Seit über zwei Jahren steht der Roman Die Postkarte der 1979 geborenen französischen Schauspielerin und Regisseurin Anne Berest auf den Bestsellerlisten in Frankreich. 2021 war er für mehrere große Literaturpreise des Landes nominiert, u.a. auch für den Prix Goncourt. Der Skandal darum, dass ein Mitglied der Jury den Roman im Vorfeld in der Zeitung Le Monde verrissen hat und gleichzeitig mit einem der Mitbewerber liiert ist, hat dem Buch zumindest bei den Leser:innen nicht geschadet. Glücklicherweise, denn die Geschichte der eigenen Recherche der Autorin zu ihrer Familie, die weit in die dunklen Jahre der deutschen Besetzung und der Shoa führen, verdient es von vielen gelesen zu werden. Weiterlesen „Anne Berest – Die Postkarte“
Schlagwort: Shoah
Ingke Brodersen – Lebewohl Martha
Anfang der 1990er Jahre zog Ingke Brodersen mit ihrer Familie in eine Altbauwohnung in Berlin Schöneberg. Eine helle, geräumige Wohnung im vierten Stock in der Berchtesgadener Straße 37. Vor dem Haus im Pflaster eingelassen befindet sich einer jener Stolpersteine, die an ehemalige jüdische Bewohner:innen erinnert, die Opfer der Verfolgung durch die Nationalsozialisten wurden. 1993 wurden hier im Bayerischen Viertel in einem Projekt Tafeln aufgehängt, die Inhalte von nationalsozialistischen Gesetzen und Verordnungen zeigen, mit denen die Entrechtung der Juden in Deutschland vorangetrieben wurde. Dies war für die Historikerin und ehemalige Leiterin des Rowohlt Berlin-Verlags Ingke Brodersen der Impuls, der Geschichte der einst in ihrem Wohnhaus lebenden Menschen nachzuforschen – und daraus entstand ihr berührendes Buch Lebewohl, Martha.
Santiago Amigorena – Kein Ort ist fern genug
Kein Ort ist fern genug, um dem Grauen der Judenverfolgung während der Nazidiktatur in Europa zu entkommen – das schildert Santiago Amigorena sehr eindrucksvoll in seinem autobiografisch geprägten, gleichnamigen Roman.
Es ist der Großvater des Autors, der Vorbild war für Vicente Rosenberg, Möbelhändler in Buenos Aires. Als Wincenty in Polen geboren, hat er schon lange keinen Bezug mehr zum Judentum. 1928 verließ er sein Heimatland, um in Argentinien ein neues, freieres Leben zu beginnen. Und auch ein klein wenig, um seiner besitzergreifenden Mutter zu entkommen. Dem Einvernehmen nach ist die jüdische „Mamme“ besonders fürsorglich, wenn nicht gar einengend. So war es für Wincenty auch ein Befreiungsschlag, als er hier in Buenos Aires als Vicente mit der temperamentvollen Rosita eine eigene Familie gründen konnte. Weiterlesen „Santiago Amigorena – Kein Ort ist fern genug“
Minka Pradelski – Es wird wieder Tag
Die Frankfurter Soziologin Minka Pradelski wurde 1947 im Lager für Displaced Persons in Zeilsheim geboren, in ihrem neuen Roman Es wird wieder Tag fügt sie der großen Geschichte der Shoah ein weiteres, persönliches Mosaiksteinchen hinzu. Sie erzählt von Überlebenden, deren Leidensweg weit über die Befreiung der Lager hinausgeht, die ihre Traumata in die Nachkriegszeit mitnehmen und an die Nachfolgegenerationen weitervererben. Gerade weil sie diese davor schützen wollen. Durch Schweigen. Weiterlesen „Minka Pradelski – Es wird wieder Tag“
Seweryna Szmaglewska – Die Frauen von Birkenau
Seweryna Szmaglewska war 26 Jahre alt, als sie am 18. Juli 1942 in ihrer Heimatstadt Piotrków Trybunalski verhaftet wurde. Grund dafür war nicht die Untergrundarbeit, die die junge Warschauer Soziologiestudentin für den polnischen Widerstand leistete, sondern die tragische Fehleinschätzung eines deutschen SS-Mannes, der das Geraderücken ihrer Brille in der Öffentlichkeit als ein geheimes Signal interpretierte. Zur Zeit der deutschen Besatzung Anlass genug für eine Internierung. Seweryna Szmaglewska wurde im Oktober nach Auschwitz-Birkenau deportiert und verbrachte dort, bis sie im Januar 1945 bei der Liquidierung des Lagers fliehen konnte, unglaubliche 30 Monate als politische Gefangene. Sie begann sogleich mit der Niederschrift ihrer Erinnerungen, die sie in Polen zu einer bekannten Autorin machten und zu einer der Zeuginnen bei den Nürnberger Prozessen. Übersetzungen in zehn Sprachen folgten, Deutsch war nicht darunter. Erst jetzt, 75 Jahre später, erscheinen die Aufzeichnungen von Seweryna Szmaglewska im Schöffling Verlag unter dem Titel Die Frauen von Birkenau. Weiterlesen „Seweryna Szmaglewska – Die Frauen von Birkenau“
Marceline Loridan-Ivens – Und du bist nicht zurückgekommen
Marceline Loridan-Ivens – Und du bist nicht zurückgekommen
„Ich bin ein fröhlicher Mensch gewesen, weißt du, trotz allem, was uns widerfahren ist. Fröhlich auf unsere Art, aus Rache dafür, dass wir traurig waren und dennoch lachten. Die Leute mochten das an mir. Aber ich verändere mich. Es ist keine Bitterkeit, ich bin nicht bitter. Es ist, als wäre ich schon nicht mehr da. Ich höre Radio, die Nachrichten, ich weiß, was geschieht, und es macht mir oft Angst. Ich habe hier keinen Platz mehr.“
Das Gefühl, keinen Platz mehr zu haben, kennt Marceline Loridan-Ivens aus ihrer Jugend.
1943, mit 15 Jahren, wurde sie zusammen mit ihrem Vater aus Frankreich deportiert. Sie nach Birkenau, er nach Auschwitz. Zwei Lager, die nur drei Kilometer trennten und zwischen denen doch ein unüberwindbarer Abgrund klaffte. Weiterlesen „Marceline Loridan-Ivens – Und du bist nicht zurückgekommen“
Françoise Frenkel – Nichts um sein Haupt zu betten
Françoise Frenkel – Nichts, um sein Haupt zu betten
„Aber, Madame, Sie scheinen mir das politische Klima im gegenwärtigen Deutschland nicht zu kennen!“
rief der französische Generalkonsul, die Arme zum Himmel erhoben aus, als ihm Françoise Frenkel ihren Plan, im Jahr 1921 in Berlin eine französische Buchhandlung zu eröffnen unterbreitete. Der Erste Weltkrieg war noch nicht lange beendet, es war die Rede von der „Schmach von Versailles“, die Dolchstoßlegende kursierte und rechte Kräfte rotteten sich bereits zusammen. Die Stimmung in der Stadt und ganz Deutschland war alles andere als frankophil.
„Man wird Ihnen den Laden zertrümmern!“
prophezeite der obige Herr. Weiterlesen „Françoise Frenkel – Nichts um sein Haupt zu betten“