Die US-Literaturkritik sparte nicht mit Lob: Es sei „Der große amerikanische, reformjüdische Familienroman“, Vergleiche mit Philip Roth und Jonathan Franzen wurden angestellt. Und tatsächlich ist Die Fletchers von Long Island, der zweite Roman der 1975 geborenen Journalistin Taffy Brodesser-Akner, ein hochvergnügliches Leseerlebnis – mit kleinen Abstrichen. Weiterlesen „Taffy Brodesser Akner – Die Fletchers von Long Island“
Schlagwort: Judentum
Anna Langfus – Gepäck aus Sand
Wie sehr es mich freut, wenn Romane von Autorinnen neu oder wiederentdeckt werden, die zu ihrer Entstehungszeit nicht ausreichend gewürdigt, verkannt oder erst gar nicht veröffentlicht wurden, habe ich schon oft geschrieben. Gerade in den letzten Jahren hat sich da sehr viel getan und so manche Perle wurde da entdeckt. Mit dem Roman Gepäck aus Sand der polnisch-französische Schriftstellerin Anna Langfus, der nun in neuer Übersetzung von Patricia Klobusiczky und edler Ausstattung in der Anderen Bibliothek erschienen ist, kann das deutschsprachige Lesepublikum nun erneut eine solche Perle entdecken. 1962 wurde der Roman in Frankreich mit dem Prix Goncourt geehrt. In Deutschland fand die Übersetzung wenig Beachtung. Es war wohl zu früh, man wollte nicht lesen, was Langfus zu erzählen hatte. Weiterlesen „Anna Langfus – Gepäck aus Sand“
Sara Klatt – Das Land, das ich dir zeigen will
Sara Klatt, die Autorin von Das Land, das ich dir zeigen will, ist 1990 in Hamburg geboren und dort aufgewachsen. Ihr Großvater wanderte nach dem Krieg von Berlin nach Israel aus, wurde dort aber nicht heimisch. Schon früh erzählte er seiner Enkelin von dort. Sie stellt ein Motto aus der Bibel ihrem Roman voran, der unverhohlen Autobiografisches erzählt.
„Und der Herr sprach zu Abraham:
Gehe aus deinem Vaterland und von deiner
Freundschaft und aus deines Vaters Hause
in ein Land, das ich dir zeigen will.“
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Dana von Suffrin – Nochmal von vorne
Vor fünf Jahren wirbelte ein Debütroman durch die deutschen Feuilletons und in die Herzen der Lesenden, der voll Witz und Tragik war, turbulent und feinfühlig von einer deutsch-jüdischen Familie und besonders vom tyrannischen Vater Otto erzählte. Für Nochmal von vorn wählt die Autorin Dana von Suffrin ein sehr ähnliches Personal und Setting. Und arrangiert alles neu und erzählt eine Familiengeschichte, die deutlich autobiografische Züge trägt, auch wenn sie Fiktion ist, quasi „nochmal von vorn“. Weiterlesen „Dana von Suffrin – Nochmal von vorne“
Elizabeth Graver – Kantika
Der Titel Kantika – in Ladino, der Sprache der sephardischen Juden, das Lied bezeichnend – verrät schon einiges über den neuen Roman der US-amerikanischen Schriftstellerin Elizabeth Graver, deren Roman Der Sommer der Porters (mare, 2016) mich bereits sehr begeistern konnte. Die 1964 in Los Angeles geborene Autorin erzählt darin die nur leicht fiktionalisierte Geschichte ihrer eigenen Familie mütterlicherseits, und davon besonders ihrer 1902 geborenen Großmutter Rebecca Cohen Baruch Levy, die ihre Wurzeln im osmanischen Reich hat. Dorthin flohen Ende des 15. Jahrhundert in Folge der Reconquista viele von der iberischen Halbinsel vertriebene Juden und wurden sesshaft. Weiterlesen „Elizabeth Graver – Kantika“
Tomer Dotan-Dreyfus – Birobidschan
Birobidschan ist ein realer und ein utopischer Platz. Die weit in Fernost, fast an der Grenze zu China gelegene autonome russische Oblast ist tatsächlich weltweit der einzige Ort, der Jiddisch als (zweite) Amtssprache hat. In den 1930er Jahren wurden dort Juden aus der ganzen Sowjetunion angesiedelt. Was aber als ein großzügiger Akt Stalins verkauft wurde, diente vor allem zur Urbanmachung dieses höchst unwirtlichen, hauptsächlich aus Taiga und Sumpf bestehenden Gebietes. Und der Vertreibung von Juden aus den urbanen Zentren. Und nach 1948 zeigte sich das deutlich antisemitische Gesicht der damaligen Sowjetunion in den stalinistischen Judenverfolgungen. Da hatten bereits viele Juden Birobidschan bereits wieder verlassen. Und auch heute leben – trotz der Amtssprache – kaum noch welche dort. Der 1987 in Tel Aviv geborene und schon mehr als 10 Jahre in Berlin lebende Tomer Dotan-Dreyfus präsentiert in seinem für den Deutschen Buchpreis 2023 nominierten Roman aber noch ein anderes, ein utopisches, ein jüdisch-sozialistisches Birobidschan, weit entfernt von der Realität. Weiterlesen „Tomer Dotan-Dreyfus – Birobidschan“
Anne Berest – Die Postkarte
Seit über zwei Jahren steht der Roman Die Postkarte der 1979 geborenen französischen Schauspielerin und Regisseurin Anne Berest auf den Bestsellerlisten in Frankreich. 2021 war er für mehrere große Literaturpreise des Landes nominiert, u.a. auch für den Prix Goncourt. Der Skandal darum, dass ein Mitglied der Jury den Roman im Vorfeld in der Zeitung Le Monde verrissen hat und gleichzeitig mit einem der Mitbewerber liiert ist, hat dem Buch zumindest bei den Leser:innen nicht geschadet. Glücklicherweise, denn die Geschichte der eigenen Recherche der Autorin zu ihrer Familie, die weit in die dunklen Jahre der deutschen Besetzung und der Shoa führen, verdient es von vielen gelesen zu werden. Weiterlesen „Anne Berest – Die Postkarte“
Ingke Brodersen – Lebewohl Martha
Anfang der 1990er Jahre zog Ingke Brodersen mit ihrer Familie in eine Altbauwohnung in Berlin Schöneberg. Eine helle, geräumige Wohnung im vierten Stock in der Berchtesgadener Straße 37. Vor dem Haus im Pflaster eingelassen befindet sich einer jener Stolpersteine, die an ehemalige jüdische Bewohner:innen erinnert, die Opfer der Verfolgung durch die Nationalsozialisten wurden. 1993 wurden hier im Bayerischen Viertel in einem Projekt Tafeln aufgehängt, die Inhalte von nationalsozialistischen Gesetzen und Verordnungen zeigen, mit denen die Entrechtung der Juden in Deutschland vorangetrieben wurde. Dies war für die Historikerin und ehemalige Leiterin des Rowohlt Berlin-Verlags Ingke Brodersen der Impuls, der Geschichte der einst in ihrem Wohnhaus lebenden Menschen nachzuforschen – und daraus entstand ihr berührendes Buch Lebewohl, Martha.
Santiago Amigorena – Kein Ort ist fern genug
Kein Ort ist fern genug, um dem Grauen der Judenverfolgung während der Nazidiktatur in Europa zu entkommen – das schildert Santiago Amigorena sehr eindrucksvoll in seinem autobiografisch geprägten, gleichnamigen Roman.
Es ist der Großvater des Autors, der Vorbild war für Vicente Rosenberg, Möbelhändler in Buenos Aires. Als Wincenty in Polen geboren, hat er schon lange keinen Bezug mehr zum Judentum. 1928 verließ er sein Heimatland, um in Argentinien ein neues, freieres Leben zu beginnen. Und auch ein klein wenig, um seiner besitzergreifenden Mutter zu entkommen. Dem Einvernehmen nach ist die jüdische „Mamme“ besonders fürsorglich, wenn nicht gar einengend. So war es für Wincenty auch ein Befreiungsschlag, als er hier in Buenos Aires als Vicente mit der temperamentvollen Rosita eine eigene Familie gründen konnte. Weiterlesen „Santiago Amigorena – Kein Ort ist fern genug“
Minka Pradelski – Es wird wieder Tag
Die Frankfurter Soziologin Minka Pradelski wurde 1947 im Lager für Displaced Persons in Zeilsheim geboren, in ihrem neuen Roman Es wird wieder Tag fügt sie der großen Geschichte der Shoah ein weiteres, persönliches Mosaiksteinchen hinzu. Sie erzählt von Überlebenden, deren Leidensweg weit über die Befreiung der Lager hinausgeht, die ihre Traumata in die Nachkriegszeit mitnehmen und an die Nachfolgegenerationen weitervererben. Gerade weil sie diese davor schützen wollen. Durch Schweigen. Weiterlesen „Minka Pradelski – Es wird wieder Tag“