Paul Lynch – Das Lied des Propheten

Noch selten habe ich ein Buch so körperlich gelesen wie Das Lied des Propheten von Paul Lynch. Beklemmend, intensiv, atemberaubend – Adjektive, die nicht nur so dahingesagt bzw. –geschrieben sind, sondern die während des Lesens absolut zutrafen und so manches Mal zum (kurzen) Unterbrechen der Lektüre zwangen. 2023 mit dem Booker Prize ausgezeichnet, heimst der Roman auch hierzulande höchstes Lob ein, etwa bei Markus Gasser in der Neuen Züricher Zeitung, der schreibt:

„So zieht uns «Das Lied des Propheten» existenziell in Mitleidenschaft wie kaum ein Werk dieser Zeit: Es hat nur einmal in einem Jahrhundert einen Franz Kafka gegeben; und in diesem gibt es nur einen Paul Lynch.“ Weiterlesen „Paul Lynch – Das Lied des Propheten“

Paul Murray – Der Stich der Biene

War es bereits dieser verfluchte Stich der Biene, die sich ausgerechnet auf der Fahrt zum Traualtar unter Imeldas Schleier verfangen hat und unglücklich das Auge traf, so dass sich die Braut nur noch verschleiert zeigen konnte? Oder war es überhaupt diese weithin verurteilte Heirat von Imelda mit dem Bruder ihrer erst kürzlich tödlich verunglückten großen Liebe Frank, den sie eigentlich ehelichen wollte? Oder begann das ganze Unglück von Imelda und Dickie und ihrer beiden Töchtern schon viel früher, in Kindheit und Jugend?  Paul Murray untersucht in seinem für die Shortlist des Booker Prize 2023 nominierten Roman Der Stich der Biene die Tragik und Komik, die im Leben der Familie Barnes stecken. Weiterlesen „Paul Murray – Der Stich der Biene“

Anna Burns – Amelia

2018 erhielt Anna Burns für ihren fulminanten Roman Milchmann den Booker Prize, Grund genug für ihren deutschen Verlag, Tropen, nun auch ihr Debüt Amelia zu veröffentlichen. Nicht immer ist das Ausgraben von Frühwerken von plötzlich erfolgreichen Autoren wirklich ein Gewinn. Hier handelt es sich um einen ausgesprochenen Glücksfall. Denn schon in dem 2001 erschienenen Roman, Original No bones, zeigt Anna Burnes ihren ganz eigenen und sehr eigenwilligen Ton. Weiterlesen „Anna Burns – Amelia“

Claire Keegan – Kleine Dinge wie diese

Die irische Autorin Claire Keegan hat mit Kleine Dinge wie diese ein schmales, erstaunliches Buch geschrieben und der Steidl Verlag daraus ein kleines bibliophiles Schmuckstück gemacht. Mit wenigen Worten thematisiert die Autorin ein dunkles Kapitel irischer Geschichte und lässt einen Mann einen Gewissenskonflikt austragen. Ein wenig erinnert die Atmosphäre an Charles Dickens und seine Weihnachtsgeschichte. Und tatsächlich spielt Claire Keegan darauf auch verschiedentlich direkt an. Weiterlesen „Claire Keegan – Kleine Dinge wie diese“

Sebastian Barry – Annie Dunne

Annie Dunne ist keine wirklich sympathische Person. Schroff, abweisend und in allerlei Vorurteilen verfangen erscheint sie ihrer Umwelt. Sebastian Barry wäre aber nicht der großartige Menschenporträtist (wie auch in Tausend Monde) , der er ist, wenn es hinter der rauen Schale von Annie Dunne nicht ganz anders aussähe. Der Steidl-Verlag veröffentlicht den zweiten Roman des irischen Schriftstellers von 2002 in einer gewohnt schönen, nein, in einer ganz besonders schönen Leinenausgabe. Weiterlesen „Sebastian Barry – Annie Dunne“

Emilie Pine – Botschaften an mich selbst

Was für ein Buch! Selten noch habe ich derart radikal offene, intelligente, völlig ungekünstelt geschriebene Texte gelesen wie die sechs Essays von Emilie Pine in Botschaften an mich selbst. Die 1977 geborene irische Autorin, die in Dublin modernes Drama unterrichtet und mit Notes to self ihren erste nichtakademische Veröffentlichung hatte, erzählt von schwierigen Lebensaspekten, die meist zudem noch gemeinhin tabuisiert und äußerst schambesetzt sind. Sie sollten Botschaften an sich selbst sein, waren aber in Irland so erfolgreich, dass sie umgehend zum Buch des Jahres wurden. In Deutschland sind sie seit Anfang März veröffentlicht, haben aber bisher in der Literaturkritik bedauerlicherweise kein allzu großes Echo hervorgerufen. Weiterlesen „Emilie Pine – Botschaften an mich selbst“

Sally Rooney – Normale Menschen

Die irische Autorin Sally Rooney ist ein Phänomen. Schon ihr Erstling Gespräche mit Freunden, der 2017 erschien, war ein sensationeller Erfolg für die 1991 geborene damalige Studentin am Trinity College in Dublin. Verlage überboten sich schon im Vorfeld, der renommierte Faber&Faber erhielt schließlich den Zuschlag, die britische Literaturkritik überschlug sich, diverse Zeitungen machten das Buch zum Book of the year und der Verkaufserfolg blieb nicht aus. Ich habe das Buch durchaus gern gelesen, der Hype erschloss sich mir aber nicht. Der 2018 erschienene zweite Roman von Sally Rooney, Normal people, jetzt als Normale Menschen auch auf Deutsch erschienen, versprach noch phänomenaler zu werden. Longlist des Man Booker Prize, Gewinn zweier British Book Awards und des Costa Awards – ein Wahnsinnserfolg für das zweite Buch einer so jungen Autorin. Weiterlesen „Sally Rooney – Normale Menschen“

Patrick McGinley – Bogmail

Sollte man tatsächlich, gerade angesichts des riesigen, kaum zu überschauenden Angebots an neu erscheinenden Kriminalromanen jeglicher Sparte und Qualität, einen fast vierzig Jahre alten „Roman mit Mörder“ lesen, in dem dieser, nämlich der Mörder, bereits auf der allerersten Seite offenbart wird? Zwar geht der erste Mordanschlag durch ein Omelette surprise, gewürzt mit Pilzen fragwürdiger Abstammung, schief, aber der nächste Versuch, ein gezielter Schlag auf den Kopf mit dem 25. Band der Encyclopedia Britannica (Ausgabe 1911!) gelingt. Sollte man tatsächlich wertvolle Lesezeit zusammen mit einer Ansammlung ziemlicher Loser (die aber natürlich ganz anders über sich denken, und denen ehrlich gesagt ein gewisser Charme nicht abzusprechen ist) in unterschiedlichen Stadien des Alkoholrauschs in einer tristen, heruntergekommenen Kneipe in einem tristen, heruntergekommenen Kaff irgendwo in Irlands Nordwesten verbringen? Seitenlang ihren Selbst- und Thekengesprächen folgen, die sich um so wichtige Fragen wie den Fischfang, die Unverständlichkeit von Frauen, Regenwürmer, Poesie, Glauben und moderne Kirchenarchitektur, kurz um Gott und die Welt drehen und oft ins Philosophieren abdriften? Die klare und deutliche Antwort darauf heißt natürlich: Ja, unbedingt, wenn es sich um Bogmail von Patrick McGinley handelt! Weiterlesen „Patrick McGinley – Bogmail“

Donal Ryan – Die Gesichter der Wahrheit

Donal Ryan – Die Gesichter der Wahrheit

Donal Ryan - die-gesichter-der-wahrheit-9783257069631Einundzwanzig Menschen, einundzwanzig Leben, einundzwanzig Mal Erleben der gleichen Wirklichkeit und doch einundzwanzig verschiedene Wahrheiten. Verpackt in ebenso viele meist recht kurze Kapitel. Der Aufbau von Die Gesichter der Wahrheit von Donal Ryan ist nicht unbedingt neu, aber hier sehr gekonnt umgesetzt. Er erzählt aus einer kleinen irischen Gemeinde, die gerade in den Strudel der Finanzkrise geraten ist, die Irland bekanntlich besonders hart erwischt hat. Fast jeder hier ist unmittelbar davon betroffen. Weiterlesen „Donal Ryan – Die Gesichter der Wahrheit“