Gli anni di piombo – die bleiernen Jahre – wird in Italien die Zeit von Ende der 1960er bis in die 1980er Jahre hinein genannt, in der im Land große politische Unruhe herrschte, sowohl linksradikale als auch neofaschistische Terrorgruppen zahlreiche Attentate und Morde begingen und die Staatsgewalt darauf mit Härte reagierte. Die Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteichefs Aldo Moro am 16. März 1978 durch die linksextremistischen Brigate rosse war wohl eine der bekanntesten Aktionen. Zeitgleich trat in der BRD die RAF auf. Die Brutalität und Radikalität der von Marta Barone in ihrem autofiktionalen Roman Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand geschilderten Vorgängen waren allerdings in Italien noch erschreckender und die Mitglieder- und Sympathisantenzahlen der Untergrundorganisationen – vor allem der Roten Brigaden und der Primera Linea – weitaus höher. 197 Menschen fielen Ihnen zum Opfer. Weiterlesen „Marta Barone – Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand“
Schlagwort: Zeitgeschichte
Verena Boos – Die Taucherin
Bereits in ihrem Debütroman Blutorangen (2015) waren Spanien, Valencia und die dunklen Jahre der franquistischen Diktatur ihre Themen. Nach einem Ausflug in den Schwarzwald mit dem Roman Kirchberg, kehrt Verena Boos in ihrem neuen Buch Die Taucherin wieder zu diesen zurück. Die geborene Rottweilerin lässt aber auch hier ihre Baden-Württembergische Heimat nicht ganz außen vor. So stammt die Hauptprotagonistin Amalia, durch deren Sicht wir die Geschichte erleben, von dort und befindet sich zu Beginn beim Klettern im Schwarzwald. Eine Rezension.
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Fuminori Nakamura – Die Flucht
Den japanischen Autor Fuminori Nakamura kenne ich von seinem 2015 erschienenen originellen Kriminalroman Der Dieb, der wie auch die nachfolgenden Romane im Feuilleton begeistert besprochen wurde. Entsprechend gespannt war ich auf seine neueste, von Louise Steggewentz ins Deutsche übertragene Veröffentlichung Die Flucht.
Barbara Kingsolver – Demon Copperhead
Demon Copperhead? Da klingelt natürlich bei jedem Literaturliebhaber etwas. Und Barbara Kingsolver, die für ihren 860 Seiten starken Roman 2023 sowohl den Pulitzer Belletristik als auch den Women`s Prize for Fiction zugesprochen bekam, macht auch gar kein Geheimnis daraus, dass sie den berühmten David Copperfield von Charles Dickens als Folie für Demon Copperhead verwendet hat. Die sozial engagierte, realistisch erzählte Geschichte des Waisenjungen David aus dem Jahr 1850 und dem viktorianischen England in die 1990er und 2000er Jahre und in die abgehängte, als „Hillbilly-Provinz“ verachtete US-amerikanische Gebirgsregion der Appalachen zu transferieren, ist der 1955 geborenen und trotz zahlreicher Veröffentlichungen in Deutschland bisher nahezu unbekannten Kingsolver hervorragend gelungen.
Roman Rozina – Hundert Jahre Blindheit
Der Slowene Roman Rozina entrollt mit seinem fast 600 Seiten starken Roman Hundert Jahre Blindheit ein großes Familientableau. Und ja, die Referenz zum großen Kolumbianer Gabriel García Márquez ist durchaus beabsichtigt, auch wenn bei Rozina kein magischer Realismus zu finden ist, sondern die Geschichte realistisch und chronologisch erzählt wird. Weiterlesen „Roman Rozina – Hundert Jahre Blindheit“
Ingke Brodersen – Lebewohl Martha
Anfang der 1990er Jahre zog Ingke Brodersen mit ihrer Familie in eine Altbauwohnung in Berlin Schöneberg. Eine helle, geräumige Wohnung im vierten Stock in der Berchtesgadener Straße 37. Vor dem Haus im Pflaster eingelassen befindet sich einer jener Stolpersteine, die an ehemalige jüdische Bewohner:innen erinnert, die Opfer der Verfolgung durch die Nationalsozialisten wurden. 1993 wurden hier im Bayerischen Viertel in einem Projekt Tafeln aufgehängt, die Inhalte von nationalsozialistischen Gesetzen und Verordnungen zeigen, mit denen die Entrechtung der Juden in Deutschland vorangetrieben wurde. Dies war für die Historikerin und ehemalige Leiterin des Rowohlt Berlin-Verlags Ingke Brodersen der Impuls, der Geschichte der einst in ihrem Wohnhaus lebenden Menschen nachzuforschen – und daraus entstand ihr berührendes Buch Lebewohl, Martha.
Stephan Thome – Pflaumenregen
Taiwan ist weithin bekannt als technologisch hochentwickelter Industriestaat, als demokratischer Inselstaat vor der Küste Chinas, irgendwie dazugehörend, irgendwie aber auch nicht. Amtlich nennt sich das Land „Republik China“, in Abgrenzung zur Volksrepublik China, die das Land im Rahmen ihrer „Ein-China-Politik“ niemals anerkannte. Tatsächlich tun das mittlerweile (Stand 2021) weltweit nur noch dreizehn Staaten sowie der Vatikan. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu China sind zu wichtig, um sie dadurch zu gefährden. Dennoch unterstützt der Westen, vor allem die USA die Unabhängigkeit Taiwans als Gegengewicht zur Supermacht China. Der seit der Spaltung 1949 schwelende Konflikt ist aktuell wieder aufgeflammt. Welche historischen Entwicklungen dahinterstecken, dürfte nur wenigen genauer bekannt sein. Stephan Thome, Sinologe, erfolgreicher Autor und seit über zwölf Jahren in Taiwan beheimatet, trägt mit seinem neuen Roman Pflaumenregen sehr zum Verständnis der Lage bei. Weiterlesen „Stephan Thome – Pflaumenregen“
Roy Jacobsen – Die Kinder von Barrøy
Als 2019 Norwegen Gastland der Frankfurter Buchmesse war, erschienen, auch durch die tatkräftige Unterstützung der norwegischen Literaturförderung, zahlreiche großartige Romane neu in deutscher Übersetzung. Ich habe viele Autor:innen für mich entdeckt und eindrückliche Bücher gelesen. Eines davon war die Insel-Saga von Roy Jacobsen, deren ersten drei Teile unter dem Titel Die Unsichtbaren 2019 von C.H.Beck in einem Band zusammengefasst wurden. Die Geschichte der Bewohner von Barrøy, und hier vor allem von Ingrid, vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg war packend, informativ und sprachlich sehr gelungen. Sehr habe ich mich auf den vierten Teil des Epos von Roy Jacobsen gefreut, der nun als Die Kinder von Barrøy, ebenfalls bei Beck in der Übersetzung von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann erscheint. Weiterlesen „Roy Jacobsen – Die Kinder von Barrøy“
Thomas Hettche – Herzfaden
„Der Herzfaden lässt uns glauben, sie sei lebendig, denn er ist am Herzen der Zuschauer festgemacht.“ So zitiert Thomas Hettche den Gründer der Augsburger Puppenkiste, Walter Oehmichen, in seinem Roman Herzfaden, der die Geschichte des berühmten Marionettentheaters mit der Familiengeschichte der Oehmichens und einer Mentalitätsgeschichte der jungen BRD verbindet. Weiterlesen „Thomas Hettche – Herzfaden“
Seweryna Szmaglewska – Die Frauen von Birkenau
Seweryna Szmaglewska war 26 Jahre alt, als sie am 18. Juli 1942 in ihrer Heimatstadt Piotrków Trybunalski verhaftet wurde. Grund dafür war nicht die Untergrundarbeit, die die junge Warschauer Soziologiestudentin für den polnischen Widerstand leistete, sondern die tragische Fehleinschätzung eines deutschen SS-Mannes, der das Geraderücken ihrer Brille in der Öffentlichkeit als ein geheimes Signal interpretierte. Zur Zeit der deutschen Besatzung Anlass genug für eine Internierung. Seweryna Szmaglewska wurde im Oktober nach Auschwitz-Birkenau deportiert und verbrachte dort, bis sie im Januar 1945 bei der Liquidierung des Lagers fliehen konnte, unglaubliche 30 Monate als politische Gefangene. Sie begann sogleich mit der Niederschrift ihrer Erinnerungen, die sie in Polen zu einer bekannten Autorin machten und zu einer der Zeuginnen bei den Nürnberger Prozessen. Übersetzungen in zehn Sprachen folgten, Deutsch war nicht darunter. Erst jetzt, 75 Jahre später, erscheinen die Aufzeichnungen von Seweryna Szmaglewska im Schöffling Verlag unter dem Titel Die Frauen von Birkenau. Weiterlesen „Seweryna Szmaglewska – Die Frauen von Birkenau“