Tijan Sila – Radio Sarajevo

Geschätzt mehr als 11.000 Todesopfer forderte die Belagerung der Stadt Sarajevo durch die Armee der bosnischen Serben, Reste der jugoslawischen Bundesarmee und Paramilitärs während des Bosnienkriegs. Fast vier Jahre, von April 1992 bis Februar 1996 dauerte sie an. Ständiger Beschuss, Scharfschützen, Mangel an Heizmaterial und Lebensmitteln und zunehmend unzureichende medizinische Versorgung bedeutete das für die knapp 400.000 Einwohner, unter ihnen der 11jährige Tijan. Dieser lebte mit seinen Eltern, die als promovierende Literaturwissenschaftlerin und Professor für Bibliothekswesen dort absolute Außenseiter waren, in einer Plattenbausiedlung. Von diesen Jahren und ihren Nachwirkungen erzählt Tijan Sila in seinem Buch Radio Sarajevo.
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Nora Krug – Im Krieg

K. Nora Krug – Im Krieg

Seit dem 24. Februar kursiert der Begriff „Zeitenwende“. Und ja, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist vieles nicht mehr so, wie es war. Ein Angriffskrieg in Europa schien trotz sich mehrender Anzeichen, trotz der immer autoritäreren Züge des russischen Regimes unter Putin, trotz erstarkendem Nationalismus vor allem in Osteuropa einfach nicht denkbar. Gab es nach den Grauen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs doch ein entschiedenes Nie wieder! Nie wieder Judenhass, nie wieder Faschismus und nie wieder Krieg! Die Europäische Union, die Vereinten Nationen und der Weltsicherheitsrat – die Welt schien ihre Lehren aus dem Tod von geschätzt 60 Millionen Menschen gezogen zu haben. Sie wuchs zusammen. So dachte man zumindest im Westen oder wollte daran glauben, ungeachtet der unzähligen Konflikte weltweit. Weiterlesen „Nora Krug – Im Krieg“

John Hersey – Hiroshima

Am 31. August 1946 erschien eine Sonderausgabe der Zeitschrift New Yorker. Sie war einer einzigen Reportage gewidmet und in Windeseile ausverkauft. Bis heute hat sich der Text Hiroshima von John Hersey weltweit über 30 Millionen Mal verkauft. Die Reportage über sechs Überlebende des Atombombenabwurfs auf Hiroshima am 6. August 1945 war ein Schock für die amerikanische Öffentlichkeit. Auch mit Hilfe von Zensur und Propaganda wurden die entsetzlichen Wirkungen und Spätfolgen der Bombe heruntergespielt, verharmlost, als unabdingbar für das Kriegsende und den Frieden dargestellt. Wenige Amerikaner wussten um die Wahrheit. Weiterlesen „John Hersey – Hiroshima“

Éric Vuillard – Ein ehrenhafter Abgang

Ein Reiseführer für Französisch-Indochina aus den 1920er Jahren mit einem passenden Sprachführer, der fast ausschließlich Redewendungen im Imperativ enthielt, war es nach eigenem Bekunden, der den französischen Autor Éric Vuillard zu seinem neuesten Buch, Ein ehrenhafter Abgang, inspirierte. Und wieder hat er aus Fakten und Fiktion ein für ihn so typisches Genre geschaffen, das irgendwo zwischen historischem Sachbuch und dokumentarischem Roman angesiedelt ist. Schon in seinem mit dem Prix Goncourt gekürten Buch Die Tagesordnung, in Der 14. Juli  und Der Krieg der Armen hat er diese Art der Komposition angewendet, die man vielleicht am besten als literarische Inszenierung historischer Ereignisse beschreiben kann. Dafür montiert er Fakten, die er präzise aus Dokumenten wie Briefen, Reden, Memoiren recherchiert hat, mit einer erfundenen Innen- und Gefühlswelt der beteiligten Personen. Bei aller Faktentreue entsteht daraus dann ein weniger sachliches als engagiertes Stück Literatur. Weiterlesen „Éric Vuillard – Ein ehrenhafter Abgang“

Ralf Rothmann – Die Nacht unterm Schnee

Als 2015 Im Frühling sterben erschien, war wahrscheinlich noch gar nicht an eine Fortsetzung gedacht worden, sondern einfach nur dem Bedürfnis genüge getan, die schon mehrfach fiktionalisierte Geschichte des Vaters um dessen traumatische Erlebnisse in den letzten Kriegstagen zu erweitern. Noch im Februar 1945 wurden der 17jährige Melker Walter Urban und der gleichaltrige Fiete von der Waffen-SS zwangsrekrutiert und an die ungarische Front geschickt. Dass Walter dort an der Hinrichtung seines der versuchten Desertion beschuldigten Freundes mitwirken musste, hat ihn nachhaltig zerbrochen. 2018 ergänzte Rothmann seine Erzählung des Kriegsendes um die Geschichte der in der norddeutschen Heimat Zurückgebliebenen. Die Frauen auf dem Hofgut bei Schleswig, die aus dem Osten Geflüchteten, die es dorthin verschlagen hat, stehen in Der Gott jenes Sommers im Mittelpunkt. Nun folgt mit Die Nacht unterm Schnee ein Buch, das die Vorgänger zur Trilogie weitet und seinem Autor Ralf Rothmann vermutlich am schwersten gefallen ist. Weiterlesen „Ralf Rothmann – Die Nacht unterm Schnee“

Gabrielle Roy – Gebrauchtes Glück

Die franko-kanadische Schriftstellerin Gabrielle Roy (1909-1983) gilt als eine der bedeutendsten Autorinnen ihres Landes und ihr 1945 erstmals erschienener Debütroman Bonheur d’occasion  (deutsch: Gebrauchtes Glück) als Meilenstein und Klassiker. Man zählt ihn sogar zu den Auslösern der sogenannten „Stillen Revolution“, von der ich bisher noch nie gehört hatte. Laut Wikipedia ist damit der „tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Wandel, geprägt von der Säkularisierung der Gesellschaft und der Schaffung eines Wohlfahrtsstaates“ in Québec gemeint. „Die Provinzregierung brachte zwischen 1960 und 1966 das zuvor von der römisch-katholischen Kirche dominierte Gesundheits- und Bildungswesen unter die Kontrolle des Staates, baute die staatlichen Dienstleistungen aus und tätigte umfangreiche Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Sie erlaubte den Staatsangestellten, sich in Gewerkschaften zu organisieren, und ermöglichte der mehrheitlich französischsprachigen Bevölkerung, die Kontrolle über die Wirtschaft ihrer eigenen Provinz zu übernehmen.“ Weiterlesen „Gabrielle Roy – Gebrauchtes Glück“

Kim Thúy – Großer Bruder kleine Schwester

Kim Thúy war zehn Jahre alt, als sie 1978 mit ihren Eltern als sogenannte „Boat People“ aus Vietnam nach Kanada floh. Dort studierte sie Recht und Sprachwissenschaften, arbeitete als Rechtsanwältin, Übersetzerin und als Gastronomin, wovon ihr wunderbar persönliches Kochbuch Das Geheimnis der vietnamesischen Küche zeugt. Und Kim Thúy begann 2009 schmale, zarte, autobiografisch inspirierte Romane zu schreiben, Der Klang der Fremde (2009), Der Geschmack der Sehnsucht (2013) und Die vielen Namen der Liebe (2016). Bereits 2019 konnte ich die Autorin in Leipzig treffen und bin seitdem ein großer Fan dieser herzlichen, klugen und engagierten Frau. Anlässlich des Gastlandauftritts Kanadas zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse war Kim Thúy mit ihrem neuen Buch Großer Bruder kleine Schwester Mitglied der Delegation vor Ort. Weiterlesen „Kim Thúy – Großer Bruder kleine Schwester“