Sibir – dieses Wort schreibt der von Demenz bedrohte Vater der Ich-Erzählerin Leila im neuem Roman von Sabrina Janesch in den Staub der Gartentischplatte, bezeichnenderweise in drei Sprachen: Deutsch, Russisch und Kasachisch. Drei Sprachen und drei Länder, die das Leben von Josef Ambacher geprägt haben. Seine Familie stammte aus Galizien, wohin die Vorfahren im 18. Jahrhundert aus dem Egerland eingewandert waren und wo sie sich eine Heimat aufgebaut hatten. Seit 1920 gehörten sie zu Polen, wurden 1939 von den Nationalsozialisten „heim ins Reich“ geholt, eine Heimat, die aber plötzlich nicht mehr das Egerland, sondern der annektierte „Reichsgau Wartheland“ war. Hier verlebte der kleine Josef mit seinem Bruder und den Eltern eine schöne Kindheit. Bis die Wirren des blutigen 20. Jahrhundert die Familie erneut einholten. Weiterlesen “Sabrina Janesch – Sibir”
Schlagwort: Flucht
Ulrike Draesner – Die Verwandelten
Die Schriftstellerin Ulrike Draesner beschäftigt sich schon seit langem – autobiografisch oder biografisch inspiriert – mit den Themen Flucht, Vertreibung und transgenerationelle Weitergabe von Traumata, 2014 erschien Sieben Sprünge vom Rand der Welt, 2020 Schwitters, die zusammen mit dem jüngst veröffentlichten Die Verwandelten eine lockere, inhaltlich nicht voneinander abhängende Trilogie ergeben. Weiterlesen “Ulrike Draesner – Die Verwandelten”
Jean Malaquais – Planet ohne Visum
Es ist wirklich erstaunlich, welche Meisterwerke der Exilliteratur heute, achtzig Jahre später, noch neu entdeckt werden, bei denen man sich fragt, wie sie vergessen oder sogar ganz übergangen werden konnten. So wie Planet ohne Visum von Jean Malaquais, das nun, 75 Jahre nach seinem Erscheinen, endlich auf Deutsch veröffentlicht wird. Der Edition Nautilus und vor allem seiner Übersetzerin Nadine Püschel sei Dank! Weiterlesen “Jean Malaquais – Planet ohne Visum”
Aroa Moreno Durán – Die Tochter des Kommunisten
Die junge spanische Autorin Aroa Moreno Durán, Jahrgang 1981, greift mit ihrem schmalen Debütroman Die Tochter des Kommunisten ein eher ungewöhnliches Thema auf und – das will ich gleich verraten – hat mich damit vollkommen überzeugt. Dabei schreibt sie nicht, wie viele Debütant:innen eine autobiografisch gefärbte Erzählung, sondern nimmt sich ein weniger bekanntes Kapitel der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts vor. 2017 gewann sie damit den Premio Ojo Critico. Weiterlesen “Aroa Moreno Durán – Die Tochter des Kommunisten”
Ralf Rothmann – Die Nacht unterm Schnee
Als 2015 Im Frühling sterben erschien, war wahrscheinlich noch gar nicht an eine Fortsetzung gedacht worden, sondern einfach nur dem Bedürfnis genüge getan, die schon mehrfach fiktionalisierte Geschichte des Vaters um dessen traumatische Erlebnisse in den letzten Kriegstagen zu erweitern. Noch im Februar 1945 wurden der 17jährige Melker Walter Urban und der gleichaltrige Fiete von der Waffen-SS zwangsrekrutiert und an die ungarische Front geschickt. Dass Walter dort an der Hinrichtung seines der versuchten Desertion beschuldigten Freundes mitwirken musste, hat ihn nachhaltig zerbrochen. 2018 ergänzte Rothmann seine Erzählung des Kriegsendes um die Geschichte der in der norddeutschen Heimat Zurückgebliebenen. Die Frauen auf dem Hofgut bei Schleswig, die aus dem Osten Geflüchteten, die es dorthin verschlagen hat, stehen in Der Gott jenes Sommers im Mittelpunkt. Nun folgt mit Die Nacht unterm Schnee ein Buch, das die Vorgänger zur Trilogie weitet und seinem Autor Ralf Rothmann vermutlich am schwersten gefallen ist. Weiterlesen “Ralf Rothmann – Die Nacht unterm Schnee”
Abbas Khider – Der Erinnerungsfälscher
Said al-Wahid, ein deutsch-irakischer Schriftsteller, kehrt im Sommer 2014 von einer erfolgreichen Podiumsdiskussion in Mainz zu seiner Frau Monica und dem kleinen Sohn Ilias nach Berlin zurück. Im ICE erreicht ihn der Anruf seines Bruders Hakim aus Bagdad: Die Mutter liege im Sterben, wenn er sie noch einmal sehen wolle, sei Eile geboten. So beginnt der neue, schmale Roman des deutschen, in Bagdad geborenen Autors Abbas Khider, Der Erinnerungsfälscher. Weiterlesen “Abbas Khider – Der Erinnerungsfälscher”
Nadine Schneider – Wohin ich immer gehe
2019 bezauberte Nadine Schneider mit ihrem Roman Drei Kilometer nicht nur die Jury des Bloggerpreises für Literatur Das Debüt, sondern sie erhielt auch den Hermann Hesse Förderpreis, den Literaturpreis der Stadt Fulda und den Vera-Doppelfeld-Förderpreis. In Wohin ich immer gehe, das diesen Sommer erschien, zeigt Nadine Schneider, dass ihr auch der oft so schwere zweite Roman ganz wunderbar gelungen ist. Weiterlesen “Nadine Schneider – Wohin ich immer gehe”
Nadine Schneider – Drei Kilometer
Nadine Schneider gewinnt mit „Drei Kilometer“ den Bloggerpreis für Literatur „Das Debüt“ 2019. Und das völlig zu Recht. In ihrem schmalen Roman erzählt sie leise, poetisch und völlig unsentimental eine berührende Geschichte. Weiterlesen “Nadine Schneider – Drei Kilometer”
Katerina Poladjan – Hier sind Löwen
Das Szenario ist nicht neu und bereits unzählige Male Ausgangspunkt und/oder Sujet von Romanen gewesen: eine nicht mehr ganz junge Frau, so um die Dreißig (wahlweise auch ein junger Mann), ist im Leben noch nicht so ganz angekommen, beruflich leicht prekär, aber gut ausgebildet, Beziehungsstatus noch nicht wirklich geklärt, genauso offen wie die Zukunftspläne, kommt an einen Punkt, der mittlerweile sogar einen Namen besitzt, die „Quarterlife-Crisis. Oft stecken irgendwelche familiären, gern verdrängten und nicht gleich offensichtlichen Probleme hinter dem Dilemma. Und oft dient eine Reise zu den familiären Wurzeln als Anstoß, sich darüber Klarheit zu verschaffen. Das ist auch bei der Protagonistin von Katerina Poladjan in ihrem 2019 für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman „Hier sind Löwen“ so.
Das Besondere dieses Buchs liegt in der Familiengeschichte und in der Profession der Protagonistin. Weiterlesen “Katerina Poladjan – Hier sind Löwen”
Mohsin Hamid – Exit West
Rezension zu Mohsin Hamid – Exit West :
Laut UN sind weltweit mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Sei es vor Kriegen, Terror, politischen Verfolgungen, sexuellen Diskriminierungen, aus purer Not oder Perspektivlosigkeit, diese Menschen zieht es in den Westen, manchmal trotz Vorbehalten gegenüber den dort herrschenden Werten und der Lebensweise dort, immer aber mit der großen Hoffnung, ein besseres, ein erfüllteres Leben zu finden. Auch wenn die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nicht mehr so groß ist wie in den Jahren 2015/2016, als sich besonders viele Menschen aus dem Nahen Osten und dem nördlichen Afrika aufmachten, ihr Glück in Europa zu suchen, beherrscht das Thema die Nachrichten im Fernsehen und den Printmedien, bestimmt es Wahlkämpfe mit, entzweit es die Bevölkerungen der westlichen Staaten darüber, wie umzugehen ist mit diesem Phänomen, das nicht einfach verschwindet, das sich als eine feste Konstante des globalisierten 21. Jahrhunderts festzusetzen scheint. Weiterlesen “Mohsin Hamid – Exit West”