Javier Cercas – Blaubarts Burg

Als der Spanier Javier Cercas 2019 mit Terra Alta den ersten Teil einer geplanten Krimireihe veröffentlichte, hat das manchen überrascht. Vielleicht war es für den Autor meist zeithistorischer und politischer Texte nach einem wahren Shitstorm, der den erklärten Gegner des katalanischen Separatismus 2017 in seiner Heimat traf, an der Zeit, sich literarisch neu zu verorten. Mit Blaubarts Burg ist nun bereits der dritte Teil der nach der abgelegenen Terra Alta-Region benannten Reihe, in der Javier Cercas seine Protagonisten beheimatet, erschienen. Weiterlesen „Javier Cercas – Blaubarts Burg“

Sergio del Molino – Leeres Spanien

Viermal bin ich bisher auf jeweils unterschiedlichen Routen mit dem Zug durch Spanien gefahren. Die sich über Hunderte von Kilometern hinziehenden Ebenen mit wahlweise Sonnenblumen, Olivenbäumen, Weinreben oder auch gar nichts werde ich genauso wenig vergessen wie die Öde der Wüste von Almeria, wo man ganze Wild-West-Dörfer besichtigen kann, in denen einst Italo-Western gedreht wurden. Leeres Spanien, ja das sagt mir etwas, und unterscheidet sich so dramatisch von den Großstädten wie Madrid, Barcelona, Bilbao und den dichtbesiedelten Küstenregionen. Mit seinem erzählenden Sachbuch Leeres Spanien hat Sergio del Molino 2016 dort einen Nerv getroffen und etwas losgetreten. Es wurde ein Riesenerfolg in Spanien und löste breite gesellschaftliche Diskussionen aus, schaffte es sogar in eine Parlamentsdebatte.

Die Landflucht nämlich und die damit einhergehende Verödung und Entvölkerung ganzer Landstriche hat Spanien natürlich nicht exklusiv, aber doch ganz vehement getroffen. Heute leben 75% der Bevölkerung in den Ballungsgebieten. 50% der Fläche Spaniens steht quasi leer, mit einer Bevölkerungsdichte wie in Lappland. Diese demografische Leere, diese überall anzutreffenden Geisterdörfer haben Del Molino als übers Land reisenden Reporter zu diesem Buch inspiriert. Er beleuchtet „das große Trauma“, das vor allem in den Jahren von 1950 bis 1970 unter Diktator Franco, der zwar seine Stimmen bevorzugt aus der verarmten Landbevölkerung bezog, diese aber durch seine rücksichtslose Industrialisierungspolitik und gnadenlose Vertreibungen zum Bau etwa gigantischer Staudammprojekte immer tiefer in Elend und Rückständigkeit trieb, tiefe Spuren in der spanischen Landschaft hinterließ.

Mehr assoziativ als streng wissenschaftlich, leider auch manchmal ein wenig redundant, analysiert Sergio Del Molino dieses Leeres Spanien, auch gern anhand von Bezügen zur Literatur und Film. Den verächtlichen Blick der Stadtbevölkerung auf die vom Land entdeckt er dabei schon bei Miguel de Cervantes. Während man dessen Don Quichote nun meistenteils kennt, sind seine anderen Verweise, wie etwas auf den Film „Furchen“ („Surcos“) von José Antonio Nievos Conde einem deutschen Lesepublikum wahrscheinlich ebenso unbekannt wie geschichtliche Spezialitäten wie die Karlistenkriege. Da zieht sich dieses Langessay ziemlich und man braucht einen langen Atem und zumindest ein starkes Interesse an Spanien.

Ich habe das Buch mit Gewinn gelesen. Aber mir zogen bei der Lektüre eben auch die endlosen Sonnenblumenfelder und die menschenleeren, mit Windmühlen gesprenkelten Ebenen durch den Sinn. Und ich liebe Spanien.

 

Bücher zum Gastland Spanien

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Sergio del Molino Leeres Spanien.

Sergio del Molino – Leeres Spanien. Reise in ein Land, das es nie gab
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Wagenbach September 2022, 304 Seiten, Gebunden, 30,– €

 

 

 

 

 

Aroa Moreno Durán – Die Tochter des Kommunisten

Die junge spanische Autorin Aroa Moreno Durán, Jahrgang 1981, greift mit ihrem schmalen Debütroman Die Tochter des Kommunisten ein eher ungewöhnliches Thema auf und – das will ich gleich verraten – hat mich damit vollkommen überzeugt. Dabei schreibt sie nicht, wie viele Debütant:innen eine autobiografisch gefärbte Erzählung, sondern nimmt sich ein weniger bekanntes Kapitel der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts vor. 2017 gewann sie damit den Premio Ojo Critico. Weiterlesen „Aroa Moreno Durán – Die Tochter des Kommunisten“

Vicente Valero – Die Fremden, Übergänge, Schachnovellen, Krankenbesuche

Ibiza eine sonnenverwöhnte Insel im Mittelmeer. Nicht unbedingt bekannt durch Literatur, die von dort stammt. Der Berenberg Verlag macht sich schon seit einigen Jahren um das Werk des von dort stammenden Autors Vicente Valero verdient und hat mit Krankenbesuche jüngst den vierten seiner Romane, essayistischen und autobiografischen Texte, immer in der hervorragenden  Übersetzung durch Peter Kultzen, veröffentlicht. Vicente Valero – Die Fremden, Übergänge, Schachnovellen, Krankenbesuche Weiterlesen „Vicente Valero – Die Fremden, Übergänge, Schachnovellen, Krankenbesuche“

Literatur aus Spanien – Neuerscheinungen I

Gastland der Frankfurter Buchmesse 2022 – Neuerscheinungen – Literatur aus Spanien

 

Nach den Pandemiejahren 2020 und 2021, die den Gastlandauftritt Spaniens um ein Jahr verschoben (Kanada konnte auf der unter eingeschränkten Corona-Bedingungen erst 2021 seinen Gastlandpavillon eröffnen), präsentieren nun unter dem Motto „Creatividad desbordande“ Verlage aus Spanien Neuerscheinungen aus den Bereichen Literatur, Sachbuch und Kinder/Jugendbuch in Frankfurt. Spanien ist ein starkes, vielfältiges Literaturland, das auch in meinen Regalen schon lange einen bedeutenden Platz einnimmt. 24,1 % der veröffentlichten Bücher sind in anderen Amtssprachen als Spanisch wie Galizisch, Katalanisch, Baskisch und anderen verfasst. Der Gastlandauftritt ist sehr weiblich geprägt. Besonders junge Autorinnen sind stark vertreten. Ein sehr umfassender, vielseitiger und interessanter Internetauftritt lädt zum Entdecken ein. Und auch ich möchte euch in einigen Beiträgen einladen, neue und ältere Literatur aus Spanien kenenzulernen. Weiterlesen „Literatur aus Spanien – Neuerscheinungen I“

Elena Medel – Die Wunder

Bereits mit 17 Jahren veröffentlichte sie, Jahrgang 1985, Gedichte und leitet mittlerweile einen eigenen Lyrikverlag. 2020 gelang Elena Medel dann ein Riesenerfolg mit ihrem Debütroman, der in 15 Sprachen übersetzt wurde und nun als Die Wunder in der Übersetzung von Susanne Lange auch auf Deutsch vorliegt, rechtzeitig zum Gastlandauftritt Spaniens bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober. Für idiesen feministischen Gesellschaftsroman über die jüngere Geschichte Spaniens erhielt Medel als erste Frau überhaupt 2020 den renommierten Premio Francisco Umbral. Weiterlesen „Elena Medel – Die Wunder“

Irene Solá – Singe ich, tanzen die Berge

Was für ein außergewöhnliches, wundersames Buch, das 2020 den Europäischen Literaturpreis erhielt und ein erfolgreicher Bestseller wurde. Die junge katalanische Autorin Irene Solá springt in ihrem Roman Singe ich, tanzen die Berge durch Jahrhunderte spanischer Geschichte und lässt nicht nur der Hexenverfolgung zum Opfer gefallene heilkundige Frauen erzählen, sondern auch einen Hund, einen Rehbock, einen Bär und die Totentrompeten, die zur Familie der Stoppelpilzverwandten gehören. Ja sogar den Gewitterwolken und – ziemlich in der Mitte des Buchs – den Bergen der Pyrenäen, die über ihre Entstehung sinnieren, verleiht die Autorin eine Stimme. Weiterlesen „Irene Solá – Singe ich, tanzen die Berge“

Najat El Hachmi – Am Montag werden sie uns lieben

Ein weiterer mit dem Nadal-Preis (2021) ausgezeichneter Roman stammt von der marrokanisch-spanischen Autorin Najat El Hachmi. Eindringlich und bewegend erzählt sie darin vom Aufwachsen junger Mädchen aus Migrantenfamilien weit vor den Toren Barcelonas. Zerrissen zwischen den autoritären Ansprüchen ihrer im unangetasteten Patriarchat sozialisierten Eltern und den modernen westlichen Lebensformen, die sie umgeben, suchen Naíma und ihre Freundinnen ihren Weg. Najat El Hachmi lässt sie hoffen, dass nach all den Anstrengungen, es richtig zu machen, sich selbst und sein Verhalten zu perfektionieren, dass dann endlich gilt Am Montag werden sie uns lieben. Weiterlesen „Najat El Hachmi – Am Montag werden sie uns lieben“

Eduardo Lago – Brooklyn soll mein Name sein

Bereits 2006 erhielt der in New York als Leiter des dortigen Instituto Cervantes tätige Spanier Eduardo Lago für seinen Debütroman Brooklyn soll mein Name sein zwei hochrangige Literaturpreise, den Premio Nadal und den Premio de la Crítica de narrativa castellana. Nun ist das so herausfordernde wie verspielte Werk, wohl auch Dank des angekündigten Gastlandauftritts Spaniens bei der Frankfurter Buchmesse, endlich auch auf Deutsch in der Übersetzung von Guillermo Aparicio im Kröner Verlag erschienen. Ich hoffe sehr, dass es nicht das letzte übersetzte Buch des James-Joyce- Kenners Lago, der seit 2011 wieder am Sarah Lawrence College unterrichtet, bleiben wird. Weiterlesen „Eduardo Lago – Brooklyn soll mein Name sein“