1980 geborene Finnin schreibt einen Roman über den Untergang der DDR – das mag zunächst verwundern. Meri Valkama lebte allerdings, wie die Protagonistin in ihrem Debütroman Deine Margot, als Kind einige Jahre in Ost-Berlin, wo ihr Vater – auch das eine Übereinstimmung – als Korrespondent einer linken finnischen Zeitung tätig war. Weiterlesen „Meri Valkama – Deine Margot“
Schlagwort: Finnische Literatur
Johan Bargum – Nachsommer
Die Entdeckung des finnischen, schwedisch schreibenden Schriftstellers Johan Bargum für den deutschen Buchmarkt verdanken wir vermutlich der Frankfurter Buchmesse, dessen Gastland Finnland 2014 war, der Roman „Septembernovelle“ erschien damals, ein subtil-raffiniertes Drama auf hoher See, das folgerichtig im Hamburger Mare Verlag eine Heimat fand. Nun erschien von Johan Bargum ein genauso schmales Werk, Nachsommer, das wieder im Spätsommer angesiedelt ist (genauso lautet sein Originaltitel: „Sensommar“; warum im Deutschen der sehr nach Adalbert Stifter klingende „Nachsommer“ daraus wurde ist eines der Rätsel der Titelgebung) und das aufgrund seiner Meeresnähe, hier ein im finnischen Schärengarten gelegenes Sommerhaus, dankenswerterweise wieder bei Mare erscheint. Das schwedische Original stammt bereits aus dem Jahr 1993.
Nur 142 Seiten benötigt Johan Bargum für seine psychologisch ausgesprochen fein beobachtete Familienstudie. Weiterlesen „Johan Bargum – Nachsommer“
Olli Jalonen – Von Männern und Menschen
Olli Jalonen – Von Männern und Menschen
Es ist der Sommer 1972. Doch weder Hippies, sexuelle Revolution, Frauenbewegung noch Hausbesetzerszene, nicht die zaghafte Annäherung von Ost und West in der Ära Brandt und auch nicht der Terrorismus z.B. der RAF, noch nicht einmal die Geiselnahme der Olympischen Spiele in München, spielen eine Rolle in Olli Jalonens Roman „Von Männern und Menschen“, der vom Erwachsenwerden eines jungen Mannes – sein Name wird nicht genannt, lediglich seine Initiale „O“ – erzählt. Weiterlesen „Olli Jalonen – Von Männern und Menschen“
Marjaleena Lembcke – Wir bleiben nicht lange
Marjaleena Lembcke – Wir bleiben nicht lange
Was ist eine glückliche Familie und welchen Einfluss hat sie auf unser Leben? Wie beeinflusst sie, welche Art von Beziehung wir zu anderen und uns selbst schaffen?
Manche Familien sind vom Glück begünstigt, segeln wie unter einem guten Stern, andere müssen einen Schicksalsschlag nach dem anderen verkraften, eine Niederlage nach der anderen einstecken.
Zu letzteren gehört die Familie von Sisko und Mirja, finnischen Schwester, die schon früh ihre Mutter verlieren. Diese war von Depressionen gefangen, ging eines Tages fort, um sich vor einen Zug zu werfen. Ein Ereignis, das natürlich alles veränderte. Der Vater zog die Geschwister, neben Sisko und Mirja gab es noch vier Brüder, alleine groß, wurde aber auch nicht alt. Einer der Brüder starb ebenfalls recht früh, ein Neffe nahm sich das Leben. Mirja überstand eine Tumorerkrankung im Mund, nun hat der Krebs bei der jüngeren Schwester zugeschlagen. Die Schwestern sind um die fünfzig und haben trotz ihrer verschiedenen Lebensmittelpunkte ein sehr enges Verhältnis zueinander.
Denn alle Geschwister hat es hinaus in die Welt verschlagen, fort von Finnland und ihrer unglücklichen Kindheit. Sie leben in Schweden, Deutschland oder London, so ganz glücklich und zufrieden sind sie dort aber augenscheinlich nicht. Es scheint als ob die Heimatlosigkeit und Ungeborgenheit, in die sie durch den Tod der Mutter geraten sind, auch die Erwachsenen immer noch umtreibt.
Mirja lebt dabei in einer intakten Familie und Ehe in Berlin. Die vielen bösartigen Spitzen gegen ihren Wohnort und die Deutschen zeigen aber, dass sie sich dort nicht ganz heimisch fühlt.
Sisko hat ihr Glück in London gesucht, mehrere gescheiterte Beziehungen und zwei Ehen hinter sich, ist Mutter einer Tochter und zur Zeit verheiratet mit Stephan. Nun hat sie die Endphase ihrer Krankheit erreicht, die Metastasen sitzen überall. Ihre Schwester soll ihr beim Sterben beistehen.
Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit kommen hoch, letzte Dinge werden besprochen. Dabei liegt der Scherpunkt auf Mirja, wandert aber auch zu Sisko selbst. Diese blickt recht bitter, mit bösem Humor zuweilen, ist manchmal überraschend gefasst und begehrt dann doch auf. Sie will nicht sterben, kann ihre Angst nicht verbergen. Etwas anderes als pausenlos zu rauchen und Unmengen Bier und Wodka zu trinken, die Morphindosen zu erhöhen und sich im Zimmer einer Londoner Nobelklinik zu verschanzen fällt ihr aber auch nicht ein.
Den Umgang Siskos mit ihrem Sterben und den letzten verbleibenden Tagen oder Wochen kann man als Leser kaum ertragen, versteht auch ihre Umgebung nicht. Allesamt problematische Charaktere, wirklich sympathisch sind sie nicht. Oder ist einfach die finnische Mentalität eine andere? Da das im Buch hin und wieder angesprochen wird, liegt die Vermutung nahe.
Was überrascht ist, dass Marjaleena Lembcke es dennoch schafft, dem Leser diese Menschen nahe zu bringen, dass er Anteil nimmt und bis zum Schluss in Spannung bleibt. Siskos Sterben wird völlig unlarmoyant, sehr realistisch, fast sachlich geschildert und geht doch unglaublich nah. Und wer mag wissen oder entscheiden, wie es wirklich geht, das Sterben?
Marjaleena Lembcke – Wir Bleiben Nicht Lange